Am 23. Januar fand im EU-Parlament in Brüssel eine Konferenz gegen die EU-Sanktionen gegen Rußland statt. Parlamentarier aus den verschiedensten politischen Lagern kamen zusammen, um gemeinsam eine Entspannungsstrategie für das Verhältnis zwischen Rußland und der EU zu diskutieren und internationale Kooperation zu demonstrieren. Für viele überraschend: Auch eine Delegation der Krim nahm an den Gesprächen teil.
Nicht überall in der der EU rufen die Sanktionen, die im Frühjahr 2014 über Rußland wegen der angeblichen „illegalen Annexion der Krim und der absichtlichen Destabilisierung benachbarter unabhängiger Staaten“ verhängt wurden, Begeisterung hervor. Mitglieder des EU-Parlaments trafen sich mit anderen Delegierten am 23. Januar, um gemeinsam ihrer Kritik an den Sanktionen eine Stimme zu verleihen und zu diskutieren, wie eine vertiefte Zusammenarbeit aussehen könnte.
Das Treffen wurde vom tschechischen Europaabgeordneten Jaromir Kohlicek organisiert, der für die „Kommunistische Partei Böhmens und Mährens“ ins EU-Parlament eingezogen ist und der „Fraktion der Vereinten Europäischen Linken – Nordische Grüne Linke“ angehört. Zu Beginn stellte er klar, daß Rußland immer ein wichtiger Teil Europas war und ist – daher müsse ein Weg Europas in die Zukunft abseits einer Spaltung des Kontinents durch Sanktionen und Drohungen gefunden werden.
Für eine Sensation sorgte die Teilnahme einer Delegation von der Krim. Es war das erste Mal, daß der Ministerpräsident der Krim, Sergej Aksjonow, – zumindest per Videozuschaltung – am selben Ort, an dem auch regelmäßig die Mehrheit der europäischen Abgeordneten für eine Verlängerung der Sanktionen abstimmt, eine Rede halten konnte. Aksjonow taucht auch auf der Liste über die Rußland-Sanktionen vom 17. März 2014 auf. Der offizielle Grund für sein Einreiseverbot: „Aksjonow wurde am 27. Februar 2014 in Anwesenheit pro-russischer Milizen vom Obersten Rat der Krim zum Premierminister gewählt. Seine ‚Wahl‘ wurde am 1. März vom Übergangspräsidenten der Ukraine, Olexander Turtschynow für verfassungswidrig erklärt. Aksjonow nahm aktiv Einfluß auf das Referendum am 16. März 2014.“
In der Videobotschaft erklärte Aksjonow: „Die Krim hat für fast ein Vierteljahrhundert zur Ukraine gehört. Das war eine Zeit des Rückschritts, des Verfalls und der Diskriminierung. Die Schätze unseres Landes wurden von ukrainischen Oligarchen geplündert.“ Der Regierungschef der Krim beschrieb die Wahloptionen im Jahr 2014 wie folgt: „Ukraine: Blut und Krieg. Oder Rußland: Frieden und Freiheit.“ In seiner Ansprache lud er die Anwesenden ein, die Krim zu besuchen: „Reisen Sie hierher, sehen Sie sich alles an und ziehen Sie dann Ihre eigenen Schlüsse.“
Im Konferenzraum mit dabei waren auch die zwei russischen Politikexperten Alexej Worobew und Alexander Vedrussow. Sie klärten die Teilnehmer darüber auf, wie die Sanktionen in Wirklichkeit Rußland dabei halfen, die Wirtschaft breiter aufzustellen und neue Märkte zu erschließen. Neue Partner Rußlands ließen sich vor allem in Asien finden. Obwohl die EU alles tue, um die russische Wirtschaft zu schädigen, habe sich die Wachstumsrate erholt.
Rußland verlasse sich nun mehr auf die internen Wirtschaftskreisläufe, etwa bei der Produktion neuer Zivilflugzeuge. Der tschechische EU-Abgeordnete Kohlicek merkte an, daß in vielen Bereichen, – vor allem bei technischen Erzeugnissen – wo Komponenten, die vorher aus Tschechien kamen, nun in Rußland selbst hergestellt würden.
Worobew erklärte an einigen Beispielen, wie die Krim von der Wiedervereinigung mit Rußland profitiert habe. So beschrieb er den Fall des astrophysischen Observatoriums auf der Krim, das für zahlreiche astronomische Durchbrüche und Entdeckungen bekannt ist. Die ukrainischen Behörden stellten eine weitere Finanzierung der Einrichtung ein und unternahmen mehrere Anläufe, die Sternwarte ganz schließen lassen. Unter der neuen Regierung wird wieder in das Forschungsobjekt investiert und die Teleskope auf den neuesten Stand gebracht.
Die russischen Vertreter bei der Konferenz wiesen darauf hin, wie die Umorientierung gen Osten Sibirien als Wirtschaftsstandort aufblühen lasse. So werde nun der Hafen von Wladiwostock erweitert, um dem steigenden Warenverkehr gerecht zu werden. Die starke Wirtschaftskooperation mit China führe nun zu Investitionen, die den Zugang zur arktischen Handelsroute mithelfe neuer Eisbrecher erleichtern sollen. Worobew legte dar, daß die traditionelle Schiffahrtsroute von China nach Amsterdam über den Suezkanal 48 Tage brauche, der selbe Weg über das arktische Eismeer aber nur 35 Tage.
Der russische Experte fügte allerdings an, daß der gute Kontakt zum Fernen Osten auch für Europa von Vorteil sein könnte, und daß alle mithelfen sollten, für einen wirklichen offenen Markt zu sorgen, von dem jeder profitieren könnte.
Filip Dewinter, belgischer Abgeordneter der flämischen Partei Vlaams Belang, wies ebenfalls darauf hin, wie die Sanktionen der belgischen Wirtschaft schaden. Ihm zufolge erstreckten sich die Umsatzeinbrüche auf den Agrarsektor – vor allem der Export von Gemüse sei betroffen -, aber auch auf den Verkauf von Rüstungsgütern, für die Belgien bekannt ist.
Dewinter regte zudem einen „Blick über den Tellerrand hinaus“ an, um auf die Probleme der internationalen Beziehungen und der Geopolitik aufmerksam zu machen. Dazu nahm er den Krieg in Syrien als Beispiel und erklärte, daß er zweimal das Privileg hatte, sich persönlich mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad zu Gesprächen zu treffen. Für Dewinter sei klar, daß Rußland eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Terrorismus und im Friedensprozeß in der Region spiele.
Die meisten Teilnehmer der Konferenz waren sich dabei einig, daß der einzige Nutznießer der Sanktionen die USA seien, die ihre Exporte während der letzten Jahre kontinuierlich steigern konnten, währen die der europäischen Staaten gesunken seien. Einige bezeichneten die Mitgliedsstaaten der EU als „Vasallen der USA“, da sie nicht in der Lage seien, eine eigene unabhängige Außenpolitik zu betreiben.
Roberto Ciambetti, der Präsident des Regionalrates von Venetien in Norditalien, erzählte, wie er während des Referendums auf der Krim Journalisten am Telefon dazu geraten habe, doch selbst einmal auf die Krim zu gehen: „Sehen Sie doch selbst, was die Menschen auf der Krim wollen.“
Die Tatsache, daß es einer Delegation der Krim gelungen ist, einem Treffen im EU-Parlament beizuwohnen, wurde von vielen als „virtueller Cou“p bezeichnet. „Ich habe wirklich geglaubt, gleich käme der Sicherheitsdienst hereingestürmt und würde die Konferenz beenden, aber alles ist glatt gegangen und ich sehe hier nun eine Reihe anständiger und intelligenter Leute“, beschrieb Worobew die Situation gegenüber Journalisten.
Um auch auf einem anderen Wege zu protestieren, brachten die Vertreter der Krim Tee aus ihrer Heimat als Geschenk für die Gäste der Konferenz mit – auch dieses Produkt unterliegt den Sanktionen. Im Anschluß daran wurden die Teilnehmer dazu eingeladen, am IV. Internationalen Wirtschaftsforum in Jalta teilzunehmen – einem der wichtigsten internationalen Veranstaltungen in die Russische Föderation in diesem Jahr. Zu den Gästen gehören hochrangige russische Regierungsmitglieder, internationale Experten, einflußreiche Geschäftsmänner aus Rußland und der ganzen Welt, Vertreter der großen Wirtschaftsorganisationen und andere Meinungsmacher.
Bei der Konferenz kamen zahlreiche Politiker zusammen, die eigentlich ein tiefer ideologischer Graben trennt. Jaromir Kohlicek erklärte, wie wichtig es sei, daß unterschiedliche Ansichten in anderen Bereichen nicht im Weg stehen dürften, wenn es um wichtige Herausforderungen gehe – etwa dann, wenn eine Spaltung Europas zu verhindert werden müsse – ansonsten seien alle Verlierer. Wie andere Teilnehmer auch, drückte er seine Bedenken darüber aus, das es manchen Politikern wichtiger sei, Staaten auszugrenzen und zu isolieren, als tatsächliche politische Ergebnisse zu erzielen. Dann gehe es „nur noch darum, wer mit wem sprechen dürfe, nicht um tatsächliche Inhalte“.
Filip Dewinter, daß Vlaams Belang geeint hinter der Kritik an den Sanktionen stehe, es aber unterschiedliche Ansichten zur Situation auf der Krim gebe. Der Tenor sei allerdings, daß man sich nicht in interne russische Angelegenheiten einmischen wolle.
Auf die Frage, wie er die Reaktionen auf die Konferenz einschätzt, erklärt Kohlicek lachend, daß er es gewohnt sei, kritisiert zu werden: „Die Fragen lauten dann immer: Was sind Sie denn für ein tschechischer Kommunist? Sie trinken kein Bier, sie haben vier Kinder und sie haben kein Problem damit, mit Leuten auf der Seite der Rechten zu reden!“