Ankara. Das türkische Parlament verabschiedete in der Dringlichkeitssitzung vom 2. Januar einen Antrag, der die Regierung ermächtigt, türkische Truppen für ein Jahr nach Libyen zu entsenden.
Die regierende AKP-Partei und die nationalistische MHP unterstützten den Antrag, über den in einer Dringlichkeitssitzung abgestimmt wurde. Die wichtigste Oppositionspartei CHP und die linksliberale HDP lehnten den Antrag ab.
Libyen hat nach dem Sturz und der Ermordung von Muammar Al-Qaddafi im Jahr 2011 einen Sturz in das totale Chaos erlebt. Es gibt derzeit eine Art „Doppelherrschaft“ im Land. Der erste Machtpol ist ein Parlament in Tobruk (Ostlibyen), das General Khalifa Haftar unterstützt. Im Westen regiert das von den Vereinten Nationen unterstützte „Government of National Accord“ (GNA) in Tripolis. Das GNA wurde am 17. Dezember 2015 mit Hilfe der UN gegründet und durch das politische Abkommen von Libyen, das in Skhirat (Marokko) unterzeichnet wurde, legalisiert. Das Abkommen zielte auf den Wiederaufbau des Landes, die Bekämpfung des Terrorismus in der Region und die Schaffung einer Verfassung ab.
Alle angestrebten Ziele scheiterten, gleichzeitig hatte das Mandat der GNA laut den Abkommen nur eine einjährige Rechtskraft. Im Falle des Scheiterns der Verfassungsgebung (die dem Repräsentantenhaus in Tobruk hätte vorgelegt werden müssen) hätte das Mandat automatisch auf ein weiteres Jahr verlängert werden können. Dies zeigt, daß die GNA gemäß dem politischen Abkommen von Libyen bis Dezember 2017 rechtmäßig war. Aufgrund der komplizierten Situation in Libyen, der Beteiligung verschiedener Länder am Konflikt, die verschiedene politische und religiöse Gruppen (einschließlich Terroristen und mit ihnen verbundene Clans und Stämme) als ihre Stellvertreter benutzten, war die Situation in die tiefe Krise geraten. Diese erlaubte es nicht, eine neue Verfassung zu schaffen, und hatte die Position des von der UNO unterstützten Ministerpräsidenten Fayiz as-Sarradsch untergraben. Sarradsch versuchte, seine Kontrolle über Tripolis zu sichern. Ein schwieriges Unterfangen, denn viele Gruppen, die im Block der GNA waren, führten ihre eigene diplomatische Linie – im Bündnis mit anderen ausländischen Kräften. Ein gutes Beispiel ist die sogenannte Mahjub-Brigade von Misrata: Die Experten Jalel Harchaoui und Mohamed-Essaïd Lazib beschreiben die verzwickte Situation folgendermaßen: „2017 befanden sich Mahjub-Kommandeure unter einer Delegation, die sich in Doha mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad al-Thani traf. Der Verteidigungsminister der GNA und andere libysche Staatsbeamte lehnten den Schritt mit der Begründung ab, er komme einer eigenen Außenpolitik von Misrata gleich. Außerdem kam der Schritt nur eine Woche nach der Ankündigung der Blockade von Katar durch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.“
Die Eskalation des Konflikts zwischen dem oppositionellen Militär Chalifa Haftar und Sarradsch verschärfte sich. Im April 2019 startete Haftar eine militärische Operation gegen Tripolis. Im Dezember 2019 erklärte er, daß er die Kontrolle über Tripolis bis zum Silvesterabend übernehmen wird. Dieser Plan scheiterte zwar, aber mit der Türkei, die im November 2019 ein Memorandum über die militärische Zusammenarbeit mit Sarradsch unterzeichnete, erschien plötzlich ein neuer geopolitischer Spieler im nordafrikanischen Chaosland
Syrische Experten sind sich sicher, daß sich mindestens 1.600 Terroristen aus dem syrisch-arabischen Raum in türkischen Lagern befinden, wo sie darauf vorbereitet werden, nach Libyen geschickt zu werden, um die Streitkräfte der Regierung der Nationalen Einheit (GNA) zu unterstützen.
Laut Quellen in der Türkei wurden in der zweiten Oktoberhälfte 2019 etwa 2.000 syrische Kämpfer aus der Türkei von Mersin nach Libyen verschifft. Für diesen Transport sei das türkische Frachtschiff „Medcon Sinop“ verwendet wurden. Bereits im Mai desselben Jahres habe das Schiff „Amazon“ gepanzerte Fahrzeuge nach Tripolis geliefert, später wurde der Einsatz von unbemannten Kampfdrohnen – möglicherweise türkischen Ursprungs – durch die Streitkräfte der GNA bestätigt. Die „Amazon“ habe auch Panzerfahrzeuge der Typen MRAP Kirpi II und Vuran an Bord gehabt.
Am 20. Juni 2019 bestätigte der türkische Präsident Tayyip Erdogan, dass Ankara gegen das UN-Embargo verstößt und Waffen und Ausrüstung an das GNA verkauft. Und am 22. Juni berichteten die arabischen Medien unter Berufung auf eine hochrangige libysche Militärquelle über die neue Waffenlieferung der Türkei an Libyen. Die UN-Expertengruppe stellte fest, daß die „Amazon“ zusammen mit gepanzerten Fahrzeugen die erste Ladung von vier Bayraktar TB2-Aufklärungsdrohnen, die von der türkischen Firma Baykar Makina hergestellt werden, nach Libyen geliefert hat.
Informationen, daß die Türkei syrische Terroristen nach Libyen verlegt, wurden im April 2019 bekannt, nachdem die der GNA unterstehende libysche Nationalarmee die nächste Phase der Antiterroroperation „Al-Karama“ eingeleitet hatte. Dschihadistische Gruppen waren auf dem Weg nach Tripolis und Misrata, um die bewaffneten Gruppen der GNA zu stärken.
Nach den Quellen in Istanbul gab es die möglichen Entsendungen syrischer Terrorgruppen aus Istanbul (Angehörige der sogenannten „Freien Syrischen Armee“). Auch die Kämpfer der Firma SADAT International Defense Consultancy Inc. (die als „Privatarmee von Erdogan“ bezeichnet wird) wurden in der Region Tripolis gesichtet.
Die letzte Eilmeldung aus der Türkei bestätigte, daß die türkische Regierung am 29. und 30. Dezember 2019 eine Verlegung von mehr als 1.000 Kämpfern der „Freien Syrischen Armee“ nach Libyen organisiert hat. Die Koordination der Transporte der terroristischen Gruppen wurde von Fahim Eisa, dem militärischen Leiter der Division Sultan Mura,) übernommen. Die Flüge seien vom Flughafen Gaziantep aus unter strengster Geheimhaltung durchgeführt worden.
All das zeigt, daß die Türkei bereits vor der vom Parlament ratifizierten Entscheidung, türkische Militärgruppen nach Libyen zu entsenden, aktiv in der militärischen Unterstützung der GNA-Kräfte war.
Es stellt sich die Frage nach der Motivation der Türken, sich im libyschen Konflikt zu engagieren. Vielleicht schlägt Erdogan damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Er verfolgt seine geopolitischen Ambitionen seiner sogenannten „neo-osmanischen“ Politik und wird gleichzeitig die in der Türkei stationierten Terrorgruppen los, deren Präsenz in der Türkei für immer mehr Unbehagen in der türkischen Bevölkerung sorgten. (CF)
Bild: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan: Neo-Osmanische Träume auf dem afrikanischen Kontinent
Bildquelle: Kremlin.ru
Wer über eine ausreichend große Armee verfügt und über Einsatzwillige, die im Leben eher nichts zu gewinnen haben, der kann solche Strategiespiele veranstalten.
Wir erinnern uns, dass der verstorbene Ex-Verteidigungsminister Struck noch bedauerte, dass Deutschland sich bei der Destabilisierung von Libyen nicht beteiligt hatte. Der wurde auch für den Ausspruch bekannt, dass Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt wird, wobei der Einsatz in Afghanistan nur einem Fazit gerecht wird. Außer „Spesen“ nichts gewesen.
Die Motivation von Erdogan könnte auch eine Stabilisierung in dieser Region sein und ich persönlich würde es gerne sehen, wenn die Einfallsschneise Libyen für die Afrikaner endlich geschlossen werden würde.