Österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler: Pius Leitner im ZUERST!-Gespräch
Herr Leitner, Warum wollen Sie Österreicher und nicht Italiener sein?
Leitner: Natürlich sind wir Südtiroler heute italienische Staatsbürger, allerdings nicht aus freier Entscheidung. Weder mein Großvater noch mein Vater haben jemals auf die österreichische Staatsbürgerschaft verzichtet. Warum sollte ich dies tun? Mit der Annexion Südtirols durch Italien nach dem Ersten Weltkrieg wurde den Altösterreichern und ihren Nachfahren der freie Wille genommen. Die Hoffnung, daß dieses Unrecht in einem freien Europa beseitigt werden könnte, hat sich bisher nicht erfüllt. Dabei erkennen die meisten Mitgliedsstaaten der EU sogenannte doppelte Staatsbürgerschaften an. Dies gilt auch für Italien; der Stiefelstaat erlaubt den Auslandsitalienern großzügig die italienische Staatsbürgerschaft. Bei Parlamentswahlen gibt es in Italien vier sogenannte Auslandswahlkreise. Die Sorge, Italien könnte bei der Gewährung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Südtiroler Einwände erheben, ist daher vollkommen unbegründet. Für Südtirol ist aus meiner Sicht jedoch viel wichtiger, nicht vom „Vaterland“ abgenabelt zu werden.
Nun klagen Sie zusammen mit vier weiteren Südtirolern in Wien gegen den Negativentscheid der Magistratsabteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35) über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Warum will man Ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft verweigern?
Leitner: Nachdem ich, zusammen mit weiteren Südtirolern, am 22. Januar dieses Jahres beim zuständigen Amt (Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 – Einwanderung und Staatsbürgerschaft) einen Antrag auf Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Sinne der historischen Abstammung gestellt hatte, lehnte dieses Amt den Antrag am 28. April ab. Im Bescheid wurde mir mitgeteilt, daß ich gemäß Paragraph 42, Absatz 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes Nr. 311/1985 in geltender Fassung nicht österreichischer Staatsbürger sei und daher der Antrag auf Bestätigung meiner Staatsbürgerschaft gemäß Artikel 43, Absatz 1 abgewiesen werde. Begründet wurde die Ablehnung unter anderem damit, daß mein Großvater – 1887 in Freienfeld, Tirol, geboren – „altösterreichischer Staatsbürger und offenbar in einer ehemals Tiroler Gemeinde, die nach dem Ersten Weltkrieg an Italien fiel, heimatberechtigt gewesen ist, so daß er spätestens mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages von Saint-Germain-en-Laye am 16. Juli 1920 unter Ausschluß der österreichischen Staatsbürgerschaft die italienische Staatsbürgerschaft erworben hat“. Und weiter: „Daß die Vorfahren von Herrn Pius Leitner das Heimatrecht in einer bei der Republik Österreich verbliebenen Gemeinde besessen oder erworben haben, ist laut Aktenlage nicht gegeben. Herr Leitner hat daher auch die österreichische Staatsbürgerschaft durch Rechtsnachfolge nach seinem Vater nicht erworben.“ Im Bescheid wird dann auch auf die rechtliche Situation nach dem Zweiten Weltkrieg hingewiesen. Demnach „kam ab 27. April 1945 jenen Personen die österreichische Staatsbürgerschaft zu, die am 13. März 1938 die österreichische Bundesbürgerschaft besessen hatten oder in der Zeit vom 13. März 1938 bis 27. April 1945 bei Weitergeltung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1925 in Rechtsnachfolge nach einem österreichischen Bundesbürger (Abstammung, Legitimation, Ehe) erworben hätten (Paragraph 1 des Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetzes 1949). Auf die in das Gebiet der Republik Österreich aufgrund des deutsch-italienischen Vertrages vom 21. Oktober 1939 umgesiedelten Personen aus Südtirol fanden nach der Befreiung der Republik Österreich die eben erwähnten Bestimmungen keine Anwendung, weil sie am 13. März 1938 die österreichische Bundesbürgerschaft nicht besessen hatten.“ Soweit die Begründung der Ablehnung, die ich natürlich nicht verstehen kann.
Welche Chancen rechnen Sie und Ihre Mitstreiter sich bei Ihrer Klage aus?
Leitner: Es kommt natürlich in erster Linie darauf an, ob die Berufungsinstanz (Verwaltungsgericht Wien) der Begründung der Magistratsabteilung 35 der Wiener Landesregierung ausnahmslos folgt oder ob sie die besondere Situation Südtirols beachtet. Schließlich ist Österreich die „Schutzmacht“ Südtirols, und das Verfahren hat, neben dem rein verwaltungstechnischen Aspekt, eine immense politische Relevanz. Von Chancen will ich erst gar nicht sprechen, es geht mir vor allem um die politische Dimension. Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens ist und bleibt die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler wichtig.
Fühlen Sie sich von Wien in Ihrem Ansinnen unterstützt?
Leitner: Wir haben das Anliegen der „doppelten“ Staatsbürgerschaft in Wien mehrmals vorgetragen, zuletzt auch im Rahmen des sogenannten Südtirol-Unterausschusses. Offene Zustimmung erhielten wir nur von der FPÖ und vom Team Stronach. Die anderen Parlamentsklubs (Fraktionen) nehmen leider eine zögerliche bis ablehnende Haltung ein. An dieser Stelle gilt der Bundes-FPÖ mit HC Strache und dem Südtirolsprecher Werner Neubauer mein aufrichtiger Dank; die FPÖ unterstützt uns auch im vorliegenden Verfahren.
Wie ist die Situation heute für die Südtiroler?
Leitner: Die bevorstehende Verfassungsreform in Italien verspricht für die Südtiroler Autonomie nichts Gutes. Auch wenn eine „Schutzklausel“ für unsere Sonderautonomie eingebaut wird und es für Änderungen unser Einverständnis braucht, so haben wir in letzter Konsequenz kein Vetorecht und sind dem zentralistischen Verfassungsgerichtshof ausgeliefert. Nachdem das „nationale Interesse“ und die „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ des Staates eine Wiederauferstehung erleben, kommt noch eine „Suprematie-Klausel“ des Staates dazu. Da wäre künftig die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler wohl doch die bessere Absicherung, oder?
Für Sportler scheint es heutzutage kein Problem zu sein, schnell und unkompliziert eine zweite Staatsbürgerschaft zu bekommen – warum aber im Fall der Südtiroler?
Leitner: Sportliche Höchstleistungen, mit denen Österreich glänzen könnte, kann ich leider nicht erbringen. Es steht natürlich jedem Staat auch frei, Staatsbürgerschaften so oder anders zu verleihen. Österreich hat im Falle Südtirol aber eine besondere Verantwortung. Ich bedauere auch sehr, daß das offizielle Südtirol den Einsatz Österreichs nicht immer angemessen gewürdigt hat, und ich verstehe, daß der Wunsch vieler Südtiroler nach der österreichischen Staatsbürgerschaft auch bei Menschen in anderen ehemaligen „Kronländern“ Appetit danach auslösen könnte. Seit 1955 ist Österreich ein souveräner Staat und seit 1995 auch Mitglied der EU. Wenn die Türken in EU-Staaten die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen und bald auch noch ohne Visum einreisen dürfen, dann möge man mir erklären, was wir Südtiroler verbrochen haben, daß uns die österreichische Staatsbürgerschaft vorenthalten werden kann.
Im österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht sind Doppelstaatsbürgerschaften nur in Ausnahmefällen erlaubt, argumentieren Skeptiker in Wien. Stellt die Situation in Südtirol etwa keine Ausnahme dar?
Leitner: Eben, Österreich übt über Südtirol die Schutzfunktion aus, damit der Pariser Vertrag – dessen Auslegung übrigens nach wie vor eine Interpretationsfrage ist – auch eingehalten wird. Wie könnte Österreich die Südtiroler besser schützen und absichern als durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft?
Welche Befürchtungen haben die Gegner Ihres Ansinnens?
Leitner: Darüber kann man im Grunde nur spekulieren. Die Sorge, in Südtirol könnten neue ethnische Spannungen auftreten oder gar eine neue „Option“ – so wird die Umsiedlung aufgrund des Hitler-Mussolini-Abkommens von 1939 bezeichnet – bevorstehen, sind reine Panikmache. Anscheinend befürchten einige Politiker eine Verschiebung des parteipolitischen Koordinatensystems, sollten Südtiroler morgen in Österreich auch wählen dürfen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Zum heutigen Zeitpunkt steht für mich fest: Dürften die Südtiroler in Österreich wählen, hieße der nächste Bundespräsident mit Sicherheit Norbert Hofer!
Angenommen, Sie sind mit Ihrer Klage erfolgreich – wird das eine Signalwirkung für die Südtiroler haben?
Leitner: Mit Sicherheit. Egal, wie viele Südtiroler dann um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ansuchen würden, eine erfolgreiche Klage wäre ein unüberhörbares Signal und würde eine engere Bindung ans Vaterland und einen besseren Volksgruppenschutz bewirken. Dazu möchte ich abschließend bemerken, daß sich die Südtiroler insgesamt mehr als bisher bemühen müssen, sich die Staatsbürgerschaft auch zu verdienen. Wir dürfen nicht nur dann Österreicher sein, wenn wir Hilfe brauchen – wie bei Studienplätzen für Medizinstudenten –, sondern wir müssen die ehrliche Absicht auch spürbar machen. Und noch etwas müssen wir Südtiroler uns hinter die Ohren schreiben: Wir haben unsere Autonomie ausschließlich dem Umstand zu verdanken, daß wir keine Italiener sind. Daher hat die österreichische Staatsbürgerschaft für mich in erster Linie nicht so sehr eine verwaltungstechnische Bedeutung, sondern sie ist eine zutiefst emotionale
Angelegenheit, beruhend auf einer geschichtlichen Grundlage. Ich richte mich stets nach dem Motto: Das Vaterland der anderen achte, Dein eigenes aber liebe!
Herr Leitner, vielen Dank für das Gespräch.
Pius Leitner, geboren 1954 in Vals (Südtirol), ist seit 1993 Abgeordneter im Südtiroler Landtag. Nachdem er von Oktober 1994 bis April 2013 Obmann der Südtiroler Freiheitlichen war, ist er nun Ehrenobmann seiner Partei. In der XIV. Legislaturperiode war er Fraktionsvorsitzender der Freiheitlichen im Landtag, Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses und des Sonderausschusses zur Abänderung des Autonomiestatuts. Die Klage um die österreichische Staatsbürgerschaft wurde am 9. Oktober in Wien verhandelt, ein Urteil ist für Ende Oktober in Aussicht gestellt.