Bern/Brüssel. Das war ein Paukenschlag: Experten sind sich schon jetzt darin einig, daß der 15. Januar 2015 in die Geschichte eingehen wird – zumindest in die europäische Finanzgeschichte. An diesem Tag entkoppelte die Schweizer Nationalbank den Franken vom Euro.
Bis zum 15. Januar verteidigte die Schweizer Notenbank (SNB) drei Jahre lang mit Verbissenheit den Mindestkurs von 1,20 Franken je Euro. Mit dem festgesetzten Mindestkurs beabsichtigte die SNB, die Preisstabilität sicherzustellen, mußte aber gezwungenermaßen auch jede Aktion von EZB-Chef Draghi mittragen. Doch nun hat die SNB vor den bevorstehenden nächsten währungspolitischen Maßnahmen der EZB, vor allem dem unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen, sowie vor den Devisenmärkten kapituliert. Die Reaktion fiel hart aus. Innerhalb kürzester Zeit bekam man für einen Euro nur noch 0,86 Franken. Zeitweise stürzte die EU-Kunstwährung zum Franken um knapp 30 Prozent ab, der größte Verlust seit Freigabe der Wechselkurse 1971.
Umgekehrt flüchteten die Investoren in Schweizer Anleihen. Die Nachfrage ist inzwischen so hoch, daß selbst neunjährige Schweizer Staatspapiere eine negative Rendite aufweisen.
Im Augenblick vermögen auch die Experten die Folgen der Notenbank-Entscheidung noch nicht in Gänze abzuschätzen. Die Auswirkungen für die Schweizer Exportwirtschaft werden voraussichtlich immens sein. Und ein weiteres Opfer steht auch schon fest: die deutschen Privathaushalte und Kommunen – sie werden durch die Euro-Entkoppelung des Franken Milliardenverluste einfahren. Denn einige Städte und Kommunen haben Kredite aufgenommen, die in Schweizer Franken notiert sind. Der plötzliche Wertanstieg des Franken verteuert diese Kredite. Wie hoch genau die in Franken gezeichneten Fremdwährungskredite der deutschen Kommunen sind, ist noch nicht abzuschätzen.
Dagegen weiß die Bundesbank ziemlich präzise, wie hoch die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in Franken insgesamt ist. Im November 2014 lag sie bei 1,779 Milliarden Euro. „Insgesamt ist es in Deutschland nicht viel“, erklärte eine Pressesprecherin der Bundesbank. Auch bei den Unternehmern liege der Anteil der Franken-Kredite nur bei etwa einem Prozent. Bei den Privatpersonen dagegen liegen die Franken-Verbindlichkeiten bei 7,157 Milliarden Euro.
Zwar stuft die Bundesbank die Höhe der öffentlichen Franken-Kredite gering ein, aber die Abkopplung und Erstarkung des Franken kann für einige Regionen zu massiven Schwierigkeiten führen. Die 1,779 Milliarden Euro Franken-Kredite sind nämlich nicht gleichmäßig auf die deutschen Kommunen und Bundesländer verteilt. Vielmehr haben einige Kommunen sehr hohe Franken-Kredite aufgenommen.
Essen zum Beispiel sitzt auf einem laufenden Franken-Kredit in Höhe von 450 Millionen Euro. „Essen hat sich für 290 Millionen Euro verschuldet – in Franken“, schreibt der Wirtschaftsjournalist Roland Tichy. „Weil jetzt die Schuld tatsächlich in Franken zurückbezahlt werden muß, sind durch diese und frühere Aufwertungen des Frankens und der spiegelbildlichen Abwertung des Euros daraus 450 Millionen geworden.“ Auch Bochum hat in ähnlicher Weise seine Verschuldung um 80 Millionen erhöht, ebenso Dorsten und andere Städte. Die Stadt Lichtenfeld in Bayern verliert rund 220.000 Euro. Gemessen an der vergleichsweise niedrigen Einwohnerzahl von etwa 20.000 ist dies eine immens hohe Pro-Kopf-Verschuldung.
Unabhängig von solchen währungspolitischen Einzel-Schauplätzen ist die Entkoppelung des Frankens vom Euro ein gesamtpolitisches Menetekel zum Jahresauftakt – und ein kräftiger Schlag gegen das Kartenhaus des Euro-Finanzsystems. Dabei ist dieses ohnehin angeschlagen, und in den Bilanzen der Banken hat sich seit der letzten Krise 2008 längst wieder jede Menge Sprengstoff angesammelt. Das kann spannend werden. Und: Es zeigt, daß nichts „alternativlos“ ist, sondern sehr vieles durchaus möglich. Den Politikern fehlt meist nur Phantasie und politischer Wille. (ds)