Nachwuchsprobleme: Der Bundeswehr gehen die Freiwilligen aus

1. November 2013

Foto: Bundeswehr/Thomas Brandt

Daß die Bundeswehr seit der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland an die Grenzen der personellen Belastbarkeit geraten ist, ist nichts Neues.

Trotz aller Schönfärberei bleiben die Meldungen für den freiwilligen Wehrdienst weit hinter den Erwartungen und mithin auch den benötigten Stärken zurück. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hatte einen Bedarf von bis zu 15.000 Freiwilligen jährlich formuliert – Zahlen, die lange nicht erreicht werden. Tendenz sinkend. Der Minister beschwichtigt zwar immer wieder, die Fakten machen aber anderes deutlich und rücken das Problem zunehmend in die kritische Öffentlichkeit. „Tatsache ist: Der Bundeswehr gehen die Freiwilligen aus“, titelt beispielsweise die Bild. Die Nachwuchssorgen werden immer drückender. Zum Vergleich: Meldeten sich im Januar 2012 noch 2.720 freiwillig Wehrdienstleistende, waren es 2013 nur noch 1.607. Im April 2013 meldeten sich sogar nur noch 615 Freiwillige. Erschwerend hinzu kommt, daß mindestens ein Viertel bis ein Drittel der Neuen den Dienst in den ersten sechs Monaten direkt wieder quittiert. Der ehemalige Kommandeur des Allied Joint Force Command der NATO in Brunssum, General a.D. Egon Ramms, beklagt in einem Interview Freizeitorientierung und mangelnde Disziplin von Rekruten. Disziplin, Befehl und Gehorsam stehen offensichtlich nicht mehr hoch im Kurs, der berüchtigte – aber militärische – „Kasernenhofton“ ist an vielen Stellen ohnehin schon einem freundlichen Umgang gewichen: „Bitte“ und „Danke“ statt „Ausführung!“? Jedenfalls sollen die Freiwilligen nicht verprellt werden.

Die Bundeswehr verfügt derzeit über eine Soll-Stärke von 170.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie 15.000 freiwilligen Wehrdienern. Allein um die Zeit- und Berufssoldaten in dieser Zahl zu halten, müßten sich jährlich 15.000 neue Rekruten verpflichten. Da man die qualitativen Standards wahren und nicht zum Sammelsurium für Gescheiterte verkommen möchte, wird nach Qualifikationen aussortiert – so rechnet Minister de Maizière mit drei nötigen Bewerbern für eine Zeitsoldatenstelle. Das wären 45.000 im Jahr – die nötigen 15.000 freiwilligen Wehrdiener kommen noch hinzu. Bei derzeit rund 600.000 jungen Leuten pro Jahrgang müßte sich mithin schon jeder zehnte für den Dienst in der Bundeswehr interessieren. De Maizière hält das zwar für „ehrgeizig“, aber immerhin für möglich. Als „reines Wunschdenken“ und „illusorisch“ dagegen betrachten Opposition und Bundeswehrverband solche Zahlen an Freiwilligenmeldungen.

Um die bedrohlichen Nachwuchsprobleme in den Griff zu bekommen, ist die Bundeswehr deswegen auf immer intensivere Nachwuchswerbung angewiesen – und stößt dabei vermehrt auf den Widerstand linker Armee-Gegner. 20,3 Millionen Euro hat die Truppe letztes Jahr in Werbung investiert. 2011, als die letzten Wehrpflichtigen in die Kasernen einrückten, waren es noch 5,1 Millionen. Damit hat sich der Kostenaufwand vervierfacht. Für 2013 wird mit Ausgaben in einer Gesamthöhe von immerhin 18 Millionen Euro gerechnet. Fernsehen, Radio, Printmedien und Internet – kein Werbefeld wird ausgelassen. Hinzu kommen etwa 9.600 Vorträge und Informationsveranstaltungen der Bundeswehr an Schulen, Jobcentern und Berufsinformationszentren. Die Intensivierung der Werbung um dringend benötigten Nachwuchs ist nach der Aussetzung der Wehrpflicht nur konsequent. Trotzdem stößt sie auf Widerstand vor allem jener Kräfte, die zuvor schon die Wehrpflicht am lautesten kritisiert hatten. Die Linken fürchten eine „Militarisierung der Gesellschaft“. Die Bundeswehr, ohnehin längst im Fadenkreuz der Linken, wird zunehmend Ziel von Anfeindungen. Info-Veranstaltungen werden angegriffen, Schulen unter Druck gesetzt, Zulieferer und Bundeswehr direkt gewaltsam attackiert. Die Politik bleibt regungslos.

Die Bundeswehr wird damit einem Dilemma ausgesetzt: Der Wehrpflicht beraubt, ist sie auf die Nachwuchswerbung angewiesen. Die aber wird ihr zunehmend erschwert, während politische Rückendeckung der Verantwortlichen Mangelware bleibt.

Die deutsche Truppe wird aufgrund ihrer Personalprobleme seit Aussetzung der Wehrpflicht bereits zunehmend zum Negativbeispiel für benachbarte Staaten. Nach der Bundesrepublik Deutschland stellten auch Österreich und zuletzt die Schweiz die Wehrpflicht auf den Prüfstand – nicht zuletzt unter Verweis auf die schlechten Erfahrungen in Deutschland scheiterten entsprechende Vorhaben allerdings in beiden Ländern an der deutlichen Mehrheit der jeweils befragten Bevölkerung.

Was nun der Bundeswehr bleibt, wenn sie die Nachwuchsprobleme nicht in den Griff bekommt, sind zwei gleichermaßen negativ einschneidende Lösungen: Sie könnte zum einen die qualitativen Anforderungen deutlich herunterschrauben. Das aber hätte zur Folge, daß die Bundeswehr tatsächlich in erster Linie Anlaufstelle für jene wird, die sonst nichts werden. Die Truppe könnte zur gesellschaftlichen Resterampe verkommen. Die zweite Möglichkeit wäre eine weitere Reduzierung des Personalstocks. Der Bundeswehrverband beispielsweise hält angesichts aktueller Entwicklungen einen Bestand von 140.000 Soldaten für mittelfristig realisierbar. Das aber hätte einschneidende Folgen für die Fähigkeiten der Armee. „Breite statt Tiefe“ im Fähigkeitenspektrum – das wäre nicht mehr realisierbar. Die Bundeswehr müßte zahlreiche Kompetenzen wohl komplett aufgeben. Die Fähigkeit, mit allen Teilstreitkräften auf alle denkbaren Konflikte und Krisen angemessen reagieren zu können, hätte sich damit erledigt. Politiker und Militärs machen sich daher zunehmend Sorgen um die Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte. Manche Kritiker erinnern sich aber auch daran, daß die Wehrpflicht nur ausgesetzt worden ist – und nicht gänzlich abgeschafft. Sie liegt im Koma, aber sie ist nicht tot. „Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Fehler“, erklärt General a.D. Ramms. Und er bringt eine dritte Option ins Spiel: Die Rückkehr zur Wehrpflicht „wäre richtig“.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der „Deutschen Militärzeitschrift (DMZ).

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