Kolumne ZUERST! 1/2014

26. Dezember 2013

Kolumnist Harald Neubauer (Foto: Brigitte Brückner-Uhlenhuth)

Wir Deutschen sind schuld. Ein Verdammungsurteil, das uns nahezu täglich um die Ohren geschlagen wird. Wir Deutschen sind schuld – an nahezu allem, was die Geschichte an Übeln und Verbrechen aufzuweisen hat. Widerspruch ist zwecklos, zumal sich bei den Bezichtigten eine Art Sündenstolz entwickelt hat: Sie wollen gar nicht mehr entlastet werden und reagieren auf jeden Versuch der „Relativierung“ wie ein Masochist, dem man Schmerzfreiheit androht. Was allerdings nicht wirklich zu befürchten ist. Denn die Ankläger wissen, welche enormen Vorteile es ihnen bringt, die Deutschen am Pranger zu halten. Dazu genügt es jedoch nicht mehr, die Frevel vergangener Jahrhunderte auf das „Tätervolk“ abzuwälzen. Auch die heutigen Probleme Europas und der Welt bedürfen dringend eines Sündenbocks.

Eine Zeitlang sah es ja fast so aus, als könnten sich die Deutschen ein neues Image verschaffen – als Euro-Samariter, die mit Spenden, Krediten und Bürgschaften in Billionenhöhe ganze Länder vor dem Bankrott bewahren. Jedes andere Volk würde man dafür über den grünen Klee loben. Aber schon die ersten Reaktionen der Griechen zeigten, daß sie uns ihre Rettung nicht verzeihen. Mittlerweile fallen nahezu alle über uns her: der Internationale Währungsfonds, die EU-Kommission, die Regierungen in Washington, Paris und Rom. Man stört sich an den deutschen Exportüberschüssen. Die nämlich seien ursächlich für die ganze Misere: für das Schuldenelend der Südeuropäer, für die Euro-Krise, sogar für die Laufbeschwerden der Weltwirtschaft.

Wieder einmal sind die Deutschen den anderen zu stark und zu tüchtig. Bewunderung, ohnehin nur ungern gewährt, schlägt um in giftgrünen Konkurrenzneid. Und plötzlich erscheint Michel nicht mehr als ökonomischer Musterknabe, sondern als Rabauke, der mit seiner Muskelkraft Schwächere drangsaliert und in den Abgrund stürzt. Ein Wunder, daß man auf dieses Schreckensbild nicht schon früher verfallen ist. Uns hätte es vor der Illusion bewahrt, durch Demut und unermüdliche Zahlungsbereitschaft ein bißchen Gnadensonne zu erhaschen.

Fremde Mißgunst kann man noch irgendwie verstehen. Schon die von den Briten im 19. Jahrhundert durchgesetzte Kennzeichnungsvorschrift „Made in Germany“ war als Boykott-Empfehlung gedacht, nicht als Qualitätssiegel. Was aber soll man davon halten, daß nun auch deutsche Stimmen der Export-Schelte beipflichten? Die Süddeutsche Zeitung spricht von einem „berechtigten Tadel“, und der DGB-Ökonom Gustav Horn hält die antideutschen Attacken für „absolut gerechtfertigt“. Kurioserweise sind es die gleichen Kreise, die den Euro mit der Behauptung verteidigen, er sei notwendig, um unseren Status als Exportnation zu sichern und auszubauen. Davon hänge jeder vierte Arbeitsplatz hierzulande ab. Immer und immer wieder hat man uns dies eingebleut, zuletzt im Bundestagswahlkampf zur Abwehr der AfD.

Wenn man aber unsere Ausfuhren neuerdings für den Kern des Problems hält, stellt sich die Frage, weshalb man an einer Wirtschafts- und Währungsunion festhält, der nachgesagt wird, die deutschen Exporte erst so richtig in Schwung zu bringen. Wie paßt das zusammen? Oder wünscht man sich eine EU, in der die Deutschen etwaige Vorteile den anderen überlassen und sich auf die Rolle des Zahlmeisters beschränken? Und worauf läuft das geplante Freihandelsabkommen mit den USA hinaus? Auch dies werde die Exporte beflügeln, heißt es. Fragt sich nur, auf welcher Seite. Die Amerikaner jedenfalls haben nicht verlernt, zuerst an sich selbst zu denken.

Einem Großteil des Publikums fallen die Widersprüche leider nicht auf. Auch blieb weitgehend verborgen, daß sich die Bundesregierung schon vor geraumer Zeit vertraglich verpflichtet hat, den Ausfuhr-Überschuß auf maximal sechs Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Derzeit liegen wir bei sieben Prozent, und aus Brüssel droht uns dafür eine saftige Geldstrafe. Folglich ist die deutsche Politik unter allerlei Vorwänden bemüht, die Unternehmen unter verstärkten Kostendruck zu setzen und damit die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Landes zu reduzieren. So soll Raum für andere geschaffen werden. Wer vor diesem Hintergrund noch immer so tut, als ginge es beim Euro wie überhaupt bei der EU um eine Verbesserung deutscher Export-Chancen, hat entweder keine Ahnung oder will uns für dumm verkaufen.

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