Ausscheren aus der westlichen Sanktionsfront: Zunehmende US-Verbalattacken auf Ungarn

30. Dezember 2014
Ausscheren aus der westlichen Sanktionsfront: Zunehmende US-Verbalattacken auf Ungarn
International
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Foto: Symbolbild

Budapest/Washington. Ungarn hat sich in den letzten Jahren unter seinem konservativ-nationalen Regierungsschef Viktor Orbán erfreulich oft und erfrischend deutlich gegen die EU und die übrige westliche „Wertegemeinschaft“ zur Wehr zu setzen verstanden.

Inzwischen scheint auch Washington Budapest ins Visier genommen zu haben. Immer wieder erklärte Orbán vor dem Hintergrund der anhaltenden Eskalation im Ukraine-Konflikt und der unverkennbaren Mitverantwortung des Westens: Auch Ungarns Unabhängigkeit werde angegriffen. Er sei jedoch kein von fremden Mächten ernannter Vizekönig, sondern der gewählte Premierminister. Und weiter: „Ich habe einen Eid abgelegt, Ungarns Unabhängigkeit zu verteidigen.“

Was war geschehen? Es war ein Kommentar im fernen Washington, der jüngst Orbáns Unmut erweckte. Dort hatte der für seine antirussischen Kraftmeieren bekannte Senator John McCain die Bestellung der neuen US-Botschafterin für Ungarn kritisiert. Colleen Bell ist Produzentin der TV-Serie „Reich und schön“ und hatte mit Politik oder Diplomatie bisher eher wenig zu tun. Ihre wichtigste Qualifikation: Sie spendete viel Geld für den Wahlkampf von Barack Obama. McCain fand diese Stellenbesetzung unpassend in einer Zeit der „rocky relations“ mit Ungarn: Die USA hätten es im Falle Ungarns mit einer Nation zu tun, „die Gefahr läuft, ihre Souveränität an einen neofaschistischen Diktator abzugeben, der mit Wladimir Putin ins Bett steigt“.

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, wen er meinte, erklärte es McCain auch schriftlich: Seit Viktor Orbán 2010 an die Macht kam, seien in Ungarn „antidemokratische Veränderungen der Verfassung“ in Kraft getreten, sei die Unabhängigkeit ungarischer Gerichte ebenso wie die Pressefreiheit eingeschränkt worden – und vieles mehr.

Orbán konterte prompt. Er nannte in seiner Antwort den lautstarken US-Senator nicht beim Namen, sprach aber von „extremistischen Stellungnahmen“, die er gar nicht beachten wolle, damit sie „uns nicht von unserer Stärke, unserem Fokus und unserer Energie ablenken“. Was Orbán als Ablenkungsversuch abtat, ist freilich die schwerste Krise in den ungarisch-amerikanischen Beziehungen seit Ende des Kalten Krieges. Jetzt zeigt sich: Nicht nur in Brüssel, sondern auch in Washington wurde das schrittweise – und durchaus nachvollziehbare – Wegdriften der ungarischen Regierung vom Westen und die Hinwendung zu Rußland und China argwöhnisch registriert. Für Irritation in Washington sorgte zum Beispiel Orbáns Rede im Sommer vor Vertretern der ungarischen Minderheit im rumänischen Baile Tusnad, in der er Ungarns Abschied von „westeuropäischen Dogmas“ ankündigte und auf Singapur, China, Indien und Rußland verwies, die auch ohne Demokratie wirtschaftlich erfolgreich seien.

Aus Washington kamen prompt deutliche Warnungen. Zuerst von den Demokraten: Der ehemalige Präsident Bill Clinton beschrieb Orbán als Bewunderer eines autoritären Kapitalismus, der einfach Geld scheffeln und für immer an der Macht bleiben wolle. Dann warnte die für Europa zuständige Abteilungsleiterin im US-Außenministerium, Victoria Nuland, vor dem „Krebsgeschwür demokratischen Rückschritts und Korruption“ am Beispiel Ungarns (zur Erinnerung: Frau Nuland ist jene US-Spitzendiplomatin, die sich über die EU in diskreten Telefongesprächen schon mal etwas despektierlicher äußert, etwa mit Kraftausdrücken wie „Fuck the EU!“). Auch Präsident Obama glaubte vorgebliche Einschüchterungsversuche der Regierung Orbán an die Adresse der Zivilgesellschaft „von Ungarn bis Ägypten“ aufgreifen zu müssen.

Unter dem Strich freilich ärgert die Amerikaner mehr noch als Orbáns Flirt mit einer „illiberalen Demokratie“, daß Ungarns Regierung die Sanktionen gegen Rußland nicht mittragen will und ohne Ankündigung den Rückfluß von Gas aus Westeuropa in die Ukraine stoppte – was vom russischen Energiekonzern Gazprom immerhin als Verletzung bestehender Lieferverträge betrachtet wurde und maßgeblich zur jüngsten Entscheidung beitrug, das „South Stream“-Pipelineprojekt jetzt zu begraben. Als Ungarns Außenminister Peter Szijjarto die Stimmung in Washington sondieren wollte, wurde er vom Amtskollegen John Kerry nicht empfangen.

Es blieb nicht bei mahnenden Worten. Vor etwa einem Monat wurde zudem bekannt, daß die US-Regierung gegen sechs ungarische Beamte in leitender Funktion ein Einreiseverbot verhängt hatte und daß die US-Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelte. Ihnen wird vorgeworfen, von amerikanischen Firmen Bestechungsgeld verlangt zu haben, um sie bei Ausschreibungen in Ungarn zuzulassen. Viktor Orbán behauptete zuerst, von den Sanktionen nichts zu wissen. Kurz darauf bestätigte allerdings die Leiterin der ungarischen Zollbehörde, Ildiko Vida, daß auch sie auf der Liste stehe und darüber offiziell informiert worden war.

Die ungarische Staatsanwaltschaft sieht bis jetzt keinen Grund, die amerikanischen Vorwürfe gegen die hohen Beamten zu untersuchen. Regierungschef Orbán forderte im Radiointerview lediglich Zollchefin Vida auf, gegen die amerikanischen Vorwürfe zu klagen und ihren guten Ruf wieder herzustellen.

Der Vorfall zeigt: Der Ton wird rauher. Wer in Zeiten des heraufdämmernden neuen Kalten Krieges aus der westlichen Sanktions- und Eskalationsfront ausschert, bekommt es unversehens mit dem „Mutterland“ der westlichen Demokratie zu tun. Sehr demokratisch. (ds)

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