Wettrüsten auf dem Meeresgrund: „Seabed Warfare“ eröffnet der Unterwasser-Kriegsführung ganz neue Perspektiven

29. September 2022
Wettrüsten auf dem Meeresgrund: „Seabed Warfare“ eröffnet der Unterwasser-Kriegsführung ganz neue Perspektiven
International
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Foto: Symbolbild

In der Deutschen Militärzeitschrift (DMZ) erschien in der Ausgabe 148 (Juli-August 2022) der folgende Beitrag, der sich mit der Unterwasser-Kriegsführung (engl. „Seabed Warfare“) im 21. Jahrhundert und ihrer Bedeutung für die Geo- und Sicherheitspolitik beschäftigt. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen rund um die Sabotageakte und Angriffe auf die Ostsee-Pipelines „Nord Stream“ 1 und 2 hat dieser Beitrag unerwartete Aktualität gewonnen.

Wettrüsten auf dem Meeresgrund

„Seabed Warfare“ eröffnet der Unterwasser-Kriegsführung ganz neue Perspektiven

Vor dem Hintergrund der jüngsten Spannungen mit Rußland wurde die russisch-deutsche Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 vor wenigen Wochen auf Eis gelegt. Die milliardenschwere Röhre, die eigentlich zur Versorgung Europas mit preisgünstigem russischen Gas beitragen sollte, wird bis auf weiteres ihren Betrieb nicht aufnehmen.

Damit hat neben westlichen Politikern auch der eine und andere NATO-Offizier eine Sorge weniger. Denn die hartumkämpfte Ostsee-Pipeline bereitet nicht nur transatlantischen Polit-Strategen Kopfzerbrechen, sondern auch westlichen Militärs: Seit langem steht der Verdacht im Raum, daß die Russen, die vertragsgemäß für Wartung, Überwachung und Kontrolle der Pipeline zuständig gewesen wären, die Röhre auch für klandestine militärische Zwecke hätten nutzen können.

Schon haben westliche Beobachter registriert, daß hochsensible Sonaranlagen zum Stützpunkt der Baltischen Flotte in Kronstadt bei Sankt Petersburg geliefert wurden, die in aller Heimlichkeit mit dem parallel zur Pipeline verlaufenden Glasfaserkabel verbunden werden sollten. Die russische Marine hätte sich dadurch ein leistungsfähiges Frühwarnsystem gegen westliche Über- und Unterwassereinheiten verschafft.

„Diese Sorge muß man ernst nehmen“, schreibt dazu das Sicherheits-Magazin Loyal. „Mit jeder Wartungsarbeit an der Pipeline durch russische Crews wächst die Gefahr, daß dabei Installationen vorgenommen werden, die militärische Zwecke haben und Unterseeboote der NATO bedrohen oder gar Kommunikationslinien. Dieser Aspekt ist in den Genehmigungsverfahren für die Pipeline nicht berücksichtigt worden.“

Der (englische) Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang lautet: Seabed Warfare, im Deutschen am ehesten übersetzbar mit: Kriegsführung auf dem Meeresgrund. Westliche Militärs haben dabei vor allem die russische Seite im Blick, der in einschlägigen Szenarien „niederschwellige“ Angriffe etwa auf Unterseekabel und transozeanische Internetverbindungen zugetraut werden. Aber auch von der „Nutzbarmachung des Meeresbodens und der Wassersäule als alternativem militärischen Operations-, Navigations- und Kommunikationsraum“ ist die Rede. Russischen Meeres- und Tiefseeforschungen sei dabei prinzipiell zu mißtrauen, liege doch der Verdacht nahe, daß sie – etwa vom „Hauptdirektorat für Tiefseeforschung“ (GUGI) – dafür genutzt werden, die Verläufe untermeerischer Kabel- und Kommunikationsverbindungen in Erfahrung zu bringen.

In der Draufsicht westlicher Marinestäbe werden hier die Konturen eines künftigen „asymmetrischen“ Konfliktszenarios sichtbar: Russische U-Boote, die heute leiser, schneller und schwerer zu orten sind als vor dreißig Jahren, könnten der zivilen und militärischen Infrastruktur des Westens mit vergleichsweise geringem Aufwand erheblichen Schaden zufügen, indem sie beispielsweise Tiefseekabel manipulieren oder Datenströme anzapfen – Operationen, für die moderne U-Boote der NATO-Seestreitkräfte aber ebenfalls ausgelegt sind. Allerdings verfügt Rußland als eurasische Kontinentalmacht über den Vorteil, im militärischen Konfliktfall nicht auf die großen transozeanischen Kommunikationsstränge angewiesen zu sein. Die russischen Unterwasserstreitkräfte könnten sich auf die komfortable Rolle des Angreifers fokussieren, der mit kleinen hochbeweglichen und hochspezialisierten Unterwassereinheiten die untermeerische Kommunikations-Infrastruktur der NATO angreift: ein Missionsprofil mit überschaubarem Risiko und im Erfolgsfall empfindlichen Beeinträchtigungen für die transatlantische Kommunikation des Westens. Der größte Teil der Internetkommunikation fließt nach wie vor durch die unterseeischen Kabelverbindungen zwischen Europa und Amerika.

Westliche Rüstungsfirmen haben die Herausforderung inzwischen erkannt und stellen sich auf einen neuen Rüstungswettlauf ein: diesmal auf dem Meeresgrund. So sollen die leiser gewordenen russischen U-Boote von ihrerseits deutlich empfindlicher gewordenen westlichen Sensorketten aufgespürt werden. Gedacht ist zudem an Kampfroboter, die U-Boote ins Visier nehmen: möglichst autonom, gestützt auf künstliche Intelligenz. Die Drohnen-Kriegführung, die in der Luft immer deutlichere, bisweilen futuristische Konturen annimmt, ist dabei, auch die Meere zu erobern.

Und hier wird es wirklich futuristisch: schon vor einigen Jahren testete die U.S. Navy einen lautlosen Roboterfisch-Spion. „Ghost Swimmer“ sieht wie ein Fisch aus und bewegt sich auch so. Inspiriert wurde der 1,50 Meter lange und rund 40 Kilogramm schwere Roboterfisch von der Natur. Entwickelt wurde die Unterwasserdrohne von Ingenieuren der US-Marine und der Firma Boston Engineering. „Ghost Swimmer“ kann per Joystick ferngesteuert werden oder auch autonom schwimmen – eine echte Unterwasserdrohne.

Der etwa Thunfisch-große Unterwasserroboter soll künftig für Überwachungs- und Aufklärungsmissionen in feindliche Gewässer schwimmen können – und zwar beinahe lautlos. Die Fortbewegung ist echten Fischen nachempfunden, indem er seine Schwanzflosse hin und her schlägt. Dadurch ist er viel wendiger und leiser als vergleichbare Geräte, die mit einer herkömmlichen Schraube angetrieben werden.

Das Aufgabenspektrum der Fischdrohne ist breitgefächert: „Ghost Swimmer“ soll nicht nur in feindlichen Gewässern zum Einsatz kommen, sondern auch Kontrollaufgaben durchführen, zum Beispiel an Schiffsrümpfen. Dafür wird der Robo-Fisch über ein 150 Meter langes Kabel mit einem Laptop verbunden. Für Vorstöße in gegnerische Meeresareale kann er dank starker Akkus auch ohne Kabel schwimmen und dort völlig autonom seine Mission erfüllen – etwa die Überwachung der sensiblen Unterwasserkabel oder das Aufspüren gegnerischer U-Boote. 

Bei Tests auf dem Gelände der Marinebasis Little Creek im US-Bundestaat Virginia sammelte „Ghost Swimmer“ erste Erfahrungen über die Gezeiten, Strömungen, Wirbel und Wetterbedingungen. Die einprogrammierte Software ist selbst-optimierend, das heißt, die Fisch-Drohne „lernt“ und optimiert so ihre Programm- und Bewegungsabläufe.

„Die Idee dahinter ist es, Millionen Jahre der Evolution zu nutzen“, erklärt Projektmanager Jerry Lademann, Hauptmann im U.S. Marine Corps. „Dieser Fisch hat sich perfektioniert, indem er jahrtausendelang durchs Wasser geschwommen ist. Was wir mit dem Projekt versuchen, ist, nachzubauen, was die Natur bereits getan hat. Dadurch optimieren wir unseren Entwurf.“

Natürlich ist es naheliegend, den High-Tech-Fisch für besondere Missionen auch mit Waffen auszustatten. Darüber verlautete bislang nichts Konkretes. Projektmanager Loper unterstreicht, daß noch längst nicht alle Anwendungsmöglichkeiten des Systems ausgereizt seien. Die eigentlichen Kampfaufträge dürften aber zumindest unter Wasser bis auf weiteres noch bemannten U-Booten vorbehalten bleiben. Ihnen freilich werden automatisierte Fisch-Drohnen wie der „Ghost Swimmer“ von Little Creek künftig zunehmend das Leben schwermachen. Ganz ohne Risiko wird der Kampf gegen Unterwasserkabel und die transatlantische Internet-Kommunikation am Meeresboden auch in Zukunft nicht sein. Das Wettrüsten in der Tiefe hat gerade erst begonnen.

Reinhold Krug/Hagen Eichberger

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2 Kommentare

  1. Beobachter sagt:

    Ein sehr wertvoller Artikel. Genau in diese Richtung scheint es beim Sabotage Akt an der Pipeline zu gehen.
    Die Nato Konfrontation ist im vollen Gange. Die Nato scheint sehr gute Karten zu haben. Allein wenn man schon an die Musk Satteliten denkt. Ein Beitrag der auch lohnen würde, hier veröffentlicht werden.

    • Spionageabwehr sagt:

      @Beobachter
      Ja, ein Bericht zu dem Musk-Satelliten wäre sehr interessant.
      Aktueller Stand und was sie können.
      Im Februar hatte er bereits 2.000 im Einsatz,
      sein Ziel ist 12.000.

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