Kiew. In der Ukraine haben sich die Hoffnungen auf eine friedliche Beilegung des Konflikts jüngst gründlich verflüchtigt. Kiew setzt neuerdings wieder auf eine militärische Lösung und hat zu diesem Zweck am 7. Januar – dem orthodoxen Weihnachtsfest – Truppen zur Rückeroberung des abspenstigen Ostteils des Landes in Marsch gesetzt.
Vorausgegangen war im Herbst eine Reihe herber militärischer Niederlagen der regulären ukrainischen Armee, die mit erheblichen Verlusten an Menschenleben und Material einhergingen. Seither wurden die Streitkräfte umstrukturiert, teilweise mit neuem Gerät ausgestattet, defektes Kriegsmaterial wurde teilweise aus Alt- und Lagerbeständen wieder instand gesetzt. Fachleute haben allerdings erhebliche Zweifel an der militärischen Schlagkraft der reorganisierten Truppenteile, nicht zuletzt deshalb, weil in den Kämpfen 2014 zahlreiche Offiziere ausgefallen sind.
Aber auch mit den Mannschaften, die aus Wehrpflichtigen bestehen, gibt es Probleme. Deren Moral ist nämlich im Keller. Immer wieder desertieren Einberufene, die keinerlei Verständnis dafür haben, daß sie in einem Bruderkrieg gegen ihre russischstämmigen Mitbürger im Osten des Landes verheizt werden sollen. Manche wechseln zu den Rebellen, manche versuchen ins Ausland – vor allem nach Rußland – zu flüchten. Immer wieder melden die Rebellen, daß ganze Kompanien überlaufen – und Rußland hat jungen Ukrainern, die in den Krieg gegen die Menschen im Südosten ziehen müßten, den zeitweiligen Aufenthalt im Lande erleichtert. Studieren statt sterben, lautet die Devise.
Um ihre Streitkräfte bei Laune zu halten, hat sich die Kiewer Regierung jetzt etwas Neues ausgedacht und regelrechte Abschußprämien ausgelobt. Dabei ist Kiew kaum in der Lage, den regulären Sold auszubezahlen. 2.400 Euro soll es für einen zerstörten Panzer, 6.000 Euro für einen abgeschossenen Kampfjet geben. Dabei verfügen die Rebellen-Einheiten, die die „Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk verteidigen, überhaupt nicht über Kampfflugzeuge.
Außerdem will Kiew den Sold generell anheben. Für jeden Tag im Kampfeinsatz soll es künftig 50 Euro geben. Eine Maßnahme, die für viele Soldaten wenig glaubhaft wirkt, denn die schlecht bezahlten Soldaten beklagen sich schon jetzt darüber, daß sie ihren Sold entweder gar nicht oder viel zu spät ausbezahlt bekommen.
Ermöglicht werden soll der lukrative Wehrdienst unter Ernstfallbedingungen ausgerechnet durch das frische Geld aus der EU, vom IWF, aus den USA und weiteren Kapitalgebern. Anders ausgedrückt: Mit jedem neuen Kreditpaket für die Ukraine wird nicht etwa die Wirtschaft des maroden Landes angekurbelt, werden nicht etwa Löhne ausbezahlt oder Gasrechnungen beglichen – sondern wird der Krieg der Regierungs Poroschenko angeheizt. Besonders zynisch ist dabei, daß ausgerechnet Deutschland, das sich als Lehre aus seiner Vergangenheit einer besonders aktiven Friedenspolitik verpflichtet sieht, nun mit Finanzhilfen für Kiew dafür sorgt, daß im Kielwasser der auch von Berlin mitgetragenen Eskalationspolitik in der Ukraine erneute zahllose Menschen sterben.
Angesichts der anhaltenden Mobilisierungsprobleme in den Streitkräften hat die Kiewer Regierung zuletzt die Ausreisebedingungen verschärft. Denn auch auf die jüngste Einberufungskampagne, mit der Zehntausende weiterer Wehrpflichtige und Reservisten für den Krieg gegen die abspenstigen „Volksrepubliken“ im Osten mobilisiert werden sollen, haben viele junge Männer mit Desertion reagiert. Präsident Poroschenko hat die Behörden daraufhin angewiesen, die Ausreisebedingungen für Einberufene zu verschärfen. Zudem soll die Militärführung in Kiew die Rotation der Einheiten in den Kampfgebieten verbessern, damit möglichst viele Einberufene Kampferfahrung erhalten.
Erst vor wenigen Tagen wurde damit begonnen, rund 100.000 Reservisten zu bewaffnen. Auch daraufhin sind bereits wieder Tausende ins Ausland geflüchtet. (ds)