Der Samurai aus der Tschechei

23. Oktober 2017
Der Samurai aus der Tschechei
International
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Foto: Symbolbild

In Prag hat sich ZUERST! mit dem tschechisch-japanischen Geschäftsmann und Politiker Tomio Okamura getroffen – einem Mann, der weiß,wie man Skandale produziert

Aus unserem Nachbarland Tschechien schwappt nicht soviel Politik zu uns herüber. Allenfalls ein paar – manchmal auch bizarre – Höhepunkte und Skandale finden Eingang in die deutsche Presseberichterstattung. Etwa der Präsidentschaftswahlkampf vor vier Jahren, als mit dem blaublütigen Son­derling Karl Schwarzenberg noch ein­mal an die alten habsburgischen Traditionen Böhmens erinnert wurde. Und heute macht immer wieder der sperrige tschechische Präsident Miloš Zeman – der sich 2013 in der Stichwahl gegen Schwarzenberg durchsetzen konnte – von sich reden. Die Massenmigrations­welle aus Nahost und Nordafrika nach Europa bezeichnet Zeman schon mal als „organisierte Invasion“, im Ukraine­krieg gehört er zu den wenigen europä­ischen Staatschefs, die sich auf die Seite Moskaus geschlagen haben. Mit China ging er trotz Protests aus Brüssel und Washington lukrative Wirtschaftsver­träge ein, darüber hinaus prahlt er ger­ne mit seiner legendären Trinkfestig­keit. Fast ein Präsident zum Liebhaben für die deutschen Nachbarn – würde er nicht auch immer wieder die Sudeten­deutschen, die nach 1945 gewaltsam aus der Tschechoslowakei vertrieben wur­den, mit gehässigen Kommentaren be­legen. Aber anders betrachtet: Das anti-deutsche Element in Zemans Politik er­innert uns Deutsche wenigstens daran, daß er ein „Linker“ ist. Das kennen wir ja auch aus Berlin. Alle anderen Positio­nen könnte man ebenso in der AfD wie­derfinden – nur meistens etwas moderater.

Doch die Tschechische Republik be­steht eben nicht nur aus Zeman und Schwarzenberg, so wie die deutsche Politik – Gott sei Dank – nicht nur aus Angela Merkel und Sigmar Gabriel. Einer der bekanntesten Politiker in Tschechien ist Tomio Okamura, und der ist nicht allein wegen seiner japani­schen Herkunft ein Exot im Prager Po­litzirkus.

Okamura ist einer der Überraschungs­stars im tschechischen Parlament – und Schreckgespenst für die etablierten Me­dien. Über ihn ziehen die tschechischen Mainstream-Medien her, abwechselnd wird er als „bedeutungslos“ oder „brand­gefährlich“ bezeichnet. Daß er beides gleichzeitig nicht sein kann, fällt den Journalisten dabei offensichtlich nicht auf.

In einem kleinen Prager Restaurant direkt in der Fußgängerzone trifft sich der Politiker mit ZUERST!. Zwischen überladenen Souvenirgeschäften und anderen Touristenfallen wirbt die Knei­pe mit „traditioneller Küche“. Es geht direkt in das Kellergewölbe, Okamura grüßt den Kellner mit Handschlag und kurzen kleinen Verbeugungen. Die Speisekarte muß er sich gar nicht erst ansehen, er kennt die Auswahl. Und mit jeder seiner Gesten scheint er zu betonen: Hier bin ich zu Hause! Und er weiß genau, daß man gerade bei ihm, dem Halb-Asiaten, gleich zweimal hin­schaut.

Okamura gehört zu Tschechiens lau­testen Migrationskritikern. Das muß man dort auch sein, wenn man sich von einem Zeman absetzen möchte. Ist man in Deutschland bereits im Mainstream-Verschiß, wenn man laut über eine Obergrenze nachdenkt, muß man im kleinen Nachbarland Tschechien schon mehr auf Tasche haben.

Tomio Okamura sitzt für die tsche­chische Kleinpartei „Freiheit und direk­te Demokratie“ – die Partei kürzt sich „SPD“ ab – mit zwei weiteren Mitstrei­tern im Prager Parlament. Und dort ist er nicht nur Politiker, sondern immer auch ein wenig Showmaster. Oder in anderen Worten: ein echter Populist mit allem, was dazugehört. Okamura lacht, schimpft und plaudert – und das Volk versteht ihn. Gedankenblitze scheinen ihm zuzufliegen und sofort in seinem Populisten-Gehirn in eine griffige For­mulierung gegossen zu werden. Für die Mainstream-Medien und die politische Konkurrenz der reinste Horror.

Er nippt an seinem Kaffee und macht sich über Multikulti und die Einwanderungslobby lustig, zeichnet mit sei­nen Händen Gedankengebäude in die Luft und bemitleidet die deutschen Be­sucher für ihre Kanzlerin Angela Mer­kel, der ganz Europa den Migrations-Schlamassel zu verdanken habe. Ob Leute am Nebentisch mithören oder nicht, interessiert ihn wenig. Okamura ist kein Leisetreter, mehr Panzerkom­mandant. Und er läßt keine Sekunde lang Zweifel daran aufkommen, daß er an sich selber wenig zweifelt. In Zeiten, in denen jeder Berufskolleglehrer und Rechtsanwalt im Parlament den großen Grübler markiert, ist das erfrischend wie japanische Minze.

Migration ist für Okamura vor allem auch deshalb eines der wichtigsten The­men überhaupt, weil er sich selber als ein gutes Beispiel für eine Einwande­rungserfolgsgeschichte sieht. Als Sohn eines japanischen Kaufmanns und einer tschechischen Kraftwerksingenieurin wurde er 1972 in Tokio geboren. Als er sechs Jahre alt war, sah er das erste Mal das Land seiner Mutter. Okamuras Le­benslauf ist der eines echten „Selfmade­man“: Er schlug sich als Müllmann und Popcornverkäufer durch, um Geld zu verdienen. Bis zu seinem 20. Lebensjahr stotterte er und wurde deswegen viel gehänselt. Doch das alles hat aus ihm den Kämpfer gemacht, der er heute ist. In Tschechien eröffnete er ein Reisebüro, heute ist er Vizepräsident der Assoziation tschechischer Reiseveranstalter.

Oka­mura trat im tschechischen Fernsehen als Japanexperte auf und lobpreiste wortgewandt und -gewaltig die Speisen aus dem fernen Nippon. Und als sei das alles noch nicht genug, gründete er ein vierteljährlich erscheinendes Bier-Magazin, das auch tatsächlich so heißt. Am „Mut zum Ich“ fehlt es dem japanisch-tschechischen Unternehmer und Politiker nicht. Seiner 2010 erschie­nenen Autobiographie gab er den Titel Tomio Okamura – ein tschechischer Traum. Sie wurde zu einem Bestseller in Tschechien. Alles, was Okamura anfaßt, scheint irgendwie zu Gold zu werden. Und er weiß das ganz genau. Und die anderen eben auch. In der tschechi­schen Version der TV-Show Die Höhle der Löwen, wo meist junge Unterneh­mensgründer mit innovativen Geschäftsideen nach Investoren suchen, war Oka­mura als Jurymitglied einer der ge­fürchteten „Drachen“. Der japanisch-tschechische Unternehmer hörte zu, kritisierte, lobte und vernichtete – ganz, wie es das TV-Publikum liebt. Und auch ganz so, wie er es heute im tsche­chischen Parlament macht.

„Wir haben die besten Ideen“, sagt er strahlend und läßt seine Daumen un­heimlich schnell umeinander kreisen. Wenn er über Nationalstaat und natio­nale Interessen spricht, klingt das nicht altbacken, sondern wie eine neue Erfin­dung aus Japan, frisch aus dem 3-D-Drucker. Und immer wieder fordert er, daß man endlich Europas Grenzen or­dentlich schützen müsse. Und zwar richtig. Mit allem Drum und Dran. Ein wenig „Festung Europa“ klingt in sei­nen Worten mit. Die politische Kon­kurrenz beschimpft Okamura deshalb als „Isolationisten“. Der wiederum zuckt mit den Schultern. Man werde ja sehen, was die Bürger wollten.

Ginge es nach Okamura, dann dürf­ten die Tschechen bei allen wichtigen und wegweisenden Themen wie bei­spielsweise Einwanderung, EU-Mit­gliedschaft, Kriminalitätsbekämpfung usw. in Referenden selber bestimmen, wo es künftig langgeht. „Ihr Deutschen solltet das auch“, sagt er ermutigend. Und legt nach: „Alle Europäer sollten das!“ Der Tausendsassa schrieb zum Thema gleich noch ein Buch mit dem Titel Die Kunst der direkten Demokratie, der wohl nicht nur rein zufällig an Sun Tsus Die Kunst des Krieges erinnert. Doch Okamura wäre nicht Okamura, hätte er nicht noch eine Reihe anderer Erfolgstitel veröffentlicht, darunter Die Kunst des Regierens und Die Kunst des Le­bens. Dazwischen fand er noch Zeit, das Große japanische Kochbuch zu schreiben. Über mangelnden Absatz seiner Werke kann er sich nicht beklagen.

Als Politiker kommt ihm sein Talent als Geschäftsmann immer wieder zugute. Er scheint stets genau zu wissen, welche Knöpfe er drücken muß, um sich Gehör zu verschaffen. Als Blogger hat er früher einmal im Durchschnitt mit jedem Beitrag hunderttausend Le­ser erreicht. Er hat Aufreger produziert, über die die Menschen diskutiert ha­ben. Und nicht anders macht er es auch heute. Den Zigeunern in Tschechien hat er mal geraten, endlich ihre Zelte abzubrechen und sich irgendwo ein leeres Stück Land zu suchen, auf dem sie ihren eigenen Staat gründen könnten. Die li­berale Presse war außer sich vor Wut, aber Okamuras Postfach quoll über vor Solidaritätsbekundungen. Er lehnt sich zurück. Er schweigt lächelnd, doch sein Blick sagt: So macht man das.

In seiner Partei ist er Zugpferd, Gründer, Lenker und Chefideologe. Doch eine „Einmann-Show“ will er nicht sein und verweist auf die Ein­trittswelle in die tschechische SPD. Gleich nach der Gründung der Partei 2015 seien mehr als 9.000 Beitrittsgesuche ins Haus geflattert, erzählt Okamura nicht ohne Stolz. „Wir wer­den eine der größten politischen Bewegungen in der Tschechischen Republik sein“, ist er sich sicher. Klotzen gehört zum Geschäft. Aber keiner klotzt so sympathisch wie Tomio Okamura.

Mit seiner SPD ist Okamura, dem seine Gegner einen „autokratischen Führungsstil“ vorwerfen, im vergangenen Jahr der „Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit“ bei­getreten, der auch die österreichische FPÖ, der französische Front National und die italienische Lega Nord angehören. Auch der deutsche AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell ist Mitglied des europäischen Parteienbündnisses. Der tschechisch-japanische Politiker ist überzeugt: Das wird das europäische Er­folgsmodell. Er sagt das in der Art und Weise des „Drachen“ in der Unterneh­mer-Fernsehsendung. Und da hat er sich nur selten geirrt.

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