ZUERST!-Hintergrund: Schwere Regierungskrise in West-Libyen

25. August 2020
ZUERST!-Hintergrund: Schwere Regierungskrise in West-Libyen
International
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Foto: Symbolbild

Im Westen Libyens nimmt die politische Instabilität weiter zu. Aktuelle Massenproteste in Tripolis und ihre brutale Niederschlagung schockierten die Öffentlichkeit im bürgerkriegsgeplagten Land.

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Am 23. August wurde der Märtyrerplatz in der libyschen Hautpstadt Tripolis zum Schauplatz von Massenprotesten. Die Libyer demonstrierten dort für ihre Bürgerrechte, gegen die grassierende Korruption und den totalen innenpolitischen Stillstand.

Seit 2016 sitzt in Tripolis die libysche „Regierung der nationalen Übereinkunft“, die sich zwar stets als „von den Vereinten Nationen anerkannt“ bezeichnet, aber sich gleichzeitig nur mit Hilfe islamistischer Milizen behaupten kann. Diese haben schon lange die Straßen von Tripolis in „Einflußzonen“ aufgeteilt. Von den 1,7 Millionen Einwohnern der Hauptstadt werden die Milizen vor allem als kriminelle Banden wahrgenommen.

Die Proteste vom 23. August wurden von bewaffneten Milizen des GNA-Innenministeriums aufgelöst, dabei wurde auch scharf auf die demonstrierenden Zivilisten geschossen. 20 Menschen wurden dabei getötet, mehr als 50 verletzt. Es kam auch zu vielen Festnahmen. Nach Angaben des arabischen Fernsehsenders „218 TV“ wurde der Organisator der Proteste, Muhannad Ibrahim Al-Kawafi ebenfalls von den Milizen verschleppt.

Die UNO verurteilte die gewaltsame Auflösung der Demonstration und forderte eine „sofortige und gründliche Untersuchung der exzessiven Gewaltanwendung durch pro-GNA-Sicherheitspersonal in Tripolis“.

Dies war nicht die erste GNA-kritische Demonstration in Tripolis – seit Wochen gehen die Menschen gegen die Mißstände auf die Straße. Die Libyer drücken dabei ihre Unzufriedenheit über die mangelnde Kontrolle der bewaffneten Milizen, zu denen auch ausländische Söldner gehören, durch die Behörden in Tripolis aus. Darüber hinaus sind die Bewohner von Tripolis empört über die Unterbrechung der Versorgungsleitungen aufgrund terroristischer Aktivitäten in der Region – einige Tage zuvor war in mehreren Bezirken von Tripolis der Strom ausgefallen – wegen des Diebstahls von Stromkabeln durch Angehörige von bewaffneten Milizen.

Vor dem Hintergrund dieser Massenproteste entschloß sich die GNA, die immer mehr an Unterstützung einbüßt, zu einem überraschenden Schritt: Sie kündigte einen Waffenstillstand im libyschen Bürgerkrieg an. Am 21. August verkündete die GNA eine Waffenruhe mit der gegnerischen libyschen Nationalarmee (LNA) von General Chalifa Haftar im Bürgerkrieg. Zuvor lehnte die GNA alle Waffenstillstandsinitiativen kategorisch ab, die beinhalteten, auf die Kontrolle über die strategisch wichtige Stadt Sirte und den Luftwaffenstützpunkt Al Jufra zu verzichten.

Der libysche Innenminister Fathi Baschaga befindet sich nun in einer schwierigen Lage: Er war stets einer der Hauptbefürworter des Vorrückens der GNA-Milizen in Richtung Sirte und Ostlibyen.

Die brutale Niederschlagung der Proteste verschlimmert seine Lage noch zusätzlich. Er versuchte zwar zunächst, die gewaltsame Unterdrückung der Proteste abzustreiten, was aber seine Position innerhalb der GNA noch weiter schwächte. Denn entweder er befahl den Schußwaffeneinsatz – oder er war nicht in der Lage, die Gruppen innerhalb Tripolis zu kontrollieren. Baschaga habe sich nun in die Türkei abgesetzt, heißt es in Tripolis.

Andere prominente Mitglieder der GNA wiederum beeilten sich, sich von der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste zu distanzieren, indem sie jede Verantwortung dafür abstreiten. Der Chef der GNA, Fayez Sarradsch, gab am 25. August eine Erklärung ab, in der er betonte, daß der Präsidialrat und die GNA seine Mitverantwortung für die Staatskrise anerkenne: „Ich bin voll und ganz bereit, jede politische Vereinbarung umzusetzen, die von den Libyern zur Überwindung dieser Krise vorgeschlagen wird, auch eine Reduzierung oder eine Änderung der Zusammensetzung des Präsidialrats und des GNA“, betonte Sarradsch in seinem Statement. Er rief auch zu Wahlen im März nächsten Jahres auf.

Experten zufolge könnten die Kräfte, die hinter den Protesten im Westen Libyens stehen, sogar einige Fraktionen innerhalb des GNA selbst sein, denn dort tobt im Verborgenen ein Kampf um die Macht. Nachrichtenquellen in Tripolis zufolge sind in den kommenden Tagen sehr schwerwiegende Veränderungen innerhalb der GNA wahrscheinlich.

Bereits im Juli dieses Jahres schloß sich sogar der stellvertretende libysche Ministerpräsident Ahmed Miitig den Aufrufen zu Massenprotesten gegen die GNA an. Er forderte, daß das Innenministerium die Demonstranten schützt und nicht angreift. Miitig liegt mit Sarradsch im Streit über die Entscheidungsprozesse und die Privilegien der Ratsmitglieder der GNA.

Ahmed Miitig diente früher als Premierminister von Libyen und genießt den Ruf eines intelligenten Verhandlungsführers, der in der Lage ist, einen Dialog mit der Gegenseite des Konflikts zu führen. Auch auf dem internationalen Parkett gilt er als fähiger Realist. Im Gegensatz zu anderen GNA-Vertretern ist er nicht durch die Zusammenarbeit mit islamistischen Milizen und Söldnern kompromittiert.

Seine Position wird wahrscheinlich in einer neu formierten GNA-Regierung gestärkt werden. Allgemein wird dies als ein Hoffnungsschimmer für einen Dialog mit der LNA und letztendlich auch für eine Stabilisierung Libyens angesehen.

Aber auch andere GNA-Angehörige machen sich bereit, um ihren Platz in der neuen libyschen Führung zu kämpfen. Khalid Almishri, Vorsitzender des libyschen Hohen Staatsrates (zweite Kammer des libyschen Parlamentes), nimmt eine zunehmend aktive Rolle ein. Am 24. August erklärte er sich bereit, in Marokko mit Aguila Saleh, dem Vorsitzenden des mit der GNA rivalisierenden Repräsentantenhauses von Libyen (HoR), das Haftars LNA unterstützt, zusammenzutreffen.

Aguila Saleh hatte zuvor eine Erklärung abgegeben, in der er zu einem vollständigen Waffenstillstand und zu fairen Wahlen aufrief.

Aber die Reise des Chefs des GNA-Innenministeriums, Fathi Baschaga, in die Türkei könnte auch im Zusammenhang mit der Suche nach Unterstützung im Hinblick auf die bevorstehenden Veränderungen in West-Libyen stehen. Ankara ist heute ein wichtiger Akteur in dem nordafrikanischen Land, von dessen militärischer Unterstützung die Existenz der GNA abhängt.

Nur eines scheint allen beteiligten Konfliktparteien klar: Die Position von Sarradsch ist so schwach wie nie zuvor. Ob er in einer veränderten Zusammensetzung der GNA-Struktur überhaupt noch eine Rolle spielen wird, gilt als umstritten. Er könnte als Bauernopfer dienen – denn seine Popularität in der Bevölkerung ist nur noch gering. Nur eines gilt als sicher: Die Veränderungen werden wohl gravierend sein. (CF)

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