Ankara/Washington/Moskau. Es ist ein reines Trostpflaster für die USA, damit sie ihren von Präsident Trump verfügten Truppenabzug aus Syrien wenigstens mit einem diplomatischen Erfolg garnieren können: US-Vizepräsident Pence konnte nach seiner Vermittlungsmission in Ankara prompt eine Waffenruhe in Nordsyrien bekanntgeben. Es ist aber ein Sieg Ankaras auf ganzer Linie. Der Vereinbarung zufolge sollen sich die kurdischen YPG-Einheiten nun von sich aus von der Grenze zur Türkei zurückziehen, damit dort die von Ankara geplante Sicherheitszone errichtet werden kann. Auch die Führung der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) erklärte, sich an die Waffenruhe halten zu wollen.
US-Präsident Donald Trump, der wegen des US-Abzugs heftig kritisiert wird, zeigte sich mit der Einigung in Ankara zufrieden. Es sei ein „großartiger Tag für die Zivilisation“, twitterte der Präsident und gratulierte allen Beteiligten.
Vorerst soll eine 120-stündige Waffenpause in der betroffenen Grenzregion gelten. Während dieser Zeit sollen sich die kurdischen Kämpfer zurückziehen (die ansonsten von der türkischen Armee niedergekämpft oder vertrieben worden wären). Laut Pence will US-Präsident Trump nun auch die gegen die Türkei wegen der Militäroffensive verhängten Sanktionen wieder aufheben. Vorerst würden auch keine weiteren Strafmaßnahmen gegen die Türkei verhängt, sagte er.
Die Türkei will die Vereinbarung unterdessen nicht als Waffenruhe verstanden wissen. Die Offensive werde nicht gestoppt, sondern „unterbrochen“, betonte der türkische Außenminister Cavusoglu. Wenn die YPG innerhalb von fünf Tagen abgezogen sei, ihre schweren Waffen abgelegt und ihre Stellungen zerstört habe, werde die Offensive aber enden, fügte er hinzu. Cavusoglu betonte auch, daß die Türkei die Kontrolle über die Zone haben werde. „Es wurde vollkommene Einigung erzielt, daß die Kontrolle dort von den türkischen Streitkräften übernommen wird.“
Die Türkei geht seit einer Woche gegen die von der YPG kontrollierte Autonomieregion im Nordosten Syriens vor, nachdem die USA den Abzug ihrer Truppen aus der Region verkündet hatten. Zuvor unterstützten die USA die kurdische Miliz, die ihnen im Gegenzug Schützenhilfe im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) leistete. Angesichts der türkischen Offensive und des Abzugs ihrer US-Verbündeten sahen sich die Kurden genötigt, sich ausgerechnet mit ihrem bisherigen Gegner, dem syrischen Präsidenten Assad, zu verbünden. Dieser entsandte daraufhin am Sonntag Truppen nach Nordsyrien. Die Rückkehr der syrischen Regierungstruppen in den Nordosten des Landes signalisiert das Ende der kurdischen Autonomie im Nordosten und bedeutet einen entscheidenden Wendepunkt im mehr als achtjährigen Krieg auf syrischem Boden (der von auswärtigen Brandstiftern, allen voran den USA, nach Kräften geschürt wurde).
Beobachter gehen davon aus, daß auch die aktuellen Vorgänge die Handschrift Moskaus tragen. Die russische Seite hat in der Vergangenheit immer wieder betont, daß sie sowohl den syrischen Wunsch nach einer Beendigung jedweder illegalen Truppenpräsenz im Lande unterstütze als auch die türkischen Sicherheitsinteressen mit Blick auf die Kurden respektiere. Schon die Ankündigung von US-Präsident Trump, die US-Truppen nun auch aus dem nordöstlichen Teil Syriens abzuziehen, konnte die russische Diplomatie als vollen Erfolg verbuchen, rückt die Wiederherstellung der territorialen Integrität Syriens damit doch ein gutes Stück näher.
Das volle Ausmaß der US-amerikanischen Niederlage wird aber erst im größeren geostrategischen Zusammenhang sichtbar. Vom Tisch scheint jetzt das amerikanische Projekt eines unabhängigen Kurdenstaates, der im Kalkül der neokonservativen US-Strategen eigentlich Teil einer Neuordnung – und weiteren Fragmentierung – des Mittleren Ostens hätten sein sollen. Auch der Zugriff auf die Ölquellen in den Landesteilen östlich des Euphrat, den sich Washington durch die Schaffung eines kurdischen Marionettenstaates eigentlich sichern wollte, rückt damit in weite Ferne.
Unter dem Strich läßt sich der Sieg der russischen Diplomatie, die hinter den jüngsten Entwicklungen dezent Regie führte, nicht hoch genug veranschlagen: die USA draußen, die Türkei und Syrien am Verhandlungstisch und beide von Rußland abhängig; und die Kurden als regionaler Störfaktor ausgeschaltet – noch dazu mit Unterstützung des amerikanischen Vizepräsidenten. Rußland ist jetzt auf dem besten Weg, die USA als neue Ordnungsmacht im Mittleren Osten abzulösen, und hat die Chance, die Region dauerhaft zu befrieden, nachdem die westlichen Brandstifter aus dem Spiel sind. (mü)