Schritt über die Grenzen: Erdogans Türkei auf revisionistischem Kurs

2. November 2016

Ankara. Im Zuge der sich abzeichnenden Neuordnung des Nahen Ostens entwickelt die Türkei immer unverhohlener expansionistische Tendenzen und wandelt dabei auf historischen Spuren. Drei Monate nach dem gescheiterten Putsch im Juli wird deutlich, daß die Regierung Erdogan auch außenpolitisch durchstarten will.

Der „Spiegel“ verweist jetzt auf die osmanische Kontinuität dieser Entwicklung und erinnert an eine Rede, in der Staats- und Regierungschef Erdogan kürzlich sagte: „Wir haben unsere derzeitigen Grenzen nicht freiwillig akzeptiert. Unsere Gründungsväter wurden außerhalb dieser Grenzen geboren.” Erdogan spielte damit auf den Widerstand gegen den Vertrag von Lausanne von 1923 an, der unter anderem die heutigen Grenzen der Türkei festlegte. Das Osmanische Reich, das einst von Nordafrika einschließlich Ägypten über den Balkan bis ans Kaspische Meer reichte, schrumpfte dabei auf das Territorium der heutigen Türkei zusammen. Erdogan scheint gewillt, diese Grenzen in Frage zu stellen.

Unterstützung erhält er dabei nicht nur von vielen Sympathisanten, sondern auch von hochrangigen Regierungsmitgliedern. So erklärte etwa Premierminister Yildirim, es sei „seltsam, in dieser Region Pläne ohne die Türkei zu machen”. Ankara verfolge jedoch „keine expansionistische Politik”, sondern sei dort, „um Probleme zu lösen, die uns schmerzen”.

Das Präsidialsystem, das Erdogan der Türkei derzeit unter Ausschaltung bisheriger Seilschaften und Machtgruppen überstülpt, begünstigt seine außenpolitischen Ambitionen, die zunächst auf die Verhinderung eines Kurdenstaates auf dem Gebiet der Nachbarländer Syrien und Irak sowie auf mehr Einfluß im Irak abzielen.

Der Journalist Ibrahim Karagül von „Yeni Safak” sieht einen klaren Zusammenhang zwischen den innen- und außenpolitischen Veränderungen. Aleppo werde künftig ohnehin nicht von Syrien, Mossul nicht vom Irak kontrolliert werden, prognostiziert Karagül. Das Machtspiel in der Region richte sich gegen die Türkei – also sollte Ankara diese Städte und die Gebiete nördlich davon für sich beanspruchen. Sein Fazit: Die Türkei sollte die „stärkste Macht in der Region” sein – „zu welchem Preis auch immer”. (mü)

2 Kommentare

  1. Wolfgang S. sagt:

    Also ein Jahrhundert zurück! So schrecklich und massenmörderisch wie die von der US-Friedensbewegung als „blood for oil“ bezeichneten Dauerkriege, angezettelt vom Westen, war das Osmanische Reich wohl nicht.
    Wie auch könnte der Westen den Orient verstehen? Geistig vielleicht zum Teil. Betroffene verstehen die Humanität des mohammedanischen Zinsverbotes, das nur Gewinnbeteiligungen im Falle erzielter Gewinne als Leihgebühr erlaubt; aber kompatibel mit westlichen teils nützlich beschleunigenden, teils kränkend hetzerischen und teils dauerhaft verknechterischen Zinspraktiken ist es nicht. Will jemand etwas Mohammedanisches, z.B. das Zinsverbot, wieder einrichten, muss es großräumig geschehen und abwehrstark sein.

  2. zombie1969 sagt:

    Es gib immer wieder Hinweise, dass der Daesh (IS) von der Türkei gesponsert wird und sich darüber hinterrücks auch bereichere.
    Dass nun die Daesh-Hochburg Mossul durch die irakische Armee erobert werden könnte, passt offensichtlich nicht in die Pläne der Türkei, die der Daesh-Bande mit Unruhestiftung bei der irakischen Armee quasi die Tür offenhalten und die Daesh-Terroristen sich weiter verschanzen oder fliehen können.
    Die Türkei unter der Führung R. Erdogans erweist sich zunehmend als zwielichtig.
    Schlimm ist es für die Bewohner von Mossul, die weiterhin in der Gewaltzange des Daesh sind. Mit jeder verlorenen Minute steigt die Opferzahl.
    Es ist daher kontraproduktiv, wie eigenächtig die Türkei agiert und provoziert.

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