„Zünglein an der Waage“ – Hintergründe zum Lobby-Verband „Türkische Gemeinde in Deutschland“

28. November 2015
„Zünglein an der Waage“ – Hintergründe zum Lobby-Verband „Türkische Gemeinde in Deutschland“
National
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Foto: Symbolbild

Türken in Deutschland spielen als Wähler eine wichtige Rolle – hier und in der Türkei. Vor 20 Jahren wurde als Lobby-Dachverband die „Türkische Gemeinde in Deutschland“ gegründet 

Für die islamisch-konservative AKP ist es bei den türkischen Parlamentswahlen am 1. November deutlich besser gelaufen als erwartet. Die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kam auf 49,5 Prozent der Stimmen, sie nimmt damit 316 der 550 Sitze in der Nationalversammlung ein – eine solide absolute Mehrheit. Die Neuwahl war notwendig geworden, nachdem nach der Wahl im Juni, bei der die AKP auf 40,9 Prozent abgerutscht war, keine Koalition zustande gekommen war. In der EU fielen die Reaktionen auf das Wahlergebnis eher verhalten aus. Die Stärkung Erdogans wird als hinderlich bei den Verhandlungen über die Bewältigung des Zustroms illegaler Migranten gewertet.

Im Vorfeld der Juni-Wahl hatte der türkische Präsident Anfang Mai vor einigen tausend Türken in Karlsruhe gesprochen. Die Auslandstürken seien „unsere Macht außerhalb des Landes“, verkündete er bei dem irregulären Wahlkampfauftritt. Immerhin sind 1,45 Millionen der Türken in Deutschland auch in der Türkei wahlberechtigt, und sie erwiesen sich mehrheitlich als treue Anhänger der AKP. Nach Angaben der staatsnahen Nachrichtenagentur Anadolu erreichte die Partei im November hier 59,7 Prozent, mehr als bei den Türken in jedem anderen europäischen Staat. Noch am Wahlabend kam es in Stuttgart zu Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern der AKP. Die Polizei nahm elf Personen der unterschiedlichen Lager fest und erteilte 36 Platzverweise.

In Stuttgart sitzt auch einer der wichtigsten Repräsentanten der in Deutschland lebenden Türken: Gökay Sofuoglu, Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD). Der rief seine Landsleute am Tag nach den Krawallen zur Besinnung auf. Die Ereignisse in Stuttgart fielen fast mit dem 20jährigen Jubiläum der Institution zusammen. Am 2. Dezember 1995 war die TGD in Hamburg als Dachverband zahlreicher juristischer Personen gegründet worden, um eine schlagkräftige Interessenvertretung der in Deutschland lebenden Türken zu formieren. Vorbild war der Zentralrat der Juden in Deutschland. Einem nicht mehr ganz aktuellen „Faktenblatt“ auf der Netzseite der TGD ist zu entnehmen, daß die TGD „rund 267 Einzelvereine“ repräsentiert.

(…)

Safter Çinar legte daraufhin den Co-Vorsitz nieder, auch stellten die Berliner Türken keine Kandidaten für Verbandsämter auf. Was das für die künftige Ausrichtung bedeutet, wird spannend. Die TGD sieht sich als ethnisch, religiös und weltanschaulich neutral und kommentiert die Entwicklung in der Türkei nur begrenzt. Kolat hatte allerdings Erdogan 2013 wegen seiner Behandlung der Opposition heftig kritisiert. Die aktuellen Zerwürfnisse könnten AKP-Anhänger nutzen, stärker in der TGD Fuß zu fassen. Solche Bestrebungen würden wiederum mit der traditionell linken Schlagseite der Lobby kollidieren. 2002 hatte die TGD eine klare Wahlempfehlung für Rot-Grün ab gegeben. Und 2013 nannte der Verband die rund 800.000 in Deutschland wahlberechtigten Türken das „Zünglein an der Waage“ bei den Bundestagswahlen. Die Frage, wer in der TGD dominiert, ist also nicht unerheblich. (Dorian Rehwaldt)

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