„Die Krise rollt auf uns zu“ – ZUERST!-Doppelinterview mit AfD-Bundesvorstand Joachim Paul und Sozialpolitiker Dr. Timo Böhme

19. Mai 2020
„Die Krise rollt auf uns zu“ – ZUERST!-Doppelinterview mit AfD-Bundesvorstand Joachim Paul und Sozialpolitiker Dr. Timo Böhme
National
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Foto: Symbolbild

Wie geht es weiter mit dem Sozialstaat Deutschland – speziell nach dem Corona-Einbruch? Die beiden rheinland-pfälzischen AfD-Landtagsabgeordneten und Sozialexperten Dr. Timo Böhme und Joachim Paul im ZUERST!-Gespräch.

Herr Paul, im Zuge der Corona-Politik der Bundesregierung rückt auch wieder die Frage nach dem Sozialstaat ins Zentrum der politischen Debatten. Ein Vorwurf lautet: In den vergangenen Jahrzehnten sei der Sozialstaat so weit abgebaut worden, daß wir heute nicht mehr krisenfest seien. Ist da etwas Wahres dran?

Paul: Die Bewältigung der Coronakrise wird zeigen, wie wichtig ein starker Sozialstaat eigentlich ist. Das Instrument der Kurzarbeit bewahrt gerade jetzt viele Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit. Gleichwohl sind einzelne Versicherungsträger in ihrer Existenz bedroht. Die Pflegeversicherung steht vor dem Kollaps, die Rentenversicherung wird wenn der letzte 68er in Rente geht – also 2028 oder 2030 –, in eine schwere Existenzkrise kommen. Ein Abbau liegt insbesondere in der Rentenversicherung vor: Besteuerung von Renten, Streichung der Ausbildungszeiten aus der Rentenbiographie – im Umfang von zehn Jahren und mehr – und die Ver­änderung der Rentenformeln zuungunsten der Versicherten. Wer nun länger arbeitslos bleibt, wird bei einem ohnehin schon niedrigen Rentenniveau spä­ter weitere Einbußen hinnehmen müssen. Hartz IV führte insbesondere zu einer Enteignung derjenigen, die langjährig – 20, 30 Jahre – beschäftigt waren und eingezahlt haben. Denn der angesetzte Selbstbehalt – also das Eigentum, das einem Hartz­IV­Bezieher bleibt – ist zu niedrig. Für genau diesen Personenkreis müßte es dringend eine Neuregelung geben.

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Herr Böhme, was sollte nun in der Sozialpolitik Ihrer Meinung nach geschehen, und wo sehen Sie Bedarf für eine Anpassung nach Corona?

Böhme: Ich würde gern sehen, daß man den Aspekt der Generationengerechtigkeit mehr in den Fokus rückt. Die arbeitende Generation ächzt unter einer enormen Steuerlast, die zum Beispiel mit einer CO2­Steuer noch zunehmen würde. Was Steuern und Abgaben angeht, ist Deutschland mittlerweile leider Weltspitze. Wohnraum ist in den Ballungsgebieten kaum noch zu bezahlen. Zudem hat die Politik das Verschieben von Lasten in die Zukunft und auf die Schultern zukünftiger Generationen geradezu perfektioniert. Ältere Menschen, die Erziehungsarbeit geleistet haben, sind massiv benachteiligt. Zudem würde ich eine Menge Bürokratie und politische Einflußnahme abbauen, indem ich die Sozialkommune stärke. Städte und Gemeinden sind das Fundament des Sozialstaates. Ihre Finanzierung sollte nicht davon abhängen, wer sich gerade auf Bundes­ und Landesebene politisch profilieren will.

Dem jüngst verstorbenen, geradezu legendären Bundessozialminister Norbert Blüm (CDU) werden große Verdienste zugeschrieben, er versprach doch seinerzeit: „Die Rente ist sicher.“ Stimmt das nicht?

Paul: Die Einführung der Pflegeversicherung ist und bleibt sein Verdienst. Auch die Abwehr radikal marktliberaler Angriffe gegen den Sozialstaat in seiner Amtszeit. Die Bundesrepublik Deutschland hat schon schlechtere Bundessozialminister erlebt. Die Rentenversicherung beziehungsweise die Rente sind aber nicht krisenfest und sicher. Blüm konnte sogar die demographische Katastrophe bereits sehen. Sie rollt ja seit den 1968er Jahren auf uns zu. Bis heute wird nicht dagegengesteuert, so wie das in Polen, Ungarn oder auch Dä­nemark geschieht. So bleibt ein Schlagwort, für das sich Blüm feiern ließ, obwohl er es hätte besser wissen müssen.

Der AfD wird oftmals von ihren Gegnern beides vorgeworfen: Einerseits heißt es, Vertreter der Partei stünden für einen „neoliberalen“ Kurs des Kahlschlags in der Sozialpolitik, andererseits wird kritisiert, die AfD bediene sich des „Sozialpopulismus“. Was stimmt denn nun?

Böhme: Nichts von beiden. Nicht die sozialistische Umverteilung ist der Weg aus der Krise, sondern weiterhin die ausbalancierte soziale Marktwirtschaft mit einem starken Sozialstaat, der Kriege und Währungsreformen überstanden hat. Er ist allerdings dringend reformbedürftig – das geht aber ohne einen radikalen Systemwechsel, der ohnehin ein Sprung ins Dunkle wäre. Geht es nach Linken und SPD, bleibt alles, wie es ist – eine aktive Bevölkerungspolitik, die die Geburtenrate von Kindern steigert, bleibt zum Beispiel ganz sicher aus. Die Forderung, daß diejenigen, die hier leben und jahrelang eingezahlt haben, bessergestellt werden, ist nicht populistisch, sondern entspricht dem Leistungsgedanken – sie schützt auch vor einer Einwanderung in den Sozialstaat. In der Ära Kohl beziehungsweise Blüm kannte das Rentenversicherungsrecht noch die Anrechnungsvorschrift der Halbbelegung. Diese sollte wiedereingeführt werden. Die Berücksichtigung von versicherungsfremden Leistungen bei der Höhe der Rente – also Kindererziehung und Ausbildung – sollte davon abhängig gemacht werden, daß die Erwerbsbiographie zur Hälfte mit Pflichtbeiträgen angefüllt ist.

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Die mitteldeutschen Landesverbände haben jüngst ein eigenes Sozialpapier veröffentlicht. Sie werben damit für einen stärker sozialen Kurs. Was halten Sie davon?

Böhme: Dieses Papier ist natürlich durch den in Mitteldeutschland stärkeren Wettbewerb mit der Linkspartei geprägt. Die Anhebung der Hinzuverdienstgrenze bei Kurzarbeit ist für die Zeit der Krise ja auch schon umgesetzt worden. Es ist richtig, für Flächentarifverträge einzutreten, denn sie sorgen in Hinsicht auf Löhne, Arbeitszeiten und andere Arbeitsbedingungen für in etwa die gleichen Voraussetzungen. Auch die finanzielle Stärkung der häuslichen Pflege von Angehörigen begrüße ich. Die AfD darf allerdings nicht der Versuchung erliegen, den Job der Tarifpartner und Gewerkschaften machen zu wollen. Es gibt in der deutschen Sozialpolitik eine Rollenverteilung. Die hat sich bewährt: Arbeitnehmer­ und Arbeitgeberinteressen werden durch Dialog austariert und nicht durch Eingriffe des Staates – das ist eine starke Tradition. Die AfD muß ganz grundsätzlich die Partei der Eigenverantwortung, des bürgerlichen Engagements, der Subsidiarität und des Ehrenamtes sein.

Was ist mit der Rente? Was ist in der Krise zu tun?

Paul: Es geht um die Demographie. Wer, wenn nicht die eigenen Kinder soll die Renten aufbringen? Eigentlich ist das ja ganz einfach, aber um bei Blüm zu bleiben – die heutigen Sozialpolitiker haben „nix gelernt“ und meist nur für die Partei gearbeitet. Blüm war immerhin Fließ­ bandarbeiter bei Opel gewesen, er kannte die reale Arbeitswelt. Die Kinderlosen haben die demographische Krise verursacht. Diejenigen, die heute keine Kinder wollen, verschärfen die Krise. Dort muß der Hebel angesetzt werden. Kinderlosigkeit darf sich – finanziell betrachtet – künftig nicht mehr lohnen.

Konkret soll das wie funktionieren?

Paul: Kinderlose müssen künftig mit höheren Beitragssätzen zur Rentenversicherung beitragen. Das können sie leisten, denn das Großziehen eines Kindes verursacht so viele Kosten wie die Anschaffung eines Einfamilienhauses. Kindergeld und Steuervorteile – das hat die Buchautorin und frühere Ehefrau von Oskar Lafontaine, Christa Müller, in ihrem Buch Dein Kind will dich vorgerechnet – machen nur einen Bruchteil dessen aus, was Familien mit Kindern dem Staat an Steuern zahlen. Kindererziehungszeiten sollten auf mindestens fünf Jahre, statt der jetzt aktuell drei, ausgedehnt werden. Dann wäre sicherzustellen, daß diese Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung nur denjenigen zugute kommen, die dort auch pflichtversichert sind. Der Leitantrag der Programmkommission der AfD­Bundespartei enthält zahlreiche Ideen für eine radikal familienfreundliche Politik.

Der politische Mainstream möchte indessen den Sozialstaat gleichsam „europäisieren“ – also die Renten, Arbeitslosenhilfe und so weiter innerhalb der EU angleichen. Was halten Sie davon?

Böhme: Gar nichts. Euro­Rettung und Nullzinspolitik haben massenweise deutsche Sparguthaben und Lebensversicherungen aufgefressen. Der Euro wird wahrscheinlich bald an dem von Corona gebeutelten Krisenstaat Italien scheitern. Wer gerade jetzt immer weitere Integration in Richtung Brüssel fordert, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Vereinbarung von absoluten Mindeststandards, um Arbeitnehmerrechte in der EU zu schützen, bleibt richtig. Alles, was aber darüber hinausgeht, jede weitere Kompetenzverlagerung – zumal eine EU ­Sozialpolitik ohne EU Finanz­ und Steuerpolitik nicht möglich ist –, lehnen wir ab. Aus guten Gründen.

Unser Sozialstaat wirkt als Migrationsmagnet. Es gibt Migrationskritiker, die behaupten, wenn Deutschland seine Attraktivität als Sozialstaat „herunterschraube“, hätte sich auch das Thema der illegalen Migration damit erledigt. Stimmen Sie dem zu? In diesem Kontext ist auch ein selbst in der AfD kaum beachteter Umstand zu diskutieren: Würde die Konsolidierung eines starken Sozialstaats auf nationaler Ebene in Deutschland nicht gerade dazu führen, daß insbesondere die unteren Schichten und damit auch ein migrantisch geprägtes Milieu als erstes von der „sozialen Hängematte“ profitierte?

Paul: Daß seit Jahrzehnten eine Einwanderung in unser Sozialsystem stattfindet, kann niemand mehr ernsthaft bestreiten. Gerade weil unser Sozialstaat als Magnet wirkt, muß die Einwanderung nach Deutschland zum Beispiel durch Änderungen des Asylrechtes und des Familiennachzugs radikal reformiert werden – und zwar nach dem Vorbild Australiens zum Beispiel. Also: „No Way“ für Illegale und Wirtschaftsmigranten, die nicht über gefragte Qualifikationen verfügen und deren Integration nicht aussichtsreich ist. Im Hinblick auf den Sozialstaat bleiben aber noch zahlreiche Stellschrauben. Auf die Wiedereinführung der Halbbelegung ist schon hingewiesen worden. Man sollte den Bezug von Sozialleistungen generell von einer nachweisbaren Integrationsleistung abhängig machen und sich insbesondere das Beispiel Dänemark genau anschauen. Hier ist es gelungen, den Sozialstaat zu erhalten, ihn aber weitgehend unattraktiv für Einwanderer zu machen, die sich alimentieren lassen wollen. In Dänemark gibt es zum Beispiel ein höheres Arbeitslosengeld, jedoch wurde die Dauer vor zehn Jahren halbiert. Und zwar insbesondere deshalb, weil trotz bislang guter Arbeitsmarktsituation Langzeitarbeitslose überwiegend Ausländer sind. Eine harte Asylgesetzgebung, der Schutz des Sozialsystems vor Ausbeutung durch Einwanderer: Das geht aber nur, wenn sich die maßgeblichen politischen Kräfte zu diesem Kurs entschlie­ßen. In Dänemark hat die Dänische Volkspartei diesen Kurs jahrelang vorbereitet, Konservative und jetzt regierende Sozialdemokraten haben anschließend weitere Verschärfungen vorgenommen oder ihnen zugestimmt.

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Was könnte Deutschland noch tun?

Paul: Unser Bundesvorsitzender Prof. Jörg Meuthen forderte jüngst, daß das Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei gekündigt werden muß. Während das Rentenabkommen sich nicht zuungunsten Deutschlands auswirkt, ist die gegenseitige Krankenversicherung eine absurde Kostenfalle. Der in der islamischen Welt gepflegte Familienbegriff hat aus diesem Abkommen einen Selbstbedienungsladen auf Kosten der deutschen Beitragszahler gemacht. Zudem darf es nicht länger hingenommen werden, daß in Deutschland lebende Muslime über die Familienkrankenversicherung ihre verschiedenen Ehefrauen und deren Kinder versichern. Wer sich den familienrechtlichen Bestimmungen des BGB nicht unterwerfen will, hat in Deutschland keinen Platz.

Herr Paul, Herr Böhme, vielen Dank für das Gespräch.

Joachim Paul, geboren 1970 in Bendorf (Rheinland-Pfalz), arbeitete nach dem Studium (Deutsch, Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie) als Gymnasiallehrer. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Rheinland-Pfalz (seit 2016) sowie erster stellvertretender Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Koblenz. Seit dem Jahr 2015 gehört Paul dem AfD-Landesvorstand sowie dem Koblenzer Stadtrat an, 2019 wurde er als Beisitzer in den AfD Bundesvorstand gewählt.

Dr. Timo Böhme wurde 1963 in Annaberg-Buchholz (Sachsen) geboren; auf landwirtschaftliche Lehre und Abitur (Chemie) folgte das Studium der Agrarwissenschaften (Haale/Saale), das er mit der Promotion (Göttingen) abschloß. Nach Tätigkeiten als Pflanzenzüchter und Versuchsleiter war er 15 Jahre lang bei der BASF im Bereich Grüne Gentechnik tätig. Seit 2016 ist Böhme Mitglied des Landtages Rheinland-Pfalz und sozial- wie landwirtschaftspolitischer Sprecher der AfD Landtagsfraktion.

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2 Kommentare

  1. […] „Die Krise rollt auf uns zu“ – ZUERST!-Doppelinterview mit AfD-Bundesvorstand Joac… […]

  2. Sack sagt:

    Jetzt ist ein weiterer Tabubruch passiert. Die EU macht Schulden und wer darf die zurückzahlen? Wird jemand Italiener, Spanier oder Franzosen deshalb angehen? Man wird den Deutschen sagen, ihr könnt das und ihr müßt das machen. Wie war das mit den Untersuchungen der Bundesbank und der EZB über die Vermögensverteilung in der EU?
    Die Deutschen sind alles in allem das zweitärmste Volk in der EU, aber sie sollen fast alles zahlen. Da muß man sich doch einen Reim darauf machen …

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