Tannenberg. Vor 100 Jahren, am 26. August 1914, begann zwischen deutschen und russischen Armeen die Schlacht bei Tannenberg. Sie gilt als einer der glänzendsten militärischen Siege der Neuzeit.
Carl von Clausewitz stellte einstmals fest, daß kein europäischer Staat das Russische Reich förmlich erobern, also besetzt halten könne. „Ein solches Land kann nur bezwungen werden durch eigene Schwäche und durch die Wirkungen des inneren Zwiespaltes“, so Clausewitz wörtlich.
Diese Erkenntnis, die Clausewitz nach Napoleons Scheitern 1832 in seinem Buch „Vom Kriege“ niederschrieb, galt bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges in ganz Europa sowohl in politischen als auch militärischen Kreisen als selbstverständlich.
Doch kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges kam diese These ins Wanken. In den ersten Wochen des Weltkrieges kämpften sieben deutsche Armeen im Westen gegen die Franzosen und Engländer, die man binnen fünf Wochen zu schlagen hoffte. An der Ostfront standen 173.000 deutsche Soldaten, eine Armee, einer russischen Übermacht von 485.000 russischen Soldaten, der Narew-Armee im Süden und der Njemen-Armee im Osten, gegenüber. Unter der Zivilbevölkerung verbreitete sich Angst und Schrecken vor den Kosaken, 800.000 Menschen verließen ihre Häuser und zogen in endlosen Trecks in Richtung Westen. Zivilisten und Militärs zweifelten daran, daß die „russische Dampfwalze“ aufgehalten werden könnte, bevor sie Schlesien oder sogar Berlin erreichte.
Doch der russische Vormarsch erfolgte schneller, als er organisiert werden konnte. Außerdem verlief der russische Funkverkehr unverschlüsselt, so daß ihn die deutsche Armeeführung mühelos mitlesen konnte. Hinzu kam, daß die beiden russischen Armeen durch die schwer zugängliche Landschaft der Masurischen Seenplatte voneinander getrennt wurden. So konnte die deutsche Armee eine der beiden russischen Armeen angreifen, ohne daß die andere eingreifen konnte. Auch waren die deutschen Bahnverbindungen leistungsfähiger als die russischen, was Vorteile bei schnellen Truppenbewegungen bedeutete.
Für die militärische Auseinandersetzung wurde General Paul von Hindenburg aus dem Ruhestand zurückgeholt. Ihm stand Generalmajor Erich Ludendorff zur Seite. Beiden gelang es, obwohl ihre Truppen auf dem Schlachtfeld zahlenmäßig unterlegen waren, große Teile der Narew-Armee in den masurischen Sümpfen und Seen bei Ortelsburg, Neidenburg und Hohenstein einzukesseln. Daraufhin erschoß sich der russische Befehlshaber, General Samsonow, sein Stab floh zu Fuß über die Grenze.
Vorbild des von Graf Schlieffen geprägten deutschen Generalstabsplans war der Sieg Hannibals über die Römer bei Cannae im Jahr 216 v. Chr. Er wurde in dieser Schlacht in die Tat umgesetzt, und es gelang, fast 100.000 Russen gefangen zunehmen, die Narew-Armee und danach auch die Nachbararmee zu schlagen und zurückzudrängen. Mehrere hundert Geschütze und Maschinengewehre, Fahnen, Kriegskassen und sogar ein Flugzeug wurden erbeutet.
Dieser Sieg und die Rettung Ostpreußens erschien vielen fast wie ein Wunder. Es gab in der Militärgeschichte bis dahin kein Beispiel ähnlicher Leistung und Kühnheit. Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff schlugen Kaiser Wilhelm vor, das Geschehen hinfort als „Schlacht von Tannenberg“ zu würdigen. Dies erinnerte auch daran, daß 1410 am selben Ort die deutschen Ordensritter gegen ein polnisch-litauisches Heer eine vernichtende Niederlage erlitten hatten, denn Hindenburg glaubte, den Deutschen Orden gerächt zu haben, und sprach: „Die Scharte von 1410 ist auf weiter Linie um diesen alten Kampfplatz herum gründlichst ausgewetzt worden.“
Nach Tannenberg suchte die Reichsleitung mehr und mehr die Gelegenheit zu nutzen, den russischen Koloß durch Abtrennung seiner Randvölker in seine Bestandteile zu zerlegen, um Deutschland dauerhaft vom russischen Druck zu befreien. Hindenburg und Ludendorff propagierten ein „Riesen-Tannenberg“ im Osten.
Wir wissen es heute besser: Am Ende erlag Rußland nicht durch ein zweites Tannenberg, sondern weil es durch die Revolution, also durch „inneren Zwiespalt“, lahmgelegt wurde. Clausewitz hatte doch recht behalten. (ds)