Herr Kalbitz, mit 23,5 Prozent der Wählerstimmen konnte die AfD in Brandenburg das Wahlergebnis der vorhergehenden Landtagswahlen von 12,2 Prozent beinahe verdoppeln. Obwohl CDU, SPD und Linke teils massive Einbrüche hinnehmen mußten und auch der Höhenflug der Grünen gestoppt wurde, versuchen etablierte Medien und Altparteien den AfD–Triumph kleinzureden. Wie bewerten Sie selbst das Wahlergebnis?
Kalbitz: Dieses Wahlergebnis war als Gemeinschaftswerk der AfD Brandenburg ein großer Erfolg. Dabei ging und geht es natürlich nicht nur um die Veränderung des parteipolitischen Koordinatensystems in Brandenburg. Zusammen mit dem großen Erfolg in Sachsen ist das bundespolitische Signal deutlich: Die AfD ist gekommen, um zu bleiben, und es läßt sich zunehmend schwerer an uns vorbei Politik machen. Die Ex-Volksparteien CDU und SPD marginalisieren sich durch ihre Inhalts- und Konturenleere, und der quasireligiöse „Hype“ der grünen Klimasekte beginnt zu ernüchtern. Es ist trotzdem erstaunlich, wie sich die Verlierer als Gewinner gerieren. Das scheint mir im Moment aber eher eine der Stockstarre geschuldete Reflexhandlung zu sein als eine sachliche Bewertung, geschweige denn Strategie…
Gelten im Osten andere Maßstäbe? Ist die AfD hier längst Volkspartei?
Kalbitz: Für den Osten lassen sich sicher zwei Entwicklungen konstatieren. Die AfD hat sich schnell eine solide Stammwählerschaft, besonders auch bei jungen Wählern, und deshalb zukunftsfest, aufgebaut. Zweitens definieren immer mehr Wähler die AfD nicht über Protest, sondern über unsere Kernthemen und Inhalte. Ich halte es nicht für übertrieben, die AfD auf dem sicheren Weg zu einer rechts-bürgerlichen Volkspartei zu sehen. Dabei ist mir besonders wichtig, die Kern- und Gründungsideale der AfD stets vor Augen zu behalten. Es geht ja nicht um Partizipation im Sinne von Teilhabe an den Fleischtöpfen der Politik, sondern um einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel innerhalb des demokratischen Systems für unser Land, den Deutschland dringend nötig hat.
Im Tenor „Was bilden sich die Ossis eigentlich ein?“ – so das Main-Echo – wurde nicht nur die Alternative für Deutschland attackiert, sondern wurden auch die Wähler in Brandenburg und Sachsen pauschal als dumpfe, einfältige und zurückgebliebene „Ossis“ dargestellt. Die Spaltung in West und Ost scheint größer als angenommen. Sie selbst kommen aus dem Westen, sind nun Wahl–Brandenburger. Spüren auch Sie die Unterschiede, ist unser Land gespalten?
Kalbitz: Ob es wirklich eine „Spaltung“ in der breiten Masse unseres Volkes gibt, vermag ich nicht zu beurteilen. Nicht zu übersehen ist aber: Das gegenseitige Unverständnis ist 30 Jahre nach der Wende immer noch groß, und es gibt Gräben. Die Politik der Altparteien hat unser Land und seine Gesellschaft segmentiert – Deutschland hat sich auch bei der inneren Einheit zu wenig mit sich selbst beschäftigt in Sachen Identität und war politisch zu sehr damit befaßt, lieber die Welt zu retten. Dies wird aktuell, allen Sonntagsreden zum Trotz, besonders vom etablierten politisch-medialen Kartell angeheizt und katalysiert, um nach dem jahrelangen Desinteresse jetzt einen „Anti-AfD-Panikmodus“ zu erzeugen. Eine sachliche Auseinandersetzung ist den Ex-Volksparteien ja durch praktisches Versagen und fehlende Inhalte schwer möglich. Identitäts- und Freiheitsbewußtsein empfinde ich im Osten aber deutlich stärker bewahrt.
Sie waren während des Wahlkampfes massiven persönlichen Pressekampagnen, teils unter der Gürtellinie, insbesondere von Welt und Spiegel, ausgesetzt. Doch anders als von diesen Medien bezweckt, haben Sie in der Schlußphase gegenüber den Umfragen sogar noch Stimmenzugewinne erzielt. Welche Grundsatzüberlegungen stecken hinter Ihrer Strategie, solche Kampagnen ohne wortreiche Rechtfertigungen an sich abperlen zu lassen?
Kalbitz: Es ging und geht vielen dieser Medien ja nicht mehr um objektive Berichterstattung. Mit dem Übergang vom „Tendenzjournalismus“ zum klaren politischen „Haltungsjournalismus“ ist die AfD für große Teile des etablierten Journalismus schlicht zum Feindbild geworden, und man bemüht sich mehr, Narrative von der „bösen Nazi-AfD“ zu unterfüttern, auch wenn man sich hinter einem immer durchschaubareren „Scheinobjektivismus“ verbirgt. Aber immer mehr Menschen nehmen dies sehr wohl wahr, und der Bogen wurde überspannt. Manch betroffenes Journalistengesicht zeigt: Die mediale Deutungshoheit schwindet drastisch, die Möglichkeiten medialer „Steuerung“ gehen verloren. Das ist auch ein Erfolg unseres Kurses, mit deutlicher Sprache und klaren Begriffen gegen die Einengung des Sagbaren zu kämpfen in einem Klima überbordender Tabuisierungen und politischer „Korrektheit“. Wem nützt es, wenn wir über hingehaltene Stöckchen springen? Was persönliche Angriffe gegen mich und meine Familie im Privaten angeht, halte ich es mit dem guten alten Sprichwort: „Was schert’s die deutsche Eiche, wenn sich die Sau dran reibt.“
Nach einer Legislaturperiode im Landtag: Spiegeln sich fünf Jahre Parlamentsarbeit in den Wahlergebnissen wider?
Kalbitz: Ich bin sicher, daß die Arbeit der AfD-Fraktion Brandenburg einen wichtigen Anteil an unserem Erfolg hatte. Wir haben von Anfang an ein großes Augenmerk darauf gelegt, mit vielen Veranstaltungen und massiver Öffentlichkeitsarbeit Anträge, Initiativen und Inhalte nach außen zu transportieren, die den medialen „Filter“ sonst nicht durchdringen. Dieser hochfrequente Kontakt zu den Menschen – gerade auf dem Land – hat sich auch im Wahlkampf für die Partei bewährt. Runter vom Bürostuhl, raus auf die Straße, zu den Menschen. Volksvertretung wieder zu dem machen, was es ist: die Abgeordneten als „Angestellte“ der Wähler, nicht umgekehrt.
Auch in der Sachpolitik vor Ort legt die AfD immer wieder den Finger in die Wunde. Ist dieses beharrliche Bohren dicker Bretter in den Kommunalparlamenten das Geheimnis des AfD–Erfolges in Brandenburg?
Kalbitz: Der Erfolg bei den letzten Kommunalwahlen ist auf jeden Fall ein sehr wichtiger Baustein auch in der Verwurzelung vor Ort. Hier entstehen bei der Basis der anderen Parteien durch den persönlichen Kontakt und die praktische Arbeit auch „Entdämonisierungseffekte“. Die schaffen die Grundlage für eine weitere Versachlichung. Es sind vor allem die Parteioberen der Altparteien, die sich weiterhin in Hysterie, Ab- und Ausgrenzungen ergehen. In der Kommunalpolitik liegt allerdings – besonders im Westen – noch einiges an Arbeit vor uns. Wir haben diese kommunale Verankerung hier in Brandenburg vorbereitet mit intensiver Kandidatensuche, -schulung und -weiterbildung, um den „handwerklichen Unterbau“ zu schaffen. Wir haben weder die Entwicklungszeit der Altparteien, noch können wir auf die Gnade irgendeiner „Schonfrist“ durch unsere Gegner rechnen. Die brauchen wir auch nicht, und die Gesamtentwicklung in Deutschland duldet auch keine „Schonfristen“ mehr.
Proaktive Familienpolitik und Stärkung des ländlichen Raumes, innere Sicherheit und Pflegenotstand, aber auch Zuwanderung und Digitalisierung sind nur einige der Kernthemen, die in Ihrem Wahlprogramm benannt werden. Worauf werden Sie als Vorsitzender mit Ihrer Fraktion in der nun bevorstehenden Legislaturperiode den Fokus legen?
Kalbitz: Die „Hausaufgabenliste“ für die siebte Legislatur in Brandenburg gibt im Grunde das Wahlprogramm vor. Angesichts der Fülle von Versäumnissen der Vergangenheit fällt es schwer, jetzt nur wenige Baustellen zu nennen. Für besonders wichtig halte ich aber die weitere Schärfung des sozialpolitischen Profils, insbesondere Kinder- und Familienförderung, Bildungs- und Jugendpolitik mit allem, was „drin-“ und „dranhängt“, wie Infrastruktur und ÖPNV, aber auch Heimat und Kultur. Ein Thema bleiben die Migrationsfolgen, und zwar nicht nur in finanzieller, sondern auch identitärer Sicht. Unsere Städte haben sich verändert und die Qualität unseres Zusammenlebens auch. Wir bestehen auf konsequenter Remigration illegaler sogenannter „Flüchtlinge“ und fordern Sach- statt Geldleistungen als „Anreizminimierung“. Ein drängendes Thema ist natürlich auch die Lausitz mit dem Braunkohletagebau. Eine ganze Region ist in Existenzängsten und wartet nicht nur auf schöne Worte, sondern auf Lösungen! Viele Defizite, wie zum Beispiel der Investitionsrückstau von 2,7 Milliarden Euro in der Infrastruktur, werden sich ohne Hilfe des Bundes kaum bewältigen lassen. Und dann steht da noch eine Flughafenruine rum…
Im Oktober wird in Thüringen gewählt. Der dortige Spitzenkandidat Björn Höcke ist ja der Lieblingsfeind der deutschen Medien. Hält dessen Stilisierung zum brandgefährlichen Oberbösewicht stand, wenn man seine Sacharbeit im Thüringer Landtag auf den Prüfstand stellt?
Kalbitz: Ich maße mir nicht an, die Sacharbeit der AfD im Thüringer Landtag auf den „Prüfstand“ zu stellen. Ich habe aber in der guten praktischen Zusammenarbeit und im häufigen direkten Austausch sehr wohl wahrgenommen, mit welchem Sachverstand und welch großer Initiative dort inhaltlich gearbeitet wird. Björn Höcke als politisch-medial konstruierte „Negativmarke“ wird im Wahlkampf dort natürlich eine Rolle spielen, und wir werden ein sich bis zur Wahl stetig steigerndes mediales Trommelfeuer aus Kampagnen, aufgewärmten „Skandalen“ bis zu bloßer Hetze erleben, da bin ich sicher. Aber die Wirkung der Dauerskandalisierung stumpft die Menschen ab und läßt sie als bloße Wahlpropaganda erkennen, auch für den Wähler. Der Wahlkampf in Thüringen, in dem ich auch selbst unterstützen werde, wird intensiv werden, aber mit den besten Voraussetzungen und Aussichten auf ein Ergebnis, das dem in Sachsen und Brandenburg quantitativ nicht nachstehen wird.
Auch in der AfD selbst gibt es erklärte Gegner von Höcke. Woher rührt diese Polarisierung? Wäre die AfD in Westdeutschland ohne ihn erfolgreicher?
Kalbitz: Der manchmal gehörte Umkehrschluß, weil Björn Höcke und andere im Osten mit ihrer Ausprägung so erfolgreich sind, könnte der Westen ebenso erfolgreich sein, wenn es Björn Höcke nicht gäbe, ist fast schon naiv, mindestens aber politisch amateurhaft. Die Grundlage des bisherigen Erfolges der AfD besteht in ihrer beachtlichen Spannbreite an Persönlichkeiten und Positionen. Daß in der Öffentlichkeitsarbeit nach regionalen Verhältnissen und Mentalitäten in der Zielgruppenansprache und der inhaltlichen Schwerpunktsetzung ausdifferenziert werden muß, sollte eine professionelle Selbstverständlichkeit sein. Aber natürlich geht es um Positionen und Inhalte. Und den gemeinsamen Rahmen dafür gibt das AfD-Grundsatzprogramm vor. Ich persönlich stehe unmißverständlich zu Björn Höcke und halte ihn für einen unverzichtbaren Bestandteil der AfD.
Herr Kalbitz, vielen Dank für das Gespräch.
Andreas Kalbitz, geboren 1972 in München, gilt als Aushängeschild und Kopf der Brandenburger AfD. Nach Beendigung der Schule diente er von 1994 bis 2005 als Fallschirmjäger in der Bundeswehr und absolvierte danach eine Ausbildung zum Medienkaufmann. Von 2009 bis 2013 leitete er als Geschäftsführer den Verlag Edition Apollon, ehe er sich als IT-Consultant/-Techniker selbständig machte. Kalbitz ist verheiratet und hat drei Kinder. Er ist seit März 2013 Mitglied der Alternative für Deutschland und bereits in dieser Frühphase der Partei kommunalpolitisch aktiv geworden. Neben führenden Ämtern in seinem Kreisverband Dahme-Spreewald ist Kalbitz seit Juni 2014 Vorsitzender der AfD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung von Königs Wusterhausen. Seit April 2017 übt er das Amt als Landesvorsitzender der AfD Brandenburg aus und übernahm im November 2017 den Fraktionsvorsitz seiner Partei im Potsdamer Landtag. Im Dezember 2017 wurde er als Beisitzer in den AfD-Bundesvorstand gewählt.
Das hier wiedergegebene Interview erschien in Ausgabe 10/2019 des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST!
Bildquelle: Wikimedia/Professusductus/CC-BY-SA 4.0