Einseitige Erinnerungskultur: Der „D-Day“ kennt nur alliierte Helden und deutsche Schurken

20. Juni 2014
Einseitige Erinnerungskultur: Der „D-Day“ kennt nur alliierte Helden und deutsche Schurken
Dr. Stefan Scheil
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Foto: Symbolbild

Der 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie liegt nun hinter uns. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges feierten das Ereignis als Anfang vom Ende des Kriegsgegners Deutschland. Tausende noch lebende Veteranen, die am 6. Juni 1944 und danach die Strände zwischen Le Havre und Cherbourg eroberten, kamen zusammen, gedachten der blutigen Kämpfe und ihrer gefallenen Kameraden. Niemand wird es ihnen verdenken, daß dieses wohl prägendste Ereignis ihrer Jugend für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt ist. Ehrfurchtsvoll gedenken alle Staaten der in Kriegszeiten umgekommenen Menschen.

Trotzdem war eine gewisse Unausgewogenheit in der Berichterstattung nicht zu leugnen. Kämpften die westalliierten Soldaten des Sommers 1944 gegen Gespenster? Der unterlegene Kriegsgegner, der deutsche Soldat, fand nur in wenigen Veröffentlichungen überhaupt Erwähnung. Die Schlachten zogen sich immerhin fast zweieinhalb Monate hin, ehe die Invasoren aus den – mühsam Stück für Stück erweiterten – Brückenköpfen ins freie Hinterland ausbrechen konnten. Auch die Verteidiger der „Festung Europa“ kämpften, litten und starben. Auch sie konnten diese schreckliche Zeit ihr Leben lang nicht vergessen. Aber wo waren ihre überlebenden Vertreter am 6. Juni 2014?

Wer dort war, waren die Politiker der ehemaligen Kriegsgegner: US-Präsident Obama, der französische Präsident Hollande, Briten-Premier Cameron. Auch Bundeskanzlerin Merkel ließ sich blicken und es sich nicht nehmen, daß ein wenig von dem Siegesglanz, den ganz andere errungen hatten, auch auf sie abfiel. Natürlich wurden die alten Soldaten politisch instrumentalisiert, sie hätten Demokratie und Freiheit verteidigt und am Strand der Normandie „Brückenköpfe der Demokratie“ geschlagen, hieß es. Und weiter sagte Obama: Der Siegeszug der Demokratie in aller Welt wäre nicht möglich gewesen ohne Soldaten, die vor 70 Jahren bereit gewesen seien, ihr Leben zu opfern. Die USA hätten ihren militärischen Sieg in Europa nicht ausgekostet. „Wir haben dabei geholfen, Europa wieder aufzubauen.“

Die Niederlage Deutschlands war total, der Sieg der Alliierten war es ebenfalls, die Deutschen wurden unter jahrzehntelange Kuratel gestellt. Von „Demokratie und Freiheit“ erhielten sie nur das, was die Sieger ihnen zubilligten. Und über das, was mit den Besiegten politisch zu geschehen habe, zerstritten sich Westen und Osten. Deutschland wurde im Kalten Krieg zur Geisel der Großmächte ohne das Recht, selbst zu bestimmen, welchen Weg es gehen will: mit dem Westen, mit dem Osten oder als Blockfreier.

Sicher, die USA haben – im direkten wie übertragenen Sinn – Europa wieder aufgebaut. Sie hatten aber auch einen gehörigen Anteil an der Zerstörung des Kontinents. Gerade die befreiten Franzosen, die in den umkämpften Gebieten des Jahres 1944 lebten, wissen ein Lied davon zu singen, welche Verheerungen die alliierte Kriegsführung in ihren Heimatregionen angerichtet hatte. Tausende sind bei alliiertem Trommelfeuer und bei Bombardements ums Leben gekommen.

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