„Türkei gefährdet Frieden in Europa“ – FPÖ-Politiker Hans-Jörg Jenewein im ZUERST!-Gespräch

17. Januar 2016
„Türkei gefährdet Frieden in Europa“ – FPÖ-Politiker Hans-Jörg Jenewein im ZUERST!-Gespräch
International
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Foto: Symbolbild

Kann die Türkei ein „Partner“ für Europa sein?
Der österreichische FPÖ-Politiker Hans-Jörg Jenewein im ZUERST!-Gespräch

Herr Jenewein, die türkische Luftwaffe hat an der türkisch-syrischen Grenze einen russischen Militärjet abgeschossen. Die Türkei rechtfertigt den Abschuß, die NATO hat verlautbaren lassen, sie stehe „hinter der türkischen Entscheidung“. Kann die Türkei überhaupt ein Partner im Kampf gegen den Terrorismus sein?

Jenewein: Seit vielen Monaten beschleicht mich das Gefühl, daß es offenbar Kräfte – vor allem in der NATO– gibt, die einen bewaffneten Konflikt mit Rußland geradezu herbeisehnen. Hier muß man die USA, aber auch die Türkei nennen. Es ist kein Geheimnis, daß die Türkei den IS logistisch und waffentechnisch unterstützt hat und vermutlich noch immer unterstützt, um Assad zu schwächen. Damit hat die Erdogan-Regierung in Ankara auch die Blutspur des IS nach Europa direkt zu verantworten. Wie so ein Staat und so eine Staatsführung ein Partner im Kampf gegen den Terrorismus sein können, ist mir schleierhaft. Das Erdogan-Regime trägt jedenfalls Mitverantwortung für die Massaker der vergangenen Monate, und all jene Staaten, die nach dem Abschuß des russischen Militärjets jetzt Ankara die Mauer machen, stellen sich klar auf die Seite der Aggression.

Wie beurteilen Sie die Rolle Ankaras im syrischen Krieg generell? Müßte Erdogan nicht einfach die Grenze nach Syrien schließen, damit keine Terroristen mehr über die türkisch-syrische Grenze einsickern können? 

Jenewein: Das müßte Erdogan tun, das heißt, er müßte sogar all jene Dschihadisten, die jetzt die Grenze zur Türkei überqueren, in Haft nehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Erdogan nimmt diese Verbrecher als Faustpfand, um im Gegenzug Europa zu erpressen – und unsere Staats- und Regierungschefs, von Merkel, Hollande bis hin zu Österreichs Faschingskanzler Faymann, spielen fleißig mit. Wobei ich in diesem Falle den Europäern den weit größeren Vorwurf machen muß.

Welchen? 

Jenewein: Erdogan nützt die Situation aus, keine Frage. Aber die EU-Spitze kriecht völlig hilflos am Boden herum, und niemand hat hier offenbar einen Plan. Dabei läge die Lösung ganz nah. Nur niemand traut sich derzeit offen, die Allianz mit Rußland – sprich: die russische Karte – auszuspielen, weil man natürlich keinen Bruch mit Washington riskieren will. Die europäischen Völker dürfen das dann ausbaden.

Warum üben weder die EU noch die NATO Druck auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aus? 

Jenewein: Wie gesagt, die europäischen Staatschefs sind völlig überfordert. Die NATO ist intern zerrissen bzw. spielt ein doppeltes Spiel, und die EU ist ohnehin handlungs- und entscheidungsunfähig. Man hat ja oftmals den Eindruck, daß man sich auf EU-Ebene nicht einmal mehr auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann. Um der Bevölkerung zumindest kurzfristig den Eindruck von Entscheidungskompetenz zu vermitteln, handelt Merkel unter dem zustimmenden Kopfnicken der anderen Ja-Sager einen lauwarmen Kompromiß mit Erdogan aus, der unterm Strich so aussieht, daß die Visa-Bestimmungen für rund 80 Millionen Türken ab 2017 wegfallen werden, daß Gelder aus Europa nach Ankara transferiert werden und die Türkei im Gegenzug den Flüchtlingsstrom „eindämmt“. Manchmal fragt man sich ja wirklich, welche Drogen bei diesen EU-Gipfeln an die europäischen Politiker verteilt werden. Im Klartext heißt das: Wir zahlen Milliarden nach Ankara, lassen theoretisch 80 Millionen TÜrken ohne Visum in die EU einreisen, um im Gegenzug 2,5 Millionen „Flüchtlinge“, die sich derzeit angeblich in der Türkei aufhalten, nicht in die EU einreisen zu lassen. Bei so viel politischem Weitblick bleibt einem doch glatt der Mund offen.

Die Migrantenwelle nach Europa wurde ebenfalls von Ankara „losgetreten“. Erdogan nutzt die Krise, um mit Brüssel über Finanzhilfen und EU-Beitritt zu verhandeln. Ist das nicht Erpressung? 

Jenewein: Es gehören immer zwei dazu. Derjenige, der erpreßt, und diejenigen, die sich erpressen lassen. Und aus türkischer Sicht hat Erdogan alles richtig gemacht. Die Frage, die sich vielmehr stellt: Was hat Europa jetzt von dieser Lösung? Welchen Vorteil haben unsere Länder durch diesen Kompromiß? Hier geht es meiner Meinung nach nur darum, über die Hintertür Billigstarbeitskräfte legal nach Europa zu transferieren. Daß dabei unsere Sozialstaaten völlig zertrümmert werden, interessiert weder Merkel noch Faymann. Apropos Faymann: Der soll ja für die Flüchtlingskoordination in Europa zuständig werden. Na dann, gute Nacht…

Die Türkei argumentiert: Man habe den russischen Jet aus zwei Gründen abgeschossen. Erstens habe er den türkischen Luftraum verletzt, zweitens bombardiere die russische Luftwaffe turkmenische Rebellen in Syrien – und Turkmenen seien „wie Türken“. Unter den Turkmenen befinden sich auch türkische Staatsbürger, die den Kampf gegen die syrische Armee mitorganisieren. Auch in Europa befinden sich Millionen von Auslandstürken. Hat diese Sichtweise Ankaras auf die Turkmenen in Syrien auch Auswirkungen auf Europa? 

Jenewein: Ob der russische Jet tatsächlich türkischen Luftraum verletzt hat oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Es ist in Wahrheit aber unerheblich, da die Russen keine Ziele in der Türkei angegriffen haben und dies auch nicht vorhatten. Damit ist der Abschuß völlig unverhältnismäßig. Man kann nur froh sein, daß Putin kein Heißsporn ist. Sonst hätte diese türkische Aggression schon jetzt fatale Folgen für die Region und für die gesamte Welt. Die Aussagen Ankaras, wonach man sich als Quasi-„Schutzmacht“ der Turkmenen auch in Syrien (und damit wohl überall auf der Welt) definiert, zeigen aber das weit gefährlichere Spiel der Erdogan-Regierung auf. Der türkische Präsident hat ja schon in der Vergangenheit mit seinen Wahlkampfauftritten in Europa für Aufsehen gesorgt. Tatsache ist, daß es offenbar mittlerweile zum türkischen Selbstverständnis gehört, weitreichende Ansprüche auf jene Gebiete zu stellen, wo sich Türken bzw. Turkmenen in großer Zahl aufhalten. Damit ist ja wohl bewiesen, daß auch die in Europa lebenden Türken als Kolonne wahrgenommen werden. Erdogan hat bei seinem letzten Wien-Besuch wörtlich gesagt: „Wir sind alle die Enkel von Sultan Süleyman und die Enkel von Kara Mustafa.“ Sultan Süleyman der Prächtige war jener Sultan, der die Erste Türkenbelagerung Wiens 1529 zu verantworten hatte. Kara Mustafa war Oberbefehlshaber während der Zweiten Türkenbelagerung 1683. Diese historischen Vergleiche und sein Hinweis auf die Turkmenen lassen tief blicken und zeigen das Weltbild und auch den Anspruch, den die Türkei unter Erdogan heute hat.

(…)

Herr Jenewein, vielen Dank für das Gespräch. 

Hans-Jörg Jenewein repräsentiert seit Ende 2010 die FPÖ im österreichischen Bundesrat – mit einem kurzen Intermezzo im Jahr 2013, wo er vier Monate lang im Nationalrat saß. Der 1974 geborene Politiker studierte in Wien Publizistik und Politikwissenschaften, bevor er in die Dienste der Freiheitlichen trat. Für die Wiener FPÖ kümmert er sich besonders um die Öffentlichkeitsarbeit, seit 2006 leitet er die dortige Pressestelle der Partei und fungiert zugleich als Landesparteisekretär. Bereits in den neunziger Jahren hatte er sich in der Jugendorganisation der FPÖ engagiert. Seit 2003 wirkt der Politiker im Verein zur Pflege des Grabes von Kampfflieger Walter Nowotny mit. Jenewein hat eine Tochter.

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