Moskau/New York. Seit langem ist bekannt, daß es 2022 schon kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine die Möglichkeit eines Friedensschlusses gab. Eine Reihe von Beteiligten und Experten wie etwa der Schweizer Geheimienstler Jacques Baud berichteten immer wieder darüber. Kremlchef Putin präsentierte den Entwurf eines Friedensabkommens sogar bei einem seiner öffentlichen Auftritte, allerdings ohne Details zu nennen. Die Verhandlungen scheiterten damals, weil der frühere britische Premierminister Boris Johnson persönlich nach Kiew reiste, einen Abbruch der Gespräche durchsetzte und in der Öffentlichkeit klarstellte, daß die Ukraine weiterkämpfen würde.
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Jetzt veröffentlichte das „Wall Street Journal“ erstmals die wichtigsten Einzelheiten des vereitelten Abkommens. Das Blatt behauptet, im Besitz eines geheimgehaltenen Dokuments zu sein, eines 17-seitigen Entwurfs, auf den sich die Unterhändler beider Seiten bei ihren Gesprächen in Istanbul geeinigt hätten.
Die Ukraine hätte demnach zu einem „dauerhaft neutralen Staat“ werden sollen, „der nicht an Militärblöcken teilnimmt“. Außerdem hätte sich Kiew verpflichten müssen, das Militär des Landes nicht mit westlicher Unterstützung aufzurüsten; das war allerdings bereits über Jahre hinweg geschehen. Die militärische Kooperation der Ukraine mit westlichen Partnern begann schon bald nach dem vom Westen maßgeblich unterstützten Maidan-Putsch 2014, mit dem die Ukraine ins westliche Lager gezogen worden war.
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Wörtlich heißt es laut „Wall Street Journal“ im Vertragsentwurf, „daß die Ukraine zwar die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstreben darf, aber nicht in Militärbündnisse wie die NATO eintreten darf. Keine ausländischen Waffen wären auf ukrainischem Boden erlaubt.“
Uneinig war man sich noch bei der künftigen Größe der ukrainischen Streitkräfte. Moskau bestand auf einer Beschränkung auf 85.000 Soldaten, 342 Panzer und 519 Artilleriegeschütze. Die ukrainischen Unterhändler wollten demgegenüber 250.000 Soldaten, 800 Panzer und 1900 Artilleriegeschütze. Rußland verlangte auch, daß die Reichweite der ukrainischen Raketen auf 40 Kilometer begrenzt würde. Unter das Verbot ausländischer Waffen wären auch „Raketenwaffen jeglicher Art, Streitkräfte und Formationen“ gefallen.
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Ein besonders wichtiger Punkt war für Moskau der Schutz der russischstämmigen Bevölkerung in der Ukraine. Deshalb sollte die russische Sprache in den Behörden des Landes einen gleichberechtigten Status erhalten. Die Benachteiligung der russischen Sprache in der Ukraine hatte 2014 bereits unmittelbar nach dem Maidan-Putsch begonnen.
Über die Zukunft der strittigen „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk enthielt der Vertragsentwurf noch keine Bestimmungen. Dieser Punkt sollte, was verschiedentlich berichtet worden war, zwischen Putin und Selenskyj in persönlichen Verhandlungen geklärt werden.
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Garantiert werden sollte die Einhaltung des Abkommens von auswärtigen Mächten. Offenbar wurde dabei im Frühjahr 2022 an die USA, Großbritannien, Frankreich und Rußland gedacht. Diese Länder wären auch verpflichtet gewesen, die Neutralität der Ukraine erforderlichenfalls militärisch zu verteidigen, falls der Vertrag verletzt würde.
Um Entgegenkommen zu demonstrieren, zog Moskau damals seine Verbände von Kiew zurück. Doch der Westen hatte keinerlei Interesse an einem Ende der Feindseligkeiten. Anfang April – unmittelbar nach dem Rückzug der Russen – sorgten dann die Bilder und Nachrichten aus Butscha, wo die russischen Truppen angeblich ein Massaker angerichtet haben sollten, für weltweite Empörung. Die Hintergründe des Massakers sind bis heute nicht geklärt. Den Rest besorgte Boris Johnson mit seinem „spontanen“ Besuch in Kiew. (mü)
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