Artikel „Porsches Alptraum“ aus der aktuellen Druckausgabe des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST!
Mercedes AMG will Porsche den Rang ablaufen
Das Porsche-affine Kind durchlebt einen schlimmen Alptraum: Die harmonische Rennstrecken-Runde in dem Zuffenhausener Hecktriebler wird rüde durch einen Verfolger unterbrochen. Im Rückspiegel taucht das gefräßige Kühlermaul eines Mercedes auf. Während dieses furchteinflößenden Traums zieht ein Lufthauch durch das Kinderzimmer, die 911er-Sammlung auf dem Regal beginnt zu klappern. Als der Porsche schließlich deklassiert wird, schreckt der Knirps entsetzt hoch. Gleichzeitig informiert der Text: „Das Auto, von dem Sie als Kind geträumt haben, wurde gerade überholt.“
Der kreative Werbestreifen, im Internet unter der Bezeichnung „Dream Car“ abzurufen, unterstreicht den selbstbewußten Anspruch von Mercedes-AMG: Niemand Geringeres als Porsche ist ins Visier der Edelschmiede aus Affalterbach geraten. Dort, etwa 25 Kilometer nördlich des Daimler- Stammsitzes in Stuttgart-Untertürkheim, sitzt jene Edelschmiede, die mittlerweile zu 100 Prozent zu Daimler gehört. Begonnen hat ihre Geschichte mit Renn- und Tuningfahrzeugen, die seit 1967 von Hans-Werner Aufrecht und Erhard Melcher in Großaspach zusammen geschraubt wurden. Und daraus leitet sich auch die Firmenbezeichnung ab: AMG steht für die Nachnamen der Firmengründer – und den ursprünglichen Firmensitz.
Bei der Daimler-Benz AG wurden die Tuning-Aktivitäten einst nur ungern gesehen. Als die Marke noch den Nimbus des Abgehobenen pflegte, wurde Tunern wie AMG kurzerhand die Verwendung des Mercedes-Sterns untersagt. Doch das Ansehen der Veredler wuchs in dem Maße, in dem Mercedes- Benz sich als jugendliche und sportliche Marke neu definierte. 1990 unterschrieb man einen Kooperationsvertrag, 1999 kaufte Daimler 51 Prozent der Anteile an AMG; 2005 kam es dann zur kompletten Übernahme.
Seitdem Mercedes-Benz und AMG kooperieren, ist der Anspruch an die modifizierten Autos deutlich gestiegen. Sie müssen jetzt die Zuverlässigkeits- und Qualitätsvorgaben des Mutterhauses erfüllen, sie müssen in die Modellstrategie von Mercedes-Benz passen – und sie dürfen sich auch nicht negativ auf das Image niederschlagen. Eine barocke Ästhetik, wie sie etwa die Oberpfälzer Manufaktur Mansory pflegt, würde man AMG keinesfalls durchgehen lassen.
Während sich AMG früher vor allem über die Längsdynamik definierte, die man über leistungsstarke Motoren erzielte, geht es inzwischen auch um die Querdynamik – nämlich um hohe Kurvengeschwindigkeiten und hervorragende Rundenzeiten auf der Rennstrecke. Damit agiert man unmittelbar im Marktsegment der klassischen Sportwagenhersteller, aber auch der M GmbH von BMW.
Dabei kommt es den Entwicklern in Affalterbach zupaß, daß die technische Basis inzwischen viel dynamischer ausgelegt ist als früher. Die Zeiten, in denen sich Mercedes-Lenkungen durch ungewöhnlich großes Spiel auszeichneten und die Sitzpolster – so einst die Fachpresse – den Komfort einer „Sprungfedermatratze vom Sperrmüll“ aufwiesen, sind längst vorbei. Mercedes-Lenkungen sind heute präzise, die Fahrwerke auf einem ähnlich hohen Niveau wie die von BMW und Audi.
Und daß man bei AMG automatische Getriebe favorisiert, ist inzwischen kein Nachteil mehr. Denn die klassische Handschaltung ist inzwischen überall aus der Mode geraten. Sogar Porsche setzt heute auf Automaten, und die wenigen verbleibenden Handschalter- Kunden versucht man mit einer umständlich zu bedienenden Siebengang-Box zu entwöhnen.
Nachdem AMG sich traditionell auf die Veredelung existierender Mercedes-Typen beschränkt hatte, kam 2009 mit dem Flügeltürer SLS der Durchbruch. Das Mammutprojekt wurde nicht ganz ohne Schwierigkeiten gestemmt, doch der Erfolg gab den Mutigen recht: Der SLS AMG hat sich inzwischen zum äußerst wertstabilen Sammlerstück gemausert, und er gilt als legitimer Nachfolger des legendären Flügeltürers 300 SL, der die internationale Konkurrenz in den 50er Jahren erneut Respekt vor deutscher Ingenieurskunst lehrte.
Heute steht Mercedes-AMG auf mehreren Säulen. Den Einstieg markieren die kompakten Vierzylinder auf Basis von A-Klasse, CLA-Klasse und GLA-Klasse; ihre Leistung befindet sich mit 381 PS bereits auf Oberklasse-Niveau. Darüber rangieren die Ableitungen der klassischen, hinterradgetriebenen Baureihen mit V8- und V12-Motoren, die bis zu 630 PS leisten. Die Nachfolge des SLS hat schließlich der AMG GT angetreten. Basierend auf dem ausgelaufenen SLS, tritt er ohne Flügeltüren, aber für etwa die Hälfte des Preises auf; angetrieben wird er von einem 462 oder 510 PS starken Vierliter-V8-Turbomotor. Geeignete Voraussetzungen, um für die Konkurrenz zum Alptraum zu werden – während der eine oder andere jugendliche Porsche-Liebhaber bei der Deutung nächtlicher Visionen ins Nachdenken geraten könnte. (Pascal Neumann)
Wünschenswert wäre es, wenn die Deutschen die USA überholen würden, und zwar bei der Herstellung von friedlichem Kraftstoff, d.h. von Sprit ohne Blut-für-Öl-Kriege.