Justitia (Foto: flickr/dierk schaefer, CC BY 2.0)
Warschau. Ausgerechnet die Polen mußten uns am 12. Juli vorführen, wie Tierschutz funktioniert, ohne sich von Minderheiten dreinreden zu lassen. Ein Beispiel, das Mut macht!
Bis vor geraumer Zeit war es in Polen möglich, daß das Landwirtschaftsministerium auf einfachem Verordnungsweg das Schächten erlaubte. Doch im November 2012 gab das polnische Verfassungsgericht einer Beschwerde von Tierschützern gegen das von Juden und Moslems praktizierte Schlachten ohne Betäubung von Tieren statt. Beim Schächten werden bei Tieren wie Hühnern, Schafen oder Rindern mit einem besonders scharfen Messer mit einem einzigen Halsschnitt die großen Blutgefäße sowie Luftund Speiseröhre durchtrennt. Man läßt die Tiere dann lebendig ausbluten, da der Verzehr von Blut im Judentum und im Islam untersagt ist.
Polens oberste Richter entschieden damals, daß das Tierschutzgesetz von 2002 über dieser Verordnung steht und daher nur durch Gesetz abgeändert werden könne. Nun lehnte das Parlament in Warschau mit 222 zu 178 Stimmen einen Gesetzesentwurf der Regierung ab, der eine Ausnahmeregelung für religiöse Schlachtvorschriften vorgesehen hätte. Das Schächten bleibt daher in Polen weiterhin verboten.
Einige Parlamentarier argumentierten zu Recht, das Schächten sei der „polnischen Kultur fremd“. Die Reaktion aus Israel ließ nicht lange auf sich warten. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums nannte das Verbot „völlig inakzeptabel“ und forderte das Parlament auf, die Entscheidung zu überdenken. Der polnische Oberrabbiner Michael Schudrich äußerte sich gegenüber der deutschen Tageszeitung „taz“ entsetzt: „Ich kann nicht Oberrabbiner sein in einem Land, das die Juden verachtet.“ Schudrich gab sich überzeugt, die Abstimmungsniederlage des Regierungsentwurfes werde „in die Geschichte Polens eingehen, als der schlimmste Tag für die polnisch-jüdische Diaspora in den letzten 30 Jahren“. Falls man die Religionsfreiheit für die polnischen Juden und Moslems nicht wiederherstelle, droht der Oberrabbiner nun mit Rücktritt.
Selbstverständlich äußerte sich auch der Präsident des jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, unversehens solidarisch mit den muslimischen Mitbürgern, bestürzt und betroffen: „Diese Entscheidung ist ein Schlag in das Gesicht von Juden und Muslimen gleichermaßen.“ Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der nationalkonservativen Partei „Recht und Freiheit“, zeigt gegenüber polnischen Juden und Muslimen dagegen kein Mitgefühl, sondern freut sich über das Ergebnis der Abstimmung: „Gesiegt haben die anständigen Menschen.“ Sogar ein Abgeordneter der demokratischen Linken, Wlodzimierz Czarzasty, disqualifizierte die jüdischen Proteste als „hysterisch und dumm“.
In Europa besteht in der Schweiz, im Fürstentum Liechtenstein, in Island, Norwegen und Schweden ein Schächtverbot, seit zwei Jahren auch in Holland. Mit deutlicher Mehrheit stimmte das Parlament in Den Haag im Juni 2011 für eine entsprechende Verordnung, Juden und Muslime sahen einen „Widerspruch zur Religionsfreiheit“: Die Gläubigen würden „abqualifiziert als Menschen, die etwas Schlechtes tun“. Vertreter beider Religionsgemeinschaften hatten vergeblich versucht, das Parlament umzustimmen. Der Beschluß sei „ein Schlag nicht allein für die Juden, sondern für alle Gläubigen, denn er steht im Widerspruch zur Religionsfreiheit“, sagte der Sprecher der Jüdischen Gemeinde von Amsterdam, Ronnie Eisenmann. Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen, und trotz des Schächtverbots ist der befürchtete Massenexodus von Juden und Muslimen ausgeblieben, im Gegenteil, letztere strömen nach wie vor zahlreich ins Land.
Dieser Artikel erschien zuerst in „Der Schlesier“.