ZUERST!-Hintergrund: Ukraine – Wie mit Religion Politik betrieben wird

4. Dezember 2020
ZUERST!-Hintergrund: Ukraine – Wie mit Religion Politik betrieben wird
International
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Foto: Symbolbild

Kiew. Seit Jahren nimmt die Rolle, die der christlich-orthodoxe Glaube bei den Menschen vor allem in Rußland und in der Ukraine spielt, zu. Doch ein Aspekt wird dabei meistens vergessen: Es geht nicht nur um den Glauben, um Religion – es geht auch um Macht- und vor allem um Geopolitik.

Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die jüngsten Kommunalwahlen in der Ukraine, die am 25. Oktober stattfanden. Hier ging es bei weitem nicht nur um Gemeinderäte und Bürgermeister – es ging auch hier um eine politische Richtungsentscheidung. Die Organisation „Internationale Allianz für Religionsfreiheit“, die 2019 auf Initiative des damaligen US-Außenministers Mike Pompeo gegründet wurde, beeinflußte die ukrainischen Wahlen mit einem warmen Geldregen von 50 Millionen US-Dollar. Diese flossen vor allem an Kandidaten, die von der sogenannten Orthodoxen Kirche der Ukraine – gegründet 2018 unter kräftiger Mithilfe des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko – nahestehen. Beide Organisationen sind Mitglied in der „Internationalen Allianz für Religionsfreiheit“. Beide Organisationen sind stramm pro-westlich und anti-russisch ausgerichtet. Folglich profitierten von der finanziellen Unterstützung vor allem ukrainische Chauvinisten, die jetzt Schlüsselpositionen in den Gemeinderäten besetzen.

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Auch in Weißrußland kann man ein ähnliches Szenario beobachten: Hier sind es vor allem pro-westliche katholische Würdenträger – oftmals mit guten Verbindungen in das pro-westliche und katholische Polen -, die die Proteste unterstützen. Die orthodoxe Kirche hingegen tritt immer wieder für Versöhnung und Gespräche zwischen den Protestlern und der Regierung ein. Dort eskalierte dieser Konflikt mit dem Einreiseverbot für den katholischen Erzbischof von Minsk, Tadeusz Kondrusiewicz durch die weißrussische Regierung. Der Vorwurf: Der katholische Bischof habe die Konflikte angeheizt. Und auch in Serbien, Montenegro, Albanien und Mazedonien werden geopolitische Konflikte über die Kirchen ausgetragen.

Doch nach wie vor ist die Ukraine das Paradebeispiel für die geopolitische Rolle, die vor allem die Organisationsstrukturen der Kirchen spielen kann. Und in diesem Kampf um Kiew spielen die orthodoxen Kirchen eine entscheidende Rolle.

Insgesamt gibt es derzeit 15 anerkannte orthodoxe Kirchen, meist den jeweiligen Ländern zugeordnet. Die Probleme beginnen aber genau dort, wo sich eine Kirche nicht mehr einem Staat zuordnen läßt. Das ist bei der „Orthodoxen Kirche in Amerika“ beispielsweise der Fall, der vor allem russischstämmige Einwanderer und deren Nachfahren angehören. Aber es gibt auch orthodoxe Kirchen, die gar keinen Staat mehr haben – beispielsweise die Kirchen von Alexandria (Ägypten) und Konstantinopel (Istanbul in der Türkei). Konstantinopel gilt indes als die „Erste unter Gleichen“, als „Führungs-Kirche“. Gleichzeitig steht aber gerade sie unter Einfluß von außen: Einerseits aus den USA, wo sich die Hälfte aller „Gemeindemitglieder“ befinden und von wo die finanzielle Unterstützung kommt, aber auch die Türkei übt erheblichen Einfluß aus – immerhin befindet sie sich auf türkischem Territorium.

Das Problem liegt auf der Hand: Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre mußten auch die religiösen Angelegenheiten neu sortiert werden. Die überwiegende Mehrheit der Gläubigen in der Ukraine sind aktive Gemeindemitglieder oder fühlen sich kulturell mit der Orthodoxie verbunden. Bis 1990 gab es auf dem Territorium der weißrussischen und ukrainischen SSR sogenannte Exarchate – kirchliche Gerichtsbarkeiten, die dem Moskauer Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROC) unterstellt waren. Im Januar 1990 verabschiedete die ROC durch einstimmigen Ratsbeschluß die historische, sogenannte „Exarchatsverordnung“, die den ukrainischen und weißrussischen Exarchaten das Recht auf volle Selbstverwaltung, Verwaltung der Finanzen usw. einräumte. Ebenfalls mit Zustimmung des Moskauer Patriarchats erhielt das ukrainische Exarchat das Recht, als unabhängige Kirche bezeichnet zu werden. Heute gehörten dieser Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOC MP) die weit überwiegende Mehrheit der ukrainischen Gläubigen an.

Aber es gab bereits sehr früh Spaltungsbestrebungen. Diese waren nicht zuletzt politisch motiviert. 1990 wurde Philaret (Filaret Denyssenko) nach dem Tod von Patriarch Pimen kurzzeitig kommissarisches Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche. Bei der anschließenden Wahl des neuen Patriarchen wurde er jedoch nicht gewählt. Philaret war für seine spalterischen Tendenzen bekannt und machte aus seinen anti-russischen Ressentiments kein Geheimnis. Er knüpfte Kontakte zu anti-russischen, ukrainischen Chauvinisten und wurde später zum Patriarchen der selbsternannten „Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats“ (OUC KP), die allerdings von keiner einzigen der orthodoxen Kirchen anerkannt wird. Filaret Denyssenko war allerdings umtriebig und bemühte sich um Unterstützung – sowohl aus den USA, aber auch vom Patriarchat von Konstantinopel.

In Moskau war man alarmiert und versuchte das Band mit den Ukrainern zu stärken. Auf dem Rat der Russisch-Orthodoxen Kirche in Moskau, an dem auch alle Bischöfe der UOC teilnahmen, einigte man sich auf eine Definition bezüglich der Beziehung zueinander. Dies geschah zur Bestätigung des Status der Unabhängigkeit und Autonomie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, „die das Recht auf weitgehende Autonomie erhalten hat, wie vom Bischofsrat der Russisch-Orthodoxen Kirche 1990 definiert“. Hier ging es Moskau vor allem auch darum, die ukrainischen Chauvinisten und anti-russischen Aktivisten innerhalb der Kirche zu besänftigen.

Im Jahr 2014 mit dem sogenannten „EuroMaidan“ kam der Ball allerdings wieder ins Rollen. Und die politische Großwetterlage hatte sich entscheidend verändert: Die ukrainischen, anti-russischen Kirchenaktivisten witterten plötzlich Morgenluft, gleichzeitig erkannte der Westen das explosive Potential dieses schwelenden Konflikts innerhalb der Kirche. Petro Poroschenko, Großindustrieller und ab Juni 2014 ukrainischer Präsident erkannte die Chance ebenfalls und bat beim Patriarchat von Konstantinopel erfolgreich um das Zertifikat für Autokephalie – also um die offizielle Anerkennung einer von Moskau unabhängigen und gleichzeitig von Konstantinopel anerkannten, orthodoxen Kirche. In der Folge wurde die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OCCU) gegründet. Sie entstand 2018 durch Fusion der beiden nicht als kanonisch anerkannten nationalen Kirchen, der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche. Vor allem Filaret Denyssenko konnte dies als einen persönlichen Sieg verbuchen. Und auch Poroschenko ließ es sich nicht nehmen, eine Tour durch die ukrainischen Regionen zu unternehmen, um dort kräftig für sich und die OCCU PR zu betreiben.

Allerdings enttäuschte die Entwicklung der OCCU bislang die Erwartungen. Es kam nicht zum Massenübertritt in die brandneue, pro-westliche und stramm ukrainisch-nationalistische Kirche. Viele andere orthodoxe Kirchen haben die OCCU bis heute nicht anerkannt. Im Gegenteil: Die religionspolitische Krise in der Ukraine bereitet vielen orthodoxen Beobachtern geradezu Bauchschmerzen. Denn während die OCCU getätschelt und gehätschelt wird, ordnet die Regierung Razzien gegen Kirchen und Klöster der UOC MK an. Das pro-amerikanische Patriarchat von Konstantinopel gibt dazu seinen „Segen“ oder schaut einfach weg. Doch trotz Zuckerbrot für die OCCU und Peitsche für die UOC MP – die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Orthodoxen bleibt beim Moskauer Patriarchat.

Im Jahr 2019 verlor Petro Poroschenko die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine, seitdem befindet er sich in der Opposition. Mit der neuen Kirche, als deren Gründer er sich fühlt, ist er hingegen unzufrieden. Anstatt die Gläubigen zu Übertritt zu bewegen, bleibt sie eine kleine, nationalistische Sekte. Statt Seelsorge betreibt sie vor allem Kriegspropaganda und setzt sich für eine militärische Lösung im Donbass-Konflikt ein, wo sich 2014 die beiden kleinen Volksrepubliken Donezk und Lugansk von der Ukraine losgesagt haben. Die UOC MP hingegen tritt immer wieder mit Friedensinitiativen auf den Plan. Bei den Gläubigen in der Ukraine kommt dies wesentlich besser an.

Trotzdem haben Kiew und der Westen das Projekt der Kirchenspaltung in der Ukraine noch lange nicht aufgegeben, wie die letzten Kommunalwahlen im Oktober zeigen. Beobachter und Experten erwarten sogar, daß die Rolle der Religion sogar noch wichtiger werden wird. (CF)

Bildquelle: President of Ukraine/CC BY 4.0

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