Paris/Sirte. Syrien war gestern – als nächste Hochburg der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) wird Libyen immer plausibler. Das behaupten seit geraumer Zeit nicht nur Sicherheitskreise hartnäckig, sondern neuerdings auch Medien – und nicht zuletzt der IS selbst.
Immerhin: laut dem libyschen Geheimdienst hat der IS Kämpfer und Sympathisanten dazu aufgerufen, nach Libyen zu kommen, anstatt zu versuchen, nach Syrien zu gelangen. Offenbar bleibt die Mobilisierung nicht ohne Folgen. So berichtete der libysche Journalist Mohamed Eljar gegenüber CNN von der Ankunft einer größeren Anzahl ausländischer Kämpfer in Sirte in den letzten Monaten und Wochen, aus Nigeria, Mali und Tunesien. Der IS habe mittlerweile nicht nur die volle Kontrolle über die Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern, die Dschihadisten kontrollierten zudem einen Küstenstreifen von 150 bis 200 Kilometer Länge und brächten darüber hinaus immer mehr Land im südlichen Hinterland unter ihre Gewalt, wo sich große Ölfelder befinden. Eine IS-Stellung, die nur 40 Kilometer vom größten Ölfeld Libyens entfernt sei, sei erst kürzlich verstärkt worden. Für Eljar steht deshalb außer Zweifel, daß der IS in Sirte dabei sei, ein Hauptquartier aufzubauen, während man in Syrien im Gefolge der russischen Luftangriffe unter immer größeren Druck gerate.
Auch das „Wall Street Journal“ bezifferte jüngst die Stärke der IS-Aktivisten in Sirte auf mittlerweile 5.000, einschließlich Verwaltungspersonal. Die Angaben beruhen auf Schätzungen von Einwohnern und Geheimdiensten.
Tatsache ist, daß es dem IS in Libyen – das unter Gaddafi eine Bastion der Stabilität in Nordafrika war und Flüchtlingsströme von Europa fernhielt – inzwischen gelungen ist, seine Macht auch gegen Revolten zu verteidigen. Auch konkurrierende Milizen wurden besiegt. Mittlerweile verläuft das Leben in der früheren Heimatsstadt Gaddafis nach den IS-Regeln, mit strengen Kleidervorschriften, Musik- und Rauchverbot, Schariagerichten mit harten Strafen und der öffentlichen Ausstellung der Leichen von Bestraften.
Neuerdings nun sorgen Meldungen für Schlagzeilen, wonach sogar Teile der Regierung in Tripolis (GNC) mit dem IS in Verbindung stehen. Über einen Mittelsmann sollen Waffen an den IS geliefert worden sein, lautet ein Vorwurf.
In Frankreich und besonders in Italien sind sich die Regierungen darüber im klaren, daß Libyen schon jetzt ein massives Sicherheitsproblem für Europa ist. François Hollande und Matteo Renzi haben sich nach den Attentaten in Paris getroffen, um über die Sicherheitslage in Libyen zu sprechen. Schon ist von einer möglichen neuen militärischen Intervention zu hören. Renzi fürchtet, daß Libyen der „nächste Notfall“ wird, wenn man dem Land nicht oberste Priorität einräume. (mü)