Der Kriegsherr – ZUERST! besuchte den russischen Offizier Igor Strelkow

18. Oktober 2015
Der Kriegsherr – ZUERST! besuchte den russischen Offizier Igor Strelkow
International
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Foto: Symbolbild

Artikel “Der Kriegsherr” aus der aktuellen Druckausgabe des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST!

Der russische Kämpfer Igor Strelkow war im vergangenen Jahr die Ikone im Krieg in der Ostukraine. Heute ist es ruhiger um den ehemaligen Generalissimus der „Volksrepublik Donezk“ geworden. ZUERST! hat ihn in seinem Moskauer Hauptquartier besucht

Es regnet Hunde und Katzen. Die Wegbeschreibung ist kaum mehr zu entziffern, weil der Zettel triefend naß ist. In Moskau schüttet es seit mehreren Tagen, die Menschen laufen unter ihren Regenschirmen einen Hindernisparcours zwischen den Pfützen hindurch. Es geht weg von den Hauptverkehrsstraßen, die Gassen werden immer kleiner – und plötzlich fühlt man sich nicht mehr im Zentrum der Hauptstadt der Russischen Föderation, sondern einer kleinen russischen Provinzstadt. Immer wieder müssen die ZUERST!-Redakteure Passanten fragen, ob sie denn hier auch richtig sind. Hinter einer kleinen orthodoxen Kirche geht es durch ein eisenbeschlagenes Tor zu einem Innenhof. Jetzt ist alles klar: Hier sind wir richtig. Männer in Tarnuniformen stehen unter einem kleinen Vordach und rauchen gemächlich ihre Zigaretten, an den Ärmeln tragen sie Aufnäher mit der Flagge Neurußlands: Rot mit blauem Andreaskreuz. Es ist ruhig auf dem Hof, der Straßenlärm dringt nicht durch die Mauern. Am Tor endet die Welt da draußen, denn hier beginnt das Territorium des Igor Strelkow. Der „Empfang“ ist ein kleiner Holztisch im Eingangsbereich. Ein Uniformierter prüft kurz und schroff den Paß, danach schickt er uns in den zweiten Stock. An den Wänden hängen Poster und Bilder von den Kämpfen in der Ost-Ukraine – „Neurußland“, wie man hier sagt.

Man fühlt sich in die Welt der deutschen Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg versetzt, alles wirkt ein wenig wie aus einer Erzählung Ernst von Salomons. So oder so ähnlich müssen die Rekrutierungsbüros in Berlin und in anderen deutschen Städten ausgesehen haben, wo sich junge Männer und Kriegsveteranen zum Schutz der Grenze im Osten und zur Niederschlagung bolschewistischer Aufstände freiwillig melden konnten.

Mittlerweile ist es ruhig um Strelkow geworden. Noch vor einem Jahr war er die am meisten polarisierende Figur auf den Schlachtfeldern der Ukraine. Seine Anhänger bauten geradezu einen Personenkult um den Kommandeur auf, für seine Gegner ist er einer der schlimmsten Akteure in der Ukraine. Dazwischen gibt es nichts. In der deutschsprachigen Presse sammelten sich vor allem die Strelkow-Gegner. Der russische Rebellenanführer wurde als „Freischärler“, als „Kriegsverbrecher“ oder als „Schreckensherrscher“ beschrieben, immer wieder prangte das Bild des Mannes mit dem Bürstenschnurrbart in Militäruniform auf den Titelseiten deutscher Zeitungen. Strelkows Charakterkopf war für die westlichen Medien geradezu ein Geschenk.

Die Treppe ins zweite Obergeschoß ist eng, überhaupt sind alle Räume relativ klein geschnitten. Und überall laufen uniformierte Männer und weibliche Angestellte durch die Gegend. Telefone klingeln wild durcheinander, heißer Tee wird serviert. Überhaupt wirkt das ganze Treiben in dem Gebäude mehr wie ein Kommandostand als ein Büro.

Strelkow sitzt hinter seinem Schreibtisch, steht auf und schüttelt die Besucherhände. An der Wand hinter ihm hängt ein Bild, das den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Uniform zeigt. Es wird Tee serviert, ans Fenster klatschen dicke Regentropfen, und aus einem Radio im Nebenzimmer dudelt russische Folklore durch die dünne Wand. Hier trägt Strelkow keine Uniform, sondern – betont zivil – Hemd mit Pullover. Fast wirkt er ein wenig wie ein deutscher Beamter.

Um die Person Strelkow wabern Legenden und Gerüchte. Er sei ein russischer Geheimdienstler, ein Söldner, ein Spezialist für militärische Spezialaufgaben. In den Tschetschenienkriegen habe er gekämpft, und auch im Georgienkrieg sei er gewesen, der Experte im Partisanenkampf. Er selbst spricht darüber nicht viel. Ab und an kommt eine Anspielung, aber die meisten Informationen stammen aus ukrainischen Medien, die den russischen Kämpfer im letzten Jahr zum Staatsfeind Nr. 1 erklärten. „Die schreiben auch, daß Igor kleine ukrainische Kinder zum Frühstück verspeist“, lachte einer seiner Männer vor dem Gespräch mit Strelkow.

Im Gespräch mit ZUERST! gibt sich Igor Strelkow, der eigentlich Igor Wsewolodowitsch Girkin heißt, bemerkenswert offen. Aufrecht sitzt er auf seinem Stuhl, die Hände gefaltet auf dem Tisch. Er bewegt sich kaum, wenn er spricht. Strelkow erzählt von seinen Erfahrungen im jugoslawischen Bürgerkrieg in den 1990er Jahren. Mit einer „kleinen Gruppe von Kameraden“ sei er damals in das Kriegsgebiet auf dem Balkan gereist, um die Serben zu unterstützen. Dieses Erlebnis habe ihn tief geprägt, erzählt der russische Kämpfer. „Man kann Bosnien und Donbass durchaus vergleichen. Aber die Kämpfe im Donezbecken sind ernster und härter, es gibt mehr Opfer.“ Strelkow erzählt geradezu monoton, seine Gesichtsmimik verändert sich kaum. Selbst wenn er über Granateinschläge und Feuerüberfälle spricht, zeigt er nach außen hin keine Emotionen. Das Bosnien-Erlebnis ist Strelkow wichtig. Als Freiwilliger sei er dorthin gegangen, um die „serbischen Verwandten“ gegen die Kroaten zu schützen – als „Kanonier“, wie er sagt. Und jetzt gehe es darum, die Menschen im Donbass gegen Kiews Armee zu beschützen.

Strelkow wird von seinen Männern „Strelok“ genannt, was „Schütze“ bedeutet. Im Donezbecken schlug letztes Jahr im Sommer seine große Stunde. Mit etwa 50 Kämpfern kam er Mitte April 2014 nach Donezk, wo nur wenige Tage zuvor die „Volksrepublik Donezk“ ausgerufen worden war.

50 Männer klingen zunächst nicht gerade nach einer Streitmacht, aber Fidel Castro hatte zu Beginn der kubanischen Revolution gerademal 82 Kämpfer – und er war erfolgreich. Im Februar 2014 siegte die sogenannte „Euromaidan“-Protestbewegung in Kiew, der gewählte Präsident Viktor Janukowitsch hatte fluchtartig das Land verlassen.Was in den westlichen Medien kaum Erwähnung fand: Der Kiewer Maidan war vor allem eine west-ukrainische Angelegenheit, die sich gegen Rußland und die Russen richtete. Doch der Osten der Ukraine ist mehrheitlich russisch. Die neue ukrainische Führung, die von den USA und der EU massiv unterstützt wurde, machte sofort durch anti-russische Tiraden von sich reden. Eine eigentümliche Allianz hatte das Ruder in Kiew in die Hand genommen: Pro-westliche liberale Gruppen und ukrainische Ultranatio nalisten. „Sie waren sich einig in ihrem Haß auf alles, was russisch ist“, kommentierte damals der russische Politologe Prof. Alexander Dugin im ZUERST!-Gespräch.

Im mehrheitlich russischen Osten des Landes sorgte diese feindselige Machtkonstellation rasch für Unbehagen. Stimmen, die für eine Abspaltung von der Ukraine eintraten, wurden laut. Sogenannte „Separatisten“ gewannen Anhänger. Auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim ging alles sehr schnell: Bereits im März 2014 wurde ein Unabhängigkeitsreferendum organisiert, bei dem sich die Bürger mit einer überwältigenden Mehrheit für eine Abspaltung von der Ukraine und eine Vereinigung mit der Russischen Föderation aussprachen. Auch Igor Strelkow war damals auf der Krim und half den Milizen bei der Sicherung der Halbinsel.

Strelkow hat die Hände noch immer gefaltet, manchmal kreisen seine Daumen während seiner Erzählungen. Berühmt wurde der russische Militärführer schlagartig im Mai letzten Jahres, alser zum obersten militärischen Befehlshaber der „Volksrepublik Donezk“ ernannt wurde. Im Osten der Ukraine herrschte eine andere Stimmung als auf der Krim. Das Gebiet ließ sich nicht so einfach gegen die ukrainische Armee und die sogenannten „Freiwilligeneinheiten“ Kiews beschützen. Unabhängigkeitsaktivisten besetzten Regierungsund Verwaltungsgebäude. Anstatt zu verhandeln und die Situation zu beruhigen, erklärte Kiew die sogenannten „Separatisten“ kurzerhand zu Terroristen. Innerhalb weniger Tage verwandelte sich das Donezbecken in einen Hexenkessel. Es kam zu willkürlichen Verhaftungen und Verschleppungen. Menschen verschwanden spurlos von der Bildfläche. Kiews Strategie: Durch solche Willkürmaßnahmen soll der Willen zum Widerstand gebrochen werden. Strelkow zog mit seinen Männern in die Stadt Slowjansk. „Es brauchte ein Zentrum des Widerstandes. Donezk und Lugansk sind Megastädte, eine Gruppe aus 50 Personen würde in der Masse geradezu ‚untergehen‘. Deshalb haben wir als Operationsbasis eine Stadt mit etwa 100.000 Menschen gesucht, Slowjansk hatte etwa 115.000. Dort errichteten wir unser Widerstandszentrum. Wichtig war auch, daß die Menschen unseren Kampf unterstützten. Das hatte keine Zeit, es mußte sofort geschehen. Und in Slowjansk bekamen wir sofort alle notwendige Unterstützung.“

Igor Strelkow gibt sich bescheiden. Er wirkt geradezu harmlos in seiner Zivilkleidung. Seine Daumen kreisen noch immer, der Tee bleibt unangerührt. Von draußen klatschen dicke Tropfen an die Fenster des Arbeitszimmers des einstigen Volkshelden. In Donezk und Lugansk wurden Strelkow und seine Männer rasch zu Superstars. „Strelok“ blickte von Postern und Bannern entschlossen auf die Straßen und Plätze des Donbass. Spricht man ihn direkt darauf an, huscht ein sehr kurzes, kaum erkennbares verlegenes Lächeln über seine Lippen – und verschwindet ganz schnell wieder. Lieber spricht er wieder vom Krieg in Slowjansk: „Wir verteidigten die Stadt fast drei Monate lang – vom 13. April bis zum 5. Juli 2014. Einen großen Teil dürften wir Gottes Hilfe verdanken.“ Im Juni wurde Slowjansk von ukrainischer Artillerie beschossen. Wohnhäuser der Stadt wurden dabei völlig zerstört, viele der Einwohner verließen fluchtartig Slowjansk. In der Stadt gab es weder Strom noch Gas oder Wasser. Die Ausfallstraßen waren durch ukrainische Checkpoints für bewaffnete Kämpfer abgeriegelt. Es war ein Kampf David gegen Goliath. Strelkow wurde von seinen Anhängern mit König Leonidas von Sparta verglichen, der der Überlieferung nach mit nur 300 Männern Widerstand gegen das persische Heer leistete. Strelkow über die Kämpfe: „Unsere Gegner hatten weit mehr Verluste zu verzeichnen als wir. Aber innerlich wußte ich natürlich, daß wir fast jeden Tag hätten ‚zerquetscht‘ werden können. Und natürlich gab es bei uns jede Menge Krisen, aber jedes Mal wurden wir irgendwie gerettet. Gott war auf unserer Seite.“ Immer wieder Gott. Strelkow ist ein überzeugter russisch-orthodoxer Christ.

Wenn in den Nachbarräumen die Mitarbeiter umherlaufen, knarrt der Holzboden auch in Strelkows Büro. Durch das Fenster sieht man, wie sich die Bäume im Wind biegen. Der Regen ist zu einem Sturm geworden. Manchmal betritt stumm eine Mitarbeiterin sein Büro, legt etwas auf seinen Schreibtisch und verschwindet wieder.

Nach dem Rückzu aus Slowjansk war diese stürmische Episode in Strelkows Leben fast zu Ende. Der mittlerweile zum Verteidigungsminister der Volksrepublik beförderte russische Kämpfer zog sich mit seinen Männern nach Donezk zurück. Am 14. August 2014 erklärte er seinen Rücktritt als Militärchef. „Bei den Waffenstillstandsverhandlungen von Minsk bedurfte es kompromißbereiter, flexibler Persönlichkeiten. Und ich bin in vielen wichtigen Fragen alles andere als ‚flexibel‘. So war ich zum Ruhestand verdammt, und die Gespräche konnten stattfinden.“

Strelkow gilt als absoluter Hardliner. Und er scheint seinem Ruf gerecht werden zu wollen, wenn er betont: „Ich akzeptiere den jetzigen politischen Kurs nicht!“ Mit dem „jetzigen politischen Kurs“ meint er die Waffenstillstandsvereinbarungen Minsk I und II sowie die Gespräche zwischen Moskau und Kiew. In den Augen von Igor Strelkow sind solche Gespräche nichts weiter als Verrat. Und er argumentiert stramm militärisch: „Die Waffenruhe ist einzig und allein zum Vorteil der ukrainischen Seite. Diese stand am Rande einer totalen Niederlage. Der Waffenstillstand hat die ukrainische Seite gerade noch rechtzeitig vor dem militärischen Zusammenbruch gerettet. Hätten wir unsere Offensive fortführen können, wären wir weit über die Grenzen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk hinausmarschiert.“ Während Strelkow von den verpaßten Chancen und Möglichkeiten erzählt, bewahrt er Haltung. Doch trotzdem klingen ein wenig Enttäuschung und auch Verbitterung in seiner Stimme.

Igor Strelkow gehört heute zu den erbittertsten Kritikern einer Aussöhnung mit Kiew. Jene Kräfte im Kreml, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin von solch einem Kurs überzeugt oder ihn dazu gezwungen haben, nennt Strelkow „fünfte Kolonne“ und „Saboteure“. Der Terminkalender des Donbass-Kämpfers ist randvoll mit Terminen: TV-Auftritte, öffentliche Diskussionen und Auftritte bei Veranstaltungen für den Donbass reihen sich aneinander. Trotzdem: Man kann sich Strelkow nur schwerlich in einem zivilen Leben vorstellen. Fast hat man das Gefühl, als langweile ihn das alles, als sehne er sich zurück an die Front – jene Front, die ihm die Zivilisten am Verhandlungstisch einfach genommen haben. (Manuel Ochsenreiter)

2 Kommentare

  1. Der Rechner sagt:

    Es regnet Hunde und Katzen?

    Ich bin verblüfft.

    Wie hat sich dieser Anglizismus in einen deutschen Artikel von Manuel Ochsenreiter verirrt?

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