NSU-Zeugensterben: Welche Rolle spielen die deutschen Geheimdienste?

23. April 2015
NSU-Zeugensterben: Welche Rolle spielen die deutschen Geheimdienste?
Manuel Ochsenreiter
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Foto: Symbolbild

Bei den Ermittlungen um die mutmaßliche Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) kommt es zu einem merkwürdigen Zeugensterben. Im März traf es eine Zeugin aus dem NSU-Untersuchungsausschuß des Baden-Württembergischen Landtags. Die 20jährige Frau wurde tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Ihr Freund hat sie laut Staatsanwaltschaft entdeckt. Sie habe gerade einen Krampfanfall gehabt. Ärzte konnten ihr Leben nicht mehr retten. Eine Lungenembolie sei die Todesursache gewesen. Fremdverschulden wird bisher ausgeschlossen. Eine Obduktion wurde angekündigt. Die Zeugin hatte zuvor in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses gesagt, sie fühle sich bedroht. Die tote Zeugin ist wiederum die Ex-Freundin von Florian H., der im Mordfall Michèle Kiesewetter aussagen wollte und im Herbst 2013 in seinem Wagen verbrannte. Die Staatsanwaltschaft spricht von Selbstmord, aber die Familie glaubt nicht an Suizid. Vor seinem Tod behauptete Florian H., er wisse, wer der Mörder der Polizistin Kiesewetter gewesen sei. Bislang ging man davon aus, daß die angeblichen NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Kiesewetter getötet haben.

Im April 2014 wurde Thomas R. in Paderborn tot aufgefunden. Er war unter dem Decknamen „Corelli“ ein Spitzel für den Bundesverfassungsschutz. Er soll Kontakt zum NSU-Mitglied Uwe Mundlos gepflegt und dem Amt lange vor der Enttarnung der Gruppe eine CD mit der Aufschrift „NSU“ übergeben haben. Thomas R., der sich in einem Zeugenschutzprogramm befand, verstarb laut Obduktionsbericht an einem unentdeckten Diabetes.

Lungenembolie, angeblicher Selbstmord, unentdeckter Diabetes – drei ungewöhnliche Todesfälle, die nicht nur Verschwörungsfans Anlaß zu allerlei Spekulationen geben. Besonders brisant: Daß es Verstrickungen der Geheimdienste in den NSU-Komplex gibt, wird mittlerweile von niemandem mehr ernsthaft abgestritten. Der freie Journalist Dimitrios Kisoudis kommentierte das NSU-Zeugensterben mit Ironie: „In Bananenrepubliken ist es völlig normal, daß sich eine Prellung am Knie zur Lungenembolie auswächst.“

Damit hat Kisoudis nicht unrecht: Beim „plötzlichen Zeugentod“ denkt man unwillkürlich zunächst an irgendwelche Diktaturen Südamerikas oder an autoritäre Regime im asiatischen Raum – nicht aber an die Bundesrepublik Deutschland. Doch gerade wenn es um die NSU-Ermittlungen geht, fragt man sich schon lange, ob die offiziell präsentierten Zumutungen überhaupt noch eines Rechtsstaats würdig sind. Es sterben ja nicht nur Zeugen – es werden wichtige Akten geschreddert, immer wieder tauchen V-Leute und Spitzel im direkten NSU-Umfeld auf. Die Telefonprotokolle des Verfassungsschutzbeamten und V-Mann-Führers Andreas Temme beispielsweise werfen viele Fragen auf. Beim mutmaßlichen NSU-Mord in Kassel am 6. April 2006 war er selbst am Tatort. Sein V-Mann, der Neonazi Benjamin Gärtner, war an mindestens drei mutmaßlichen NSU-Tatorten zur Tatzeit. Und Geheimdienstler Temme telefonierte an jedem dieser Tage mit seinem V-Mann. Vor Gericht in München gibt sich Temme nicht gerade auskunftsfreudig. Wird er „von oben“ gedeckt? Unsere Geheimdienste jedenfalls scheinen am aller wenigsten an einer lückenlosen Aufklärung der NSU-Mordserie interessiert.

Manuel Ochsenreiter ist Chefredakteur des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST!

 

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