Heldengedenktag

18. Dezember 2013

Foto: Flickr/Montecruz Foto

Wie ein linksextremistischer Hausbesetzer offizieller Teil der Berliner Erinnerungskultur wurde

Nieselregen, Lautsprecher und finstere Minen. An diesem finsteren Novembertag gedenkt Berlin eines Märtyrers. Laut Polizeiangaben marschieren 5.000 Menschen durch Berlin-Friedrichshain. Vor 21 Jahren kam der linksextremistische Hausbesetzer Silvio Meier bei einer Auseinandersetzung mit Neonazis ums Leben. Es war am 21. November 1992. Eingereiht in den wuchtigen Demonstrationszug haben sich neben militanten Linksextremisten auch Politiker der Grünen, der SPD und der Linkspartei. Silvio Meier, das Opfer einer Messerstecherei, wird in Reden als Beispiel „mutigen antifaschistischen Engagements“ gewürdigt. Sogar eine Straße in Friedrichshain wurde mittlerweile nach ihm benannt: Die Gabelsbergerstraße heißt seit April dieses Jahres offiziell „Silvio-Meier-Straße“.

Doch genau so trübe wie der Novembertag ist die Erinnerung an den getöteten Linksextremisten, der nun als Held gefeiert wird. Anfang der 1990er Jahre war der Bezirk Friedrichshain Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und militanten Linksextremisten. Beide besetzten leerstehende Häuser, lieferten sich Straßenschlachten, bei denen es Verletzte gab. Mittendrin die Polizei und die alteingesessenen Bewohner. Es war nicht unüblich, daß die linksradikalen Autonomen auf „Patrouille“ gingen, „Nazis klatschen“ hieß die Devise. An jenem Novembertag im Jahr 1992 trafen Silvio Meier und seine Genossen am U-Bahnhof eine Gruppe rechter Jugendlicher. Silvio Meier tat das, was er sonst auch immer tat: Er suchte den Konflikt. Nach einem Wortgefecht habe er einem der Rechten einen Aufnäher mit der Aufschrift „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“ von der Jacke gerissen, heißt es in Berichten über den Tathergang. Silvio Meier war 27 Jahre alt, seine Gegner waren minderjährig oder gerade 18. Nach der Auseinandersetzung trafen beide Gruppen nochmals aufeinander. Diesmal aber mit tödlichem Ausgang. Meier und seine Genossen seien von einem der Angreifer mit einem Messer attackiert worden, heißt es später in der Gerichtsverhandlung. Zwei Stiche töteten Meier, zwei seiner linken Begleiter wurden verletzt. Die Jugendstrafkammer des Kriminalgerichts Berlin-Moabit verurteilte den 17jährigen Sandro S., der die tödlichen Messerstiche ausgeführt hatte, 1993 in einem Jugendstrafverfahren wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Die Mitangeklagten, der 18jährige Sven M. und der 17jährige Alexander B., erhielten Freiheitsstrafen von dreieinhalb Jahren beziehungsweise acht Monaten, letztere wurde zur Bewährung ausgesetzt. Eigentlich wäre damit die tragische und tödlich endende Geschichte über die blutigen Auseinandersetzungen zwischen kriminellen politischen Extremisten in jenen Jahren erzählt.

Aber in Berlin ticken die Uhren anders. Längst wurde die Silvio-Meier-Geschichte zu einer antifaschistischen Helden-Story umgedeutet. Ganz offiziell übt der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg den Schulterschluß mit der gewalttätigen autonomen Szene. Susanne Hellmuth, Studentin der Literatur- und Sozialwissenschaften und Mitglied im Fraktionsvorstand der Grünen im Bezirk, gehört zu den Propagandisten des Silvio-Meier-Heldenepos: „Silvio Meiers zu gedenken, bedeutet nicht nur, einen Kämpfer gegen Rechts zu ehren, sondern auch, ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, daß rechtes, menschenfeindliches Gedankengut in unserem bunten Bezirk nichts zu suchen hat“, zitiert sie die Presse.

Dabei hat der Bezirk vor allem ein Problem mit linkem, menschenfeindlichen Gedankengut. In den Nächten brennen dort Autos, angeblich „Luxuskarossen“, im Vorfeld der Silvio-Meier-Demonstration wurde in Kreuzberg ein mutmaßlicher „Rechter“ gleich von mehreren Linksextremisten krankenhausreif geprügelt. Mit sogenannten „Outing-Aktionen“ macht die autonome Antifa gegen jeden mobil, der unter dem Verdacht steht, „rechtes Gedankengut“ zu hegen. Der Bezirk schaut weg oder unterstützt die Atmosphäre der Gewalt und des Psychoterrors sogar noch – ebenso die etablierten Medien.

Die linksradikale Lufthoheit im Bezirk bekommen vor allem jene zu spüren, die sich nicht sofort unterordnen wollen. Und beim Thema „Silvio Meier“ dulden weder die militante Antifa noch der Bezirk Widerspruch. Selbst gegen die eigenen Prinzipien: Denn eigentlich ist eine Straßenbenennung nach einem Mann gar nicht erlaubt. Frauen sollten bei solchen Widmungen und Umwidmungen solange bevorzugt werden, bis auch bei den Straßen- und Platznamen eine 50-prozentige Frauenquote herrscht. Bei Silvio Meier machte man eine Ausnahme. Die Initiative zur Umbenennung der Gabelsbergerstraße war von der „Antifaschistischen Linken Berlin“ (ALB) und der Linkspartei ausgegangen. Die ALB gehört nach Einschätzung der Innenbehörden zu den tonangebenden autonomen Gruppierungen der Berliner Antifa-Szene. Schließlich stimmte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg mit den Fraktionen von SPD, Grünen, Linken und Piraten am 26. Juni 2012 der Straßenumbenennung zu. Aber wegen einer Klage eines in der Gabelsbergerstraße ansässigen Geschäftsmannes konnte die Umbenennung zunächst nicht wie geplant vorgenommen werden. Vor dem Berliner Verwaltungsgericht argumentierte der Kläger unter anderem, Silvio Meier habe selbst einer gewaltbereiten Szene angehört und sei deshalb für eine solche Würdigung überhaupt nicht geeignet. Der Richter macht dem Geschäftsmann allerdings klar, daß die Klage keine Chance auf Erfolg habe. Sie sei nicht zulässig. Das Bezirksamt habe „nach einem demokratischen Verfahren“ entschieden. Somit fehle der Klage die Rechtsgrundlage. Eine Bewertung der Persönlichkeit von Silvio Meier habe im Gerichtssaal ohnehin nichts zu suchen. Nicht ohne Schadenfreude kommentierte das Neue Deutschland: „Der Richter erinnerte an den gescheiterten Versuch des Springerverlages, eine Rudi-Dutschke-Straße direkt vor der Haustür zu verhindern. Das Bezirksamt habe im öffentlichen Interesse damals wie heute nach dem Berliner Straßengesetz entschieden, somit sei der Vorgang nicht zu beanstanden.“ Seit dem 26. April 2013 heißt die Gabelsbergerstraße nun offiziell „Silvio-Meier-Straße“. Damit wurde erstmals in Berlin ein linksextremistischer Hausbesetzer als würdiger Namensgeber einer Straße geadelt. Nirgendwo ist Linksextremismus so Mainstream wie in Friedrichshain-Kreuzberg.

Carsten Fromm

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