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Dschungelcamp für Fortgeschrittene: Wie Gutmenschen-Darsteller Schicksal spielen
Eins muß man diesem neuen Fernseh-Format zugestehen: Es ist innovativ. Denn wann kann der Zuschauer schon einmal bequem vom Sessel aus beobachten, wie sich echte Menschen in echte Gefahr begeben, echte Tränen vergießen, echte Betroffenheit verströmen, und das literweise? Auf der Flucht ist nicht die x-te Wiederholung des fabelhaften Action-Dramas um Dr. Kimble, sondern ein neuartiges Konzept, das nach einem australischen Vorbild für das ZDF (Erstausstrahlung beim digitalen Spartenkanal ZDF neo) hervorragend adaptiert wurde. Starke Bilder, außergewöhnliche Drehorte – so etwas kennt man sonst nur von Naturfilmen.
Auch bei dieser Sendereihe kommt sich der Zuschauer ein bißchen so vor, als ob er exotische Wesen dabei beobachtet, wie sie um ihr Leben kämpfen. Hier sind es zwar Menschen, die in ihrem Habitat gefilmt werden, aber das macht die Show noch spannender. Denn Auf der Flucht spielt mit den Gefühlen von Asylanten – oder besser: den nachempfundenen Gefühlen. Die Nachempfinder sind durch die Bank weg semi- bis unbekannt und haben mit dem Thema Flucht und Asyl nullkommagarnichts zu tun.
Bis sie vom Produzenten Daniel Gerlach für die Rolle besetzt wurden, haben sie sich wohl genauso wenig mit diesem Komplex auseinandergesetzt wie 90 Prozent der Bevölkerung. Aber nun heißt es: Stellung beziehen! Und – man höre und staune: differenziert. Denn die Produzenten geben sich nicht damit zufrieden, die alte Leier der versammelten Gutmenschen-/Sozialarbeiter-/Multikulti-Fraktion nachzuspielen, nein, hier dürfen auch Menschen zu Wort kommen, die ein ungutes Bauchgefühl haben, wenn täglich neue, steigende Zahlen von fremden Heerscharen gemeldet werden, die Einlaß in unser Land begehren. So darf die 31jährige Katrin kritisch anmerken, daß die Asylanten „nicht wegen des guten Wetters“ nach Deutschland kämen, sondern „weil sie von der Sahne naschen“ wollen, die es hier allüberall gibt. Und Kevin gibt frank und frei zu, daß er „Vorurteile“ hatte, wenn es um die Fremden ging, die hierbleiben wollen.
Ihnen gegenüber die „Pro Asyl“-Aktivisten, die sich auf Menschenrechte beziehen, die offenbar über Bürgerrechten stehen; an der Spitze originellerweise der ehemalige Bassist der „Böhsen Onkelz“, assistiert von der „Streetworkerin“ (was für eine Berufsbezeichnung!) Söngül, die auf Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky schimpft, weil sie angeblich Hetze betrieben, statt die positiven Dinge hervorzuheben, die uns angeblich „bereichern“. Wie immer kann auch die kulturell Vielfältige nicht ein einziges Mal konkret benennen, welche „Kultur“ uns denn nun in welchem Punkt bereichert.
Doch das ist nur die Exposition. Es folgt: die Expedition. Nein, nicht ins Tierreich, sondern in zwei finstere Weltgegenden, die Asylanten als eines ihrer Hauptexportgüter zu haben scheinen: den Irak und Eritrea. Nachdem die „Achse des Guten“ mit roher Gewalt aus dem Zweistromland eine US-Provinz gemacht hatte, brach bekanntlich ein Frieden aus, der schlimmer war als die Diktatur unter dem zu Tode gehetzten Saddam Hussein. Die Konflikte zwischen den ethnischen und religiösen Volksgruppen forderten in zehn Jahren 120.000 Todesopfer. Der Irak ist seit 2003 faktisch auf dem Weg in die Spaltung. Leidtragende dieser Unruhe sind u.a. die Angehörigen der christlichen Minderheit. Daß die Irakis nicht zu den am einfachsten Integrierbaren gehören, spürten die gutmütigen Schweden am heftigsten. Diesen Sommer brachen in den Vorstädten Stockholms und anderswo Unruhen aus, die an die Rassenkrawalle in Paris und London erinnerten. Arabische Jugendliche pöbelten, plünderten und griffen die Ordnungskräfte an, nachdem die Polizei einen bewaffneten Angreifer niedergeschossen hatte.
Und nun ziehen sechs Halb- bis Unbekannte im Auftrag eines deutschen Fernsehsenders in den Irak, um nachzuspielen, was so ein Flüchtling so alles erleben kann. Ein gewagtes Spiel, das ein wenig zu sehr an die Dokusoaps à la Survivor erinnert, in der „Schiffbrüchige“ auf einer einsamen Insel angeblich ums Überleben kämpfen, während die Kameras laufen.
Parallel zur „Irak-Tour“ spielt sich ein ähnliches Drama im fernen Eritrea ab. Die nach einem Bürgerkrieg von Äthiopien abgespaltene Republik am Horn von Afrika gehört zu den ärmsten Ländern auf unserem Globus. Das Bruttoinlandsprodukt bewegt sich mit 546 Dollar pro Kopf und Jahr auf dem 177. Platz in der Welt. Doch ist das schon ein Grund, von dort zu fliehen und um Asyl zu bitten? Die Rechtslage ist eindeutig: Gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes muß eine Verfolgung vorliegen. Allgemeine Notsituationen – wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Arbeitslosigkeit – sind als Gründe für eine Asylgewährung ausgeschlossen. Und da liegt der Hase im Pfeffer: Trotz dieser eindeutigen Rechtslage beantragten im vergangenen Jahr 64.539 Menschen Asyl in der Bundesrepublik Deutschland – satte 40 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Verfahren ziehen sich teilweise über Jahre hin. In dieser Zeit ist es den Fremden untersagt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.
Das verdammt sie zur Untätigkeit, und bekanntlich ist der Müßiggang aller Laster Anfang. So tummeln sich angebliche Asylbewerber auf deutschen Großstadtstraßen, um dort illegale Drogen feilzubieten, von Schwarzarbeit gar nicht zu reden. Warum soll ein dubioses Restaurant seinem schwarzen Spülboy den Mindestlohn zahlen, wenn dieser auch für 3,50 Euro schwitzt? Die verfehlte Asylpolitik zieht menschliche Dramen nach sich. Immer wieder werden Fälle publik, in denen die Behörden nach Jahren der Untätigkeit ganze Familien ausweisen, obwohl die Kinder hier bereits Wurzeln geschlagen haben und die Heimat ihrer Eltern nur vom Hörensagen kennen.
Dringend notwendig wäre daher eine deutlich raschere Bearbeitung der Asylanträge und die darauf in 95 Prozent aller Fälle erforderliche Abschiebung. Letzteres wird gerne durch Tricks erschwert, wenn die Asylbetrüger vortäuschen, ihren Geburtstag, ihren Heimatort, ja ihren Namen nicht zu kennen. Allzu leicht lassen sich die Behörden hinters Licht führen und verfallen in Untätigkeit. Auch in diesem Jahr setzt sich der Trend fort: Die Zahl der Bewerber hat sich im ersten Halbjahr 2013 fast verdoppelt. Satte 43.016 Flüchtlinge haben einen Antrag gestellt. Auf dem ersten Platz der Herkunftsregionen liegt Tschetschenien, gefolgt von Syrien, Afghanistan und Serbien.
Nun müssen schillernde Charaktere her wie Sternchen Mirja Dumont in Auf der Flucht bekennen, wie schlimm es ist, ein Flüchtling zu sein, und der harte Ex-NPDler wird genüßlich dabei gefilmt, wie er sich auf dem Flüchtlingsbötchen ins Mittelmeer übergibt. Ach, hätten wir doch solche engagierten Jungdarsteller, wenn es eines fernen Tages um die packende Visualisierung der Flucht- und Vertreibungsdramen von 15 Millionen Deutschen 1945 aus den deutschen Ostgebieten geht!
Doch Auf der Flucht ist ansehnliches Fernsehen – da gründlich recherchiert, gutklassig gedreht, ordentlich dramatisiert. Die Rollen sind allesamt passend besetzt: die blonde Heulsuse, der schweigsame Held, die Krawalltante, die Quotentürkin, der bereits gewendete Sozialarbeiter und der Reue-Nazi: Er soll von dem Wahn geheilt werden, daß zu viele Schwarze, bei denen er „sofort an AIDS denkt“, nicht gut für unser Sozialgefüge sind. Die dramaturgischen Kniffe sind brav von den Privatsendern abgeschaut – die Mission, die anonyme Führung, die überraschende Wende, der spontane Streit, der Beinahe-Zusammenbruch. Und am Ende ist vielleicht sogar ein Lerneffekt zu verzeichnen, nein: zwei. Zum einen erhascht der Zuschauer beim Spaziergang durch ein Flüchtlingslager in Athen einen aufschlußreichen Blick auf unser EU-Bruderland Griechenland, das nicht nur finanziell auf Drittweltstatus herabgesunken ist: Hier ballen sich die Flüchtlingsströme zu einem explosiven Gemisch zusammen, dessen Druckwellen sich unweigerlich bis nach Mitteleuropa ausbreiten werden.
Einen weiteren Lerneffekt bietet ein Blick in die ZDF-Nachrichtensendungen: Millionen Syrer befinden sich momentan auf der Flucht – auch nach Deutschland. Und das ZDF tut alles, um uns darauf vorzubereiten, nachdem die US-Militärmaschinerie auch dieses Land „befreit“ hat – Stoff für noch viele Folgen von Auf der Flucht.
Volker Hartmann