Moskau/Brüssel. Am 1. Dezember machte eine kleine Sensation die Runde: Rußland wird die Pipeline „South Stream“, mit der Gas an der Ukraine vorbei nach Europa geliefert werden sollte, nicht weiterbauen.
Gazprom-Chef Alexej Miller verkündete: „Das Projekt ist vom Tisch. Das war es.“ Rußlands Präsident Wladimir Putin gibt der EU die Schuld am Scheitern des Projekts. Mit der – durchaus hinterfragbaren – Begründung, die Bauaufträge seien nicht nach EU-Recht vergeben worden, drängte Brüssel schon im Juni die bulgarische Regierung dazu, die Bauarbeiten vorerst einzustellen.
Bei seinem jüngsten Besuch in der türkischen Hauptstadt Ankara meinte Putin, das Ende des „South Stream“-Projekts werde letztendlich Europa Schaden zufügen, da der Stopp europäischen Wirtschaftsinteressen zuwiderlaufe. Mit Ankara verhandelt Rußland derzeit über einen sogenannten Gas-Umschlagplatz auf türkischem Territorium, der dann für weitere Exporte in den Westen genutzt werden könnte. Dazu stellte Putin der Türkei, die der NATO angehört, ab 2015 eine Senkung des Preises für russisches Gas um sechs Prozent in Aussicht. Die zwischen Rußland und der Türkei bereits bestehende „Blue Stream“-Pipeline, die durch das Schwarze Meer führt, soll für dieses Unterfangen nachgerüstet werden.
Putins Worte an die Adresse der EU hatten durchaus den Charakter einer Warnung: „Rußland wird seine Ressourcen in andere Regionen der Welt transportieren. Wir werden andere Märkte erschließen, und Europa wird diese Mengen nicht erhalten – jedenfalls nicht von Rußland.“
Mit der 40 Milliarden Dollar teuren Pipeline „South Stream“, gebaut unter der Regie von Gazprom, sollte russisches Erdgas durch das Schwarze Meer und unter Umgehung der Ukraine durch Südosteuropa bis nach Österreich geliefert werden. Das Projekt trug den anhaltenden Unruhen in der Ukraine und dem Ausfall des Krisenlandes als verläßliche Transitstation für russische Gasströme nach Westen Rechnung.
Nachdem die EU-Kommission allerdings darauf bestanden hatte, sie halte es für unzulässig, daß ein Erdgaslieferant zugleich den Zugang zu den Pipelines kontrolliert, stellten die Bulgaren die Arbeiten an dem Pipelineprojekt ein.
Über die wirtschaftlichen Folgen des Baustopps für Bulgarien – eines der Armenhäuser Europas – kann vorerst nur spekuliert werden. Auf 400 Millionen Euro jährlich hat Putin den Bulgaren die Verluste an Transitgebühren für 63 Milliarden Kubikmeter Gas beziffert. Die bulgarischen Befürworter des Projekts, zumeist aus den Reihen der Sozialistischen Partei (BSP), nennen noch höhere Zahlen. Die meist konservativen Kritiker des Pipelinevorhabens argumentieren dagegen, Bulgarien verliere nichts, sondern spare überflüssige Ausgaben für ein unwirtschaftliches Projekt. Zudem gerate das Land nicht noch tiefer in die energiewirtschaftliche Abhängigkeit von Rußland.
Bei den Produzenten der „South Stream“-Rohre, die jetzt nicht mehr gebraucht werden, scheint die Botschaft vom Baustopp noch nicht angekommen zu sein, denn in den beteiligten deutschen Werken geht die Produktion der Pipeline-Bauteile ungebremst weiter. So erklärte am 2. Dezember eine Sprecherin der Dillinger Hütte, die zu 50 Prozent am Röhrenhersteller Europipe beteiligt ist: „Uns liegen derzeit außer diversen Pressemeldungen keine konkreten Fakten oder Beschlüsse vor.“ Hintergründe und Auswirkungen der russischen Ankündigung würden geprüft.
„Generell ist es aber so, daß alle Aufträge und Lieferungen auf Verträgen basieren und diese mit Firmen geschlossen wurden und nicht mit Rußland.“ Nach Meldung eines Sprechers läuft die Produktion von Stahlrohren im Mülheimer Werk von Europipe vorerst unvermindert weiter. Europipe hatte nach eigenen Angaben zum Jahresanfang einen Auftrag über rund 450.000 Tonnen Rohre für den Bau der Pipeline erhalten. Danach sollte das Unternehmen Rohre für eine Strecke von mehr als 600 Kilometern fertigen. Das Unternehmen ist auf die Produktion von Großrohren für extreme Belastungen spezialisiert.
Der Salzgitter-Konzern teilte mit, das Unternehmen gehe davon aus, daß ein großer Teil des wirtschaftlichen Schadens, der aus einem Abbruch des „South Stream“-Projektes für den Konzern erwachse, durch eine Kreditversicherung abgedeckt sei. „Wir werden die Ankündigungen zu South Stream mit unseren europäischen und russischen Partnern im Gesellschafterkreise besprechen“, sagte ein Sprecher.
So oder so: Rußland jedenfalls kann das Scheitern des ambitionierten und geostrategisch sinnvollen Pipelineprojekts ungleich gelassener über sich ergehen lassen als die Europäer. Denn schon seit zwei Jahren betreibt Rußland ein spektakuläres Ölprojekt im Osten, wo eine Mega-Pipeline neue Märkte erschließen soll, und orientiert sich als Konsequenz aus den anhaltenden Spannungen mit dem Westen ohnehin seit geraumer Zeit verstärkt in Richtung China.
Mit einer insgesamt 4.740 Kilometer langen Ölpipeline von Ostsibirien zum Pazifik, über die künftig bis zu 50 Millionen Tonnen Öl jährlich gepumpt werden sollen, nimmt Rußland den wichtigen ostasiatischen Markt stärker ins Visier. Der Staatskonzern Transneft nahm bereits im Dezember 2012 einen rund 2.000 Kilometer langen Abschnitt zwischen der Stadt Skoworodino in der sibirischen Region Amur und dem Pazifikhafen Kosmino offiziell in Betrieb.
Für die Europäer könnte das böse Erwachen früh genug kommen – dann nämlich, wenn man feststellt, daß Moskau auf Europa als Gasabnehmer nicht angewiesen ist, die EU auf die russischen Gas- und Öllieferungen aber sehr wohl. Zumindest den Deutschen mit ihrer verfehlten „Energiewende“ dürfte diese Einsicht vermutlich schon bald dämmern. (ds)