Berlin/Kabul. Fast fünfzehn Jahre westlicher Afghanistan-Einsatz waren praktisch für die Katz. Die Taliban, die von der NATO nach 2001 schrittweise zurückgedrängt worden waren, erobern das Land jetzt nach und nach wieder zurück. Die vom Westen installierten örtlichen Sicherheitskräfte drohen die Kontrolle zu verlieren. Das ist die Quintessenz einer Afghanistan-Expertise der Bundeswehr für 2016.
In dem Bundeswehr-Dokument unter dem Titel „Ausblick Sicherheitslage 2016“ wird den Taliban eine „zunehmend erfolgreiche Kampfführung“ bescheinigt, die in Afghanistan „insgesamt zu einer Verschlechterung der Sicherheits- und Bedrohungslage“ führe. Die Islamisten könnten ihre Aktionen inzwischen „effektiver koordinieren“ und in größeren Gruppen auftreten. Parallel dazu drohe ein Zusammenbruch der afghanischen Sicherheitskräfte, die jahrelang – auch von der Bundeswehr – aufgebaut worden waren.
Die Prognose für das kommende Jahr klingt düster: „Neben der zukünftig auch dauerhaften Kontrolle von einzelnen Distriktzentren in militanten Kernräumen sind 2016 auch verstärkte, umfangreiche, ausgeplante und gut koordinierte Angriffe auf Provinzzentren wahrscheinlich. Dabei ist auch ein zeitlich befristeter Kontrollverlust der afghanischen Sicherheitskräfte möglich.“ Die meisten Provinzhauptstädte seien zwar noch „ausreichend kontrollierbar“, viele ländliche Regionen seien dagegen überwiegend oder gar nicht mehr zu kontrollieren.
Wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage hatte die NATO erst vor wenigen Tagen ihren geplanten Truppenabzug aus Afghanistan auf Eis gelegt. Der Einsatz am Hindukusch soll nächstes Jahr mit fast unverändertem Aufwand fortgesetzt werden.Das Kontingent der Bundeswehr soll sogar wieder von 850 auf bis zu 980 Soldaten aufgestockt werden. Ursprünglich war für Frühjahr 2016 eigentlich der Rückzug der NATO-Truppen in die Hauptstadt Kabul geplant gewesen. (mü)