Berlin. Es gibt den schönen, etwas zynischen Spruch: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Ein wenig gilt das auch für das parlamentarische System der Bundesrepublik.
Zwar wissen wir alle: Wir leben in einer Demokratie, in der der Souverän – das sind die Wähler – seine Meinung durch freie und uneingeschränkte Wahlen zum Ausdruck bringt. Aus dem Wählervotum ergeben sich Parlamentsmehrheiten, Regierungen und in der Folge diese oder jene Politik im Gemeinwesen. So in etwa liest sich die schöne Theorie im Sozialkundebuch für Realschulen und Gymnasien. Wir wissen aber alle auch: So ist es nicht. Wir werden zwar – als Wähler, als mündige Bürger, wie es oft heißt – alle Daumenlang an die Wahlurnen gerufen, um unsere Stimme abzugeben. Aber – das war es dann auch.
Mit unserer Stimme üben dann „unsere“ Politiker die Macht im Lande aus. Sie, und nicht etwa der Souverän, treffen die Entscheidungen für uns. Und dabei handelt es sich oft genug um Entscheidungen von großer Tragweite, Entscheidungen, die nicht wieder rückgängig zu machen sind. Entscheidungen nicht zuletzt, die wir, die Wähler, vielleicht gar nicht gewollt hätten.
Beispiele gefällig? Die gibt es in Hülle und Fülle. Wäre der bundesdeutsche Souverän gefragt worden, hätte es keine Abschaffung der D-Mark und keine Einführung des Euro gegeben. Es hätte keinen Maastricht- und keinen Lissabon-Vertrag gegeben. Und es hätte erst recht keine deutsche Unterschrift unter den ESM-Vertrag gegeben. Und keine Banken-Rettung und keine Griechenland-Rettung. Das alles waren zentrale Weichenstellungen der letzten Jahre. Das Bestürzende an ihnen ist, daß der Souverän, die Masse der wahlberechtigten Bürger unseres Landes, in allen diesen Fällen anders entschieden hätte als die von ihnen gewählten Politiker. Schon das ist eigentlich haarsträubend.
Es kommt aber noch schlimmer. Unsere Politiker, die an unserer Stelle in den Parlamenten über unsere Zukunft entscheiden, wissen oft überhaupt nicht, was sie da entscheiden und durchwinken. Wie zum Beispiel im Fall des ESM-Vertrages. Der wurde zwar im Juni 2012 im Bundestag mit überwältigender Mehrheit abgenickt. Aber die Masse der Bundestagsabgeordneten hatte das gewichtige (und sehr komplizierte und sehr voluminöse) Vertragswerk überhaupt nicht durchgelesen.
Aber selbst das ist noch nicht das Schlimmste. In vielen Fällen machen „unsere“ Politiker – und zwar die aller Bundestagsparteien – sogar genau das Gegenteil von dem, was die meisten Deutschen eigentlich wollen. Sie unternehmen zum Beispiel nichts, rein gar nichts, gegen die immer unkontrolliertere Zuwanderung. Vertreten „unsere“ Politiker überhaupt unsere Interessen?
Wie dem auch sei – demnächst also sind wieder Bundestagswahlen angesagt, und wer die Wahl hat, hat bekanntlich die Qual. Aber eigentlich sollte die Entscheidung nicht so schwer fallen. Schon in der Bibel heißt es: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Soll man ausgerechnet Parteien und Politiker nochmals wählen, die unser Land dorthin gebracht haben, wo es steht? Im Vorhof des stillschweigenden Bevölkerungsaustausches, am Rande einer beispiellosen Verschuldungs- und Währungskrise, die uns und halb Europa in den Abgrund reißen kann?
Nein, natürlich sollte kein mündiger Bürger so etwas tun. Er sollte vielmehr sein Kreuz bei einer der vielen Parteien machen, die auf dem Stimmzettel stehen, mit deren Zielen er sich guten Gewissens identifizieren kann. Keine Ausrede: Unter den vielen Parteien ist sicher eine dabei. Man muß sich eben ein wenig mit ihnen befassen. Und: Man sollte wählen gehen. Tut man das nämlich nicht, braucht man sich am Ende auch nicht über die Politik zu beschweren. Man hat ja selbst auch nichts zu ihrer Verhinderung beigetragen. Und wer möchte sich diesem Vorwurf schon aussetzen?
Dieser Artikel erschien zuerst in „Der Schlesier“.