Abgeschrieben

25. Oktober 2013

Foto: Stephan Röhl/Böll-Stiftung

Neuer prominenter Plagiatsfall: Dr. Michel Friedman muß sich erklären – seine Doktorarbeit wirft viele Fragen auf, doch Friedman antwortet nur sehr ungern

Die Reihe der Verdachtsfälle auf wissenschaftliche Plagiate reißt nicht ab. Nach dem früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der ehemaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und zahlreichen weiteren Politikern vorwiegend aus Union und FDP hat es nun auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erwischt. Bei dem Sozialdemokraten handelt es sich allerdings erst einmal nur um einen Verdacht. In dessen Promotionsschrift soll es rund 500 „problematische Stellen“ geben, behauptet der Wirtschaftswissenschaftler Uwe Kamenz. Steinmeier nennt den Vorwurf „absurd“. Jetzt prüft die Universität Gießen den Fall.

Während die Causa Steinmeier in Presse und Fernsehen herauf- und heruntergebetet wurde, ist es um einen weiteren Verdachtsfall merkwürdig still. Denn auch Michel Friedman – Fernsehmoderator, Rechtsanwalt und ehemaliger Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland – ist mal wieder ins Zwielicht geraten. Der umtriebige Tausendsassa ist sogar einer der seltenen Doppel-Doktoren. 1994 hatte er in Mainz den Dr. jur. erworben, im Jahr 2010 promovierte er in Frankfurt mit der Arbeit Schuldlose Verantwortung – Vorgaben der Hirnforschung für Ethik und Strafrecht zusätzlich in Philosophie. Bei dieser zweiten Dissertation sind jetzt Ungereimtheiten aufgetaucht. Erwähnenswert fand das bislang nur die Nürnberger Zeitung. „Erstmals gibt es einen prominenten Plagiatsfall in Deutschland, bei dem sich das Interesse der Plagiatssucher […] genau umgekehrt proportional zum Interesse der Journalisten verhält“, wundert sich der renommierte Salzburger Plagiats-Gutachter Dr. Stefan Weber.

Zusammenhängen könnte das mit der merkwürdigen Beschaffenheit dieses Falls. Bereits im August war der Nürnberger Plagiats-Experte Martin Heidingsfelder nach einem Hinweis darauf gestoßen, daß sich in Friedmans Arbeit ein Beitrag seines Doktorvaters Klaus-Jürgen Grün aus dem Jahr 2008 befindet, ohne als fremde Quelle gekennzeichnet zu sein. Neugierig geworden, begannen Heidingsfelder und Weber mit Recherchen und fanden eine Reihe weiterer Text-Übereinstimmungen zwischen Friedman und verschiedenen Veröffentlichungen Grüns. Das warf Fragen auf. Hatte Grün, der an der Universität Frankfurt außerplanmäßiger Professor für Philosophie ist, bei der Lektüre von Friedmans Arbeit die „eigenen“ Textpassagen nicht bemerkt? Die Nachfrage der Plagiatssucher bei Grün führte zu einer Antwort, die sie zum Staunen brachte.

Nicht Friedman habe abgeschrieben, sondern die identischen Textstellen seien dadurch erklärbar, daß er „in der Tat Texte von Herrn Friedman verwendet“ habe, teilte Prof. Grün dem Plagiatsgutachter Stefan Weber mit. Der Nürnberger Zeitung antwortete Grün, er habe sich im Rahmen der intensiven Zusammenarbeit mit Friedman manchmal „gut klingende Formulierungen notiert, aber ohne Quellenangabe“. „Unvorsichtigerweise“ habe er nicht berücksichtigt, „daß Herr Friedman die mir zur Prüfung gegebenen Formulierungen naturgemäß nicht nur für unsere Tagungen und Symposien verwenden würde, sondern natürlich vor allen Dingen in seiner Dissertation“. Eine recht merkwürdige Nachlässigkeit für einen Wissenschaftler, der Doktoranden betreut.

Die Plagiatsjäger haben diese Erklärung Grüns dann auch als „unglaubwürdig“ zurückgewiesen und sich nun erst recht herausgefordert gefühlt, der Sache auf den Grund zu gehen. Stefan Weber fand eine Reihe weiterer Beispiele, die mindestens mal für schlampiges Arbeiten sprechen: „Mitunter wurde Primärliteratur offensichtlich nicht konsultiert, sondern Bewertungen, zum Teil wörtlich, wurden in einem Fall von der FAZ abgeschrieben, in einem anderen Fall aus einer Buchrezension. Zitate wurden mitunter falschen Autoren zugeordnet, einmal befinden sich in der Arbeit seitenlange Wiedergaben eines anderen Autors mit zum Teil indirekter Rede, aber immer wieder auch ohne“, so Weber in seinem Blog.

Die von Weber und seinen Mitstreitern bislang aufgespürten Übereinstimmungen ergeben immerhin ein zwölfseitiges Dokument. Gerade Passagen, die nicht exakt übereinstimmen, sondern ergänzt oder sonstwie verändert wurden, lassen aber interessante Rückschlüsse zu. So setzt sich das Forum Erbloggtes akribisch mit der Interpretation eines Dürrenmatt-Textes sowie Begrifflichkeiten aus der Philosophie Immanuel Kants auseinander, die bei Friedman wie auch bei Grün auftauchen. Ergebnis: Man könne „schlußfolgern, daß Friedman nicht weiß, wovon er spricht, und daß daher seine Ausführungen nicht auf Sachkenntnis beruhen können, sondern nur auf Hörensagen, mit dem er einen fremden Text anfüttert“.

Starker Tobak. Wie die Goethe-Universität in Frankfurt am Main mitteilt, ist bereits die „zuständige Kommission zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten mit einer Prüfung beauftragt worden“. Eine zeitnahe Information der Öffentlichkeit über das Ergebnis der Prüfung sichert die Universität zu. Michel Friedman selbst hat auf keinerlei Anfragen reagiert.

Dorian Rehwaldt

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