Mesen/Nieuwkapelle. Vor einhundert Jahren kam es am 24. Dezember 1914 und an den folgenden Tagen an einigen Abschnitten der Westfront hauptsächlich zwischen Deutschen und Briten zu einer von der Befehlsebene nicht autorisierten Waffenruhe, zum sogenannten „Weihnachtsfrieden“.
Ebenso gab es auch an Teilen der Ostfront in diesem Zeitraum keine Schußwechsel. Im Sommer 1914 zogen viele Soldaten aller Kriegsparteien euphorisch in den Krieg. Sie waren überzeugt davon, „bis Weihnachten“ wieder zu Hause zu sein. Der Schlieffen-Plan sollte dem Deutschen Reich nach einem Umweg über Belgien zu einem schnellen Sieg über Frankreich verhelfen. Doch als deutsche Soldaten am 3. August 1914 in das neutrale Belgien einmarschierten, erklärte England dem Reich den Krieg. Nach dem deutschen Rückzug an der Marne am 12. September 1914 war die Aussicht auf einen schnellen Kriegsausgang in weite Ferne gerückt.
Schließlich erstarrten die Fronten im Stellungskrieg. Manchmal lagen sich die Gegner in ihren Gräben nur 20 Meter gegenüber, beschossen und bewarfen einander mit Handgranaten. Bis Weihnachten 1914 waren schon 160.000 Engländer und 300.000 Deutsche gefallen.
Wie es genau zum Waffenstillstand am 24. Dezember 1914 kam, kann heute nicht mehr genau nachvollzogen werden. Durch die Nähe der gegnerischen Schützengräben war es jedenfalls leicht, mit dem Feind Sprechkontakt aufzunehmen. Außerdem erhielten sowohl die britischen als auch die deutschen Soldaten Weihnachtsgeschenke aus der Heimat, die sie gerne in Ruhe und ohne Todesangst auspacken wollten. Die Oberste Heeresleitung versandte zudem Zehntausende Miniaturweihnachtsbäume an die Fronten, die zu Weihnachten erleuchtet werden sollten.
So kam es wohl dazu, daß die Soldaten auch den Gegner an ihrer jeweiligen Weihnachtstradition teilhaben lassen wollten. Dazu schrieb ein Korrespondent einer englischen Zeitung, es sei einigen Deutschen gelungen, einen Schokoladenkuchen über das Niemandsland zu den Briten zu bringen. Ein anderer Deutscher soll einem Briten auf englisch zugerufen haben, der „Tommy“ möge bitte ab 7 Uhr 30 nicht schießen, da man auf deutscher Seite um diese Uhrzeit einige Weihnachtslieder singen möchte. Dazu wolle er Kerzen auf den Grabenrand stellen. Zur vereinbarten Uhrzeit sangen die Soldaten Weihnachtslieder in ihrer jeweiligen Sprache, und viele Deutsche stellten ihre Tannenbäume auf die Grabenränder.
Während des Weihnachtstages war weitgehend Stille eingekehrt, die nur durch Zurufe der einander gegenüberliegenden Soldaten unterbrochen wurde. Man vereinbarte, die Gefallenen zu bergen, und es wurde nicht geschossen, als die Soldaten unbewaffnet ins Niemandsland gingen und die Toten beerdigten.
Danach begannen sich die Soldaten miteinander zu unterhalten, was deshalb funktionierte, da viele Deutsche die englische Sprache beherrschten. Neben den einfachen Soldaten beteiligten sich auch viele Offiziere an den Ereignissen und führten manchmal sogar Verhandlungen. Einige Briten sollen mit einem Fußball aus ihrem Graben gekommen sein, um mit den deutschen Soldaten ein Spiel abzuhalten, allerdings ohne Tor und ohne Schiedsrichter.
Weitere Berichte handeln von einem gemeinsamen Schweinegrillen, gegenseitigem Haareschneiden und Rasieren sowie dem Austausch von Genußmitteln wie Tabak, Zigaretten und Schokolade. An anderer Stelle wurde notiert, daß sächsische Soldaten ihren britischen Kontrahenten von den „Royal Welsh Fusiliers“ zwei Fässer Bier übergaben. An einem französischen Frontabschnitt brachte ein Deutscher einen betrunkenen Franzosen zu seiner Stellung zurück und legte ihn vor dem Stacheldrahtverhau nieder.
An dem Waffenstillstand sollen mindestens 100.000 Soldaten – hauptsächlich Briten und Deutsche – teilgenommen haben. An einigen schottischen Abschnitten dauerte der Waffenstillstand bis zum Neujahrstag, da dieser von den schottischen Soldaten als besonderes Fest begangen wurde.
An den englischen Abschnitten endete er meistens am 26. Dezember. Dem Bataillonsbericht der „Royal Welsh Fusiliers“ zufolge wurde die Waffenruhe um 8.30 Uhr beendet, indem ein britischer Offizier dreimal in die Luft feuerte und eine Flagge mit der Aufschrift „Merry Christmas“ hißte. Ein deutscher Hauptmann hielt daraufhin ein Tuch mit der Aufschrift „Thank you“ in die Höhe. Beide salutierten, gingen in ihre Gräben zurück, und nachdem ein deutscher Soldat zweimal in die Luft geschossen hatte, ging der Krieg wieder weiter. (ds)