Justitia (Foto: flickr/dierk schaefer, CC BY 2.0)
Luxemburg. Eine kuriose Meldung ist im Medienrummel um die Ausdeutung des Bundestagswahlergebnisses leider untergegangen. Es geht um die Nachricht, daß der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Wunsch der Türkin Leyla Ecem Demirkan abgewiesen hat, ohne Visum nach Deutschland einreisen zu dürfen.
Die Frau hatte sich auf ein EuGH-Urteil von 1984 berufen. Danach gilt für EU-Bürger nicht nur die „aktive Dienstleistungsfreiheit“, also die Möglichkeit, in einem anderen EU-Land Dienstleistungen anzubieten. Ebenso gilt die „passive Dienstleistungsfreiheit“, ergo die Möglichkeit, in einem anderen EU-Land Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, etwa als Tourist oder Patient. Die Klägerin hatte argumentiert, auch sie, einmal in Deutschland angekommen, sei „mögliche Empfängerin von Dienstleistungen“. Sie meinte wohl, es reiche für die Visafreiheit aus, wenn man in Deutschland ins Nagel-Studio gehen oder auf der Münchner Wiesn ein Hendl essen möchte.
Nun ist die Türkei bekanntlich nicht Mitglied der EU. Es existieren jedoch 21 beziehungsweise 14 Jahre alte Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei, welche bestimmte türkische Staatsbürger von der Visapflicht befreien. Etwa, wenn sie nachweislich zur Förderung von Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst oder Sport beitragen. Diese Ausnahmeregelungen werden beispielsweise von Fernfahrern im deutsch-türkischen Verkehr genutzt, denn im Jahr 2009 hatte der EuGH im Fall des türkischen Kraftfahrers Mehmet Soysal entschieden, daß die EU kein Visum von Türken verlangen darf, die als Dienstleister in den EU-Raum kommen – eben zum Beispiel als Lastwagenfahrer. Das sogenannte Soysal-Urteil hatte in der Türkei die Hoffnung geweckt, daß die Visumspflicht über die europäischen Gerichte abgeschafft werden könnte. Diese Hoffnung hat sich nun vorerst nicht erfüllt.
Die Ausnahmeregelungen waren allerdings nicht dazu bestimmt, sämtlichen 75 Millionen zwischen Bosporus und dem wilden Kurdistan Lebenden eine bequeme Einreise in die EU zu ermöglichen. Damit ein Teil von ihnen in Ruhe die ungezählten Möglichkeiten prüfen kann, wie und wo man im großen EU-Sozialleistungsamt am besten staatliche Dienstleistungen genießen kann. Einschlägig versierte Anwälte und Vereine sind bei den notwendigen Formalitäten gern behilfl ich.
Der Fall Demirkan kann den Beobachter nur vordergründig schmunzeln lassen. Denn erstens: Wie schaffte es ihr Antrag, vom EuGH überhaupt zur Verhandlung angenommen zu werden? Gibt es in Brüssel keine Vorauswahl oder Eingangsinstanzen wie in Deutschland – Amts- und Landgerichte –, die offenkundig dreiste, frivole und grob fadenscheinige Begehren abschmettern dürfen? Und zweitens: Welche Anwälte haben es ermöglicht, daß diese Sache vor das oberste europäische Gericht kam? Wer zahlt deren Kosten? Bloß eines ist klar: Dieses Urteil gilt sicher nicht für die Ewigkeit. Wir leben schließlich in der EU, und die hat noch jeden ehernen Rechtsgrundsatz gekippt, solange er den Interessen auch nur eines Mitgliedstaates dient.
Dieser Artikel erschien zuerst in „Der Schlesier“.