„Politische Dimensionen“

24. November 2016
„Politische Dimensionen“
National
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Foto: Symbolbild

Österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler: Pius Leitner im ZUERST!-Gespräch

 

Herr Leitner, Warum wollen Sie Öster­reicher und nicht Italiener sein?

Leitner: Natürlich sind wir Südtiroler heute italienische Staatsbürger, aller­dings nicht aus freier Entscheidung. We­der mein Großvater noch mein Vater haben jemals auf die österreichische Staatsbürgerschaft verzichtet. Warum sollte ich dies tun? Mit der Annexion Südtirols durch Italien nach dem Ersten Weltkrieg wurde den Altösterreichern und ihren Nachfahren der freie Wille ge­nommen. Die Hoffnung, daß dieses Un­recht in einem freien Europa beseitigt werden könnte, hat sich bisher nicht er­füllt. Dabei erkennen die meisten Mit­gliedsstaaten der EU sogenannte doppel­te Staatsbürgerschaften an. Dies gilt auch für Italien; der Stiefelstaat erlaubt den Auslandsitalienern großzügig die italie­nische Staatsbürgerschaft. Bei Parla­mentswahlen gibt es in Italien vier soge­nannte Auslandswahlkreise. Die Sorge, Italien könnte bei der Gewährung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Südtiroler Einwände erheben, ist daher vollkommen unbegründet. Für Südtirol ist aus meiner Sicht jedoch viel wichtiger, nicht vom „Vaterland“ abgenabelt zu werden.

Nun klagen Sie zusammen mit vier wei­teren Südtirolern in Wien gegen den Ne­gativentscheid der Magistratsabteilung für Einwanderung und Staatsbürger­schaft (MA 35) über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Warum will man Ihnen die österreichi­sche Staatsbürgerschaft verweigern?

Leitner: Nachdem ich, zusammen mit weiteren Südtirolern, am 22. Januar die­ses Jahres beim zuständigen Amt (Wie­ner Landesregierung, Magistratsabtei­lung 35 – Einwanderung und Staatsbür­gerschaft) einen Antrag auf Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Sinne der historischen Abstammung gestellt hatte, lehnte dieses Amt den An­trag am 28. April ab. Im Bescheid wurde mir mitgeteilt, daß ich gemäß Paragraph 42, Absatz 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes Nr. 311/1985 in geltender Fassung nicht österreichischer Staatsbürger sei und daher der Antrag auf Bestätigung meiner Staatsbürgerschaft gemäß Artikel 43, Absatz 1 abgewiesen werde. Begrün­det wurde die Ablehnung unter anderem damit, daß mein Großvater – 1887 in Freienfeld, Tirol, geboren – „altöster­reichischer Staatsbürger und offenbar in einer ehemals Tiroler Gemeinde, die nach dem Ersten Weltkrieg an Italien fiel, heimatberechtigt gewesen ist, so daß er spätestens mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages von Saint-Germain-en-Laye am 16. Juli 1920 unter Ausschluß der österreichischen Staatsbürgerschaft die italienische Staatsbürgerschaft erworben hat“. Und weiter: „Daß die Vor­fahren von Herrn Pius Leitner das Hei­matrecht in einer bei der Republik Österreich verbliebenen Gemeinde be­sessen oder erworben haben, ist laut Ak­tenlage nicht gegeben. Herr Leitner hat daher auch die österreichische Staats­bürgerschaft durch Rechtsnachfolge nach seinem Vater nicht erworben.“ Im Bescheid wird dann auch auf die rechtliche Situation nach dem Zweiten Welt­krieg hingewiesen. Demnach „kam ab 27. April 1945 jenen Personen die öster­reichische Staatsbürgerschaft zu, die am 13. März 1938 die österreichische Bun­desbürgerschaft besessen hatten oder in der Zeit vom 13. März 1938 bis 27. April 1945 bei Weitergeltung des Staatsbürger­schaftsgesetzes 1925 in Rechtsnachfolge nach einem österreichischen Bundes­bürger (Abstammung, Legitimation, Ehe) erworben hätten (Paragraph 1 des Staatsbürgerschafts-Überleitungsgeset­zes 1949). Auf die in das Gebiet der Re­publik Österreich aufgrund des deutsch-italienischen Vertrages vom 21. Oktober 1939 umgesiedelten Personen aus Südtirol fanden nach der Befreiung der Republik Österreich die eben erwähnten Bestimmungen keine Anwendung, weil sie am 13. März 1938 die österreichische Bundesbürgerschaft nicht besessen hat­ten.“ Soweit die Begründung der Ableh­nung, die ich natürlich nicht verstehen kann.

Welche Chancen rechnen Sie und Ihre Mitstreiter sich bei Ihrer Klage aus?

Leitner: Es kommt natürlich in erster Linie darauf an, ob die Berufungsinstanz (Verwaltungsgericht Wien) der Begrün­dung der Magistratsabteilung 35 der Wiener Landesregierung ausnahmslos folgt oder ob sie die besondere Situation Südtirols beachtet. Schließlich ist Öster­reich die „Schutzmacht“ Südtirols, und das Verfahren hat, neben dem rein ver­waltungstechnischen Aspekt, eine im­mense politische Relevanz. Von Chan­cen will ich erst gar nicht sprechen, es geht mir vor allem um die politische Dimension. Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens ist und bleibt die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler wichtig.

Fühlen Sie sich von Wien in Ihrem An­sinnen unterstützt?

Leitner: Wir haben das Anliegen der „doppelten“ Staatsbürgerschaft in Wien mehrmals vorgetragen, zuletzt auch im Rahmen des sogenannten Südtirol-Unterausschusses. Offene Zustimmung erhielten wir nur von der FPÖ und vom Team Stronach. Die anderen Parlamentsklubs (Fraktionen) nehmen lei­der eine zögerliche bis ablehnende Hal­tung ein. An dieser Stelle gilt der Bun­des-FPÖ mit HC Strache und dem Süd­tirolsprecher Werner Neubauer mein aufrichtiger Dank; die FPÖ unterstützt uns auch im vorliegenden Verfahren.

Wie ist die Situation heute für die Süd­tiroler?

Leitner: Die bevorstehende Verfassungs­reform in Italien verspricht für die Südtiroler Autonomie nichts Gutes. Auch wenn eine „Schutzklausel“ für unsere Sonderautonomie eingebaut wird und es für Änderungen unser Einverständnis braucht, so haben wir in letzter Konsequenz kein Vetorecht und sind dem zentralistischen Verfassungsgerichtshof ausgeliefert. Nachdem das „nationale In­teresse“ und die „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ des Staates eine Wiederauferstehung erleben, kommt noch eine „Suprematie-Klausel“ des Staa­tes dazu. Da wäre künftig die österreichi­sche Staatsbürgerschaft für Südtiroler wohl doch die bessere Absicherung, oder?

Für Sportler scheint es heutzutage kein Problem zu sein, schnell und unkompli­ziert eine zweite Staatsbürgerschaft zu bekommen – warum aber im Fall der Südtiroler?

Leitner: Sportliche Höchstleistungen, mit denen Österreich glänzen könnte, kann ich leider nicht erbringen. Es steht natürlich jedem Staat auch frei, Staats­bürgerschaften so oder anders zu verlei­hen. Österreich hat im Falle Südtirol aber eine besondere Verantwortung. Ich bedauere auch sehr, daß das offizielle Südtirol den Einsatz Österreichs nicht immer angemessen gewürdigt hat, und ich verstehe, daß der Wunsch vieler Süd­tiroler nach der österreichischen Staats­bürgerschaft auch bei Menschen in an­deren ehemaligen „Kronländern“ Appe­tit danach auslösen könnte. Seit 1955 ist Österreich ein souveräner Staat und seit 1995 auch Mitglied der EU. Wenn die Türken in EU-Staaten die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen und bald auch noch ohne Visum einreisen dür­fen, dann möge man mir erklären, was wir Südtiroler verbrochen haben, daß uns die österreichische Staatsbürger­schaft vorenthalten werden kann.

Im österreichischen Staatsbürgerschafts­recht sind Doppelstaatsbürgerschaften nur in Ausnahmefällen erlaubt, argu­mentieren Skeptiker in Wien. Stellt die Situation in Südtirol etwa keine Aus­nahme dar?

Leitner: Eben, Österreich übt über Süd­tirol die Schutzfunktion aus, damit der Pariser Vertrag – dessen Auslegung üb­rigens nach wie vor eine Interpretationsfrage ist – auch eingehalten wird. Wie könnte Österreich die Südtiroler besser schützen und absichern als durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft?

Welche Befürchtungen haben die Geg­ner Ihres Ansinnens?

Leitner: Darüber kann man im Grunde nur spekulieren. Die Sorge, in Südtirol könnten neue ethnische Spannungen auftreten oder gar eine neue „Option“ – so wird die Umsiedlung aufgrund des Hitler-Mussolini-Abkommens von 1939 bezeichnet – bevorstehen, sind reine Pa­nikmache. Anscheinend befürchten ei­nige Politiker eine Verschiebung des parteipolitischen Koordinatensystems, sollten Südtiroler morgen in Österreich auch wählen dürfen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Zum heutigen Zeitpunkt steht für mich fest: Dürften die Südtiroler in Österreich wählen, hieße der nächste Bundespräsident mit Sicherheit Norbert Hofer!

Angenommen, Sie sind mit Ihrer Klage erfolgreich – wird das eine Signalwir­kung für die Südtiroler haben?

Leitner: Mit Sicherheit. Egal, wie viele Südtiroler dann um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an­suchen würden, eine erfolgreiche Klage wäre ein unüberhörbares Signal und würde eine engere Bindung ans Vaterland und einen besseren Volksgruppenschutz bewirken. Dazu möchte ich abschließend bemerken, daß sich die Südtiroler insgesamt mehr als bisher bemühen müs­sen, sich die Staatsbürgerschaft auch zu verdienen. Wir dürfen nicht nur dann Österreicher sein, wenn wir Hilfe brau­chen – wie bei Studienplätzen für Medi­zinstudenten –, sondern wir müssen die ehrliche Absicht auch spürbar machen. Und noch etwas müssen wir Südtiroler uns hinter die Ohren schreiben: Wir ha­ben unsere Autonomie ausschließlich dem Umstand zu verdanken, daß wir kei­ne Italiener sind. Daher hat die öster­reichische Staatsbürgerschaft für mich in erster Linie nicht so sehr eine verwal­tungstechnische Bedeutung, sondern sie ist eine zutiefst emotionale

Angelegen­heit, beruhend auf einer geschichtlichen Grundlage. Ich richte mich stets nach dem Motto: Das Vaterland der anderen achte, Dein eigenes aber liebe!

Herr Leitner, vielen Dank für das Ge­spräch.

 

Pius Leitner, geboren 1954 in Vals (Südtirol), ist seit 1993 Abgeordneter im Südtiroler Landtag. Nachdem er von Oktober 1994 bis April 2013 Obmann der Südtiroler Freiheitlichen war, ist er nun Ehrenobmann seiner Partei. In der XIV. Legislaturperiode war er Fraktionsvorsitzender der Freiheitlichen im Landtag, Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses und des Sonderausschusses zur Abände­rung des Autonomiestatuts. Die Klage um die österreichische Staatsbürger­schaft wurde am 9. Oktober in Wien verhandelt, ein Urteil ist für Ende Oktober in Aussicht gestellt.

 

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