Wann ist ein Held ein Held? Wenn er als Soldat im Dienst für das Vaterland viele Feinde getötet hat? In der Bundesrepublik Deutschland würde die Antwort ein klares Nein sein, in den USA lautet sie ohne jede Diskussion ja. Denn gemäß der seit 1945 sorgsam gepflegten Rolle als gerechte Weltpolizei ist jede militärische Aktion der US-Armee automatisch mit dem Gütesiegel „moralisch gerechtfertigt“ versehen. So ist es kein Wunder, daß der aktuelle Film von Clint Eastwood einen sogenannten „Kriegshelden“ in den Mittelpunkt stellt und ihn kritiklos abfeiert. Chris Kyle tötete als Scharfschütze über 250 Menschen in vier Einsätzen zwischen 1999 und 2009, die er im Irak absolvierte. Ob reguläre Kämpfer, „Terroristen“ oder Zivilisten, wird nicht differenziert. Chris Kyle gilt als Held, und sein Filmporträt American Sniper („Amerikanischer Scharfschütze“) bricht seit Weihnachten (!) die Rekorde an den Kinokassen. Das Publikum – besonders in „Heartland America“, also in der Mitte des Riesenlandes, abseits der Meinungszentralen an Ost- und Westküste – strömt in Scharen herbei, um die simpel gestrickte Geschichte zu sehen, die Eastwood auf die Leinwand bringt. 3-D-Filme gibt es schon länger, die meisten sind immer noch zweidimensional, aber American Sniper hat nur eine einzige: die durch das Zielfernrohr einer Winchester Magnum 300.
In jedem Actionfilm, in jeder Krimiserieie werden Schußwaffen als geradezu erotische Accessoires für jeden richtigen Mann zelebriert. Hier, in den Händen eines Meisters wie Chris Kyle, geraten die Spezialgewehre, wie zum Beispiel eine Lapua Magnum 300, geradezu zum Werkzeug der Allmacht – ein Mann kann ganze Kriege entscheiden, eine Spezialtruppe wie die Navy SEALs kann ganze Armeen ersetzen, eine Nation kann die ganze Welt kontrollieren – so einfach funktioniert Großmachtpolitik. Eastwood macht sich nicht die Mühe, seiner Hauptfigur so etwas wie einen Charakter zu verleihen. Zur Motivation reicht eine Kindheitserinnerung, in der Kyles Vater seinem Sohn erzählt, daß es drei Typen von Menschen gibt: Schafe, Wölfe und Schäferhunde. Chris will Schäferhund werden, und er wird einer der besten. Was das aus ihm als Mensch macht, reißt der Film nur an: Die Ehe geht beinahe in die Brüche, die Heimat kommt ihm fremd vor, immer wieder zieht es ihn in den Irak zurück – nicht etwa, um zu töten, sondern um seine Kameraden vor den „wilden, verachtenswerten“ Feinden zu beschützen. „Ich wünschte, ich hätte mehr getötet“, schreibt er in seiner Autobiographie, die sich über eine Million Mal verkaufte. Eastwood gibt vor, daß er zeigen und anerkennen will, was der Krieg aus Soldaten macht, welches Opfer sie für die Allgemeinheit bringen, doch er springt dabei viel zu kurz. So bleibt das Engagement, das Kyle nach seiner aktiven Zeit für andere Veteranen an den Tag legt, außen vor.
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American Sniper kommt in einer Zeit in die Kinos, in der die USA politisch auf dem Weg zu sich selbst sind, man spricht in Washington schon von einem neuen Isolationismus. Zwar wird man angeblich noch gebraucht – gegen den IS, in Libyen, Westafrika und Afghanistan, aber die Engagements werden kleiner, klandestiner. Was Obama anstrebt – den langsamen Rückzug –, kann jedoch der militärisch-industrielle Komplex der Supermacht nicht zulassen. Die Kriegsmaschinerie muß schließlich am Laufen gehalten werden. Da kommt die Heldengeschichte eines American Sniper gerade zur rechten Zeit. Schließlich muß die nächste Generation von Soldaten, die mit Ego-Shootern wie Call of Duty, Counter Strike, Battlefield 1942 oder Medal of Honor aufgewachsen ist, auch im Kino die ewige Saga der unbesiegbaren gerechten Armee wiederfinden, um mit Hurra „Joysticks“ zu bedienen, um echte Drohnen zu steuern, die echte Menschen töten.
Der Film bestärkt nicht nur die amerikanische Bevölkerung in ihrem Glauben, immer das Richtige zu tun, sondern rechtfertigt auch im nachhinein die Invasion im Irak. So fällt es der militarisierten Gesellschaft viel leichter, in den nächsten Konflikt einzugreifen oder ihn erst zu beginnen. Daß dabei Waffengewalt immer über die Diplomatie siegt, gehört seit 1945 auch zu den Konstanten der US-Außenpolitik. Ohne Waffe verläßt der kriegsbesessene Amerikaner nicht gern das Haus. 270 Millionen Schußwaffen in Privatbesitz sind in der „Heimat der Tapferen“ registriert. So war es eine Ironie des Schicksals, daß der gefeierte Scharfschütze Chris Kyle 2013 auf einem Schießstand in Texas erschossen wurde – von einem Kriegskameraden mit psychischen Problemen oder, wie es ein Kommentator beschrieb, „von einem ,Wilden‘ aus seinem eigenen Stamm“. American Sniper wird schon bald den nächsten „gefährlichsten Scharfschützen der amerikanischen Geschichte“ hervorbringen, der heute noch im dunklen Kinosaal sitzt und mitfiebert, wie wesenlose Araber abgeknallt werden wie Hunde.
Jens Hoffmann
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