Schöne neue Bahn

18. Dezember 2013

Foto: Deutsche Bahn AG

Vor 20 Jahren fusionierten Bundesbahn und Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG

Für Eisenbahnen gilt dasselbe, was der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer (CDU), über den Nachwuchs sagte: „Kinder kriegen die Leute immer.“ Das stimmt – und auch wieder nicht, wie uns die deutsche Bevölkerungskatastrophe Jahr für Jahr vor Augen führt.

Mit der Eisenbahn ist es ähnlich: Züge fahren immer – aber sie können ausgelastet, verspätet, gut oder schlecht instandgehalten sein, und die Schienen, auf denen sie rollen, können alt und rostig oder nagelneu sein. Alle diese Aggregatzustände einer Eisenbahn hat auch das Bahnwesen in Deutschland durchlaufen. Und das nicht etwa in den letzten bald zwei Jahrhunderten, seitdem die erste „Adler“-Dampflok 1835 von Nürnberg nach Fürth fuhr, sondern allein in den letzten zwei Jahrzehnten.

Die Deutsche Bahn AG gab es nicht immer. Die Älteren können sich noch gut daran erinnern, daß es in der alten Bundesrepublik die Deutsche Bundesbahn gab und in der DDR die Deutsche Reichsbahn (ein Überbleibsel der Eisenbahngeschichte vor 1945, denn spätestens 1949, mit Gründung der DDR, war das Reich auch in der sowjetisch besetzten Zone Vergangenheit). Beide Unternehmen waren Staatsbetriebe, was jahrzehntelang niemand hinterfragte, auch im Westen nicht. Es gehörte zu den Selbstverständlichkeiten auch des westdeutschen Sozialstaates, daß Bahn und Post ebenso Eigentum der öffentlichen Hand waren wie Krankenhäuser, Schulen und Schwimmbäder. Und niemand störte sich daran, daß die Bundesbahn rote Zahlen schrieb – für einen staatlichen Zuschußbetrieb war das völlig normal.

Dann kam die Wiedervereinigung, die volkswirtschaftlich gesehen die Absorption der unrentablen DDR-Ökonomie durch den West-Kapitalismus bedeutete. West-Investoren machten innerhalb weniger Jahre platt, was sich nicht rechnete oder sich als Konkurrenz für West-Unternehmen entpuppen konnte. Dabei war beileibe nicht alles an der DDR-Volkswirtschaft minderwertig.

Daß im Zuge der Einheit auch die beiden deutschen Staatsbahnen miteinander fusionieren würden, war naheliegend. Schließlich waren die Schienenwege durch den Eisernen Vorhang vielerorts ja nur gewaltsam unterbrochen worden und konnten mit vergleichsweise geringem Aufwand wieder in Betrieb genommen werden.

Hinzu kam, daß vor der Kulisse des stürmisch abgewickelten Ostblocks die Zeichen allenthalben auf Marktwirtschaft und Kapitalismus standen. Da sich das westliche Wirtschaftsmodell ersichtlich als das stärkere erwiesen hatte, wurden jene Stimmen lauter, die plötzlich auch dort markt- und privatwirtschaftliche Strukturen sehen wollten, wo bislang niemand das staatliche Monopol in Frage gestellt hatte. Es war die Zeit der großen Privatisierungs-Abkommen, wie etwa des berüchtigten GATS (global agreement on trades and services), das 1995 in Kraft trat und die Privatisierung ganzer Dienstleistungssparten bis hin zum Gesundheits- und Schulwesen festlegte.

Plötzlich standen auch die Eisenbahnen ganz oben auf der Wunschliste kapitalstarker privater Investoren. Sie konnten für eine Überführung der Bahnen in private Hände immerhin gute Argumente geltend machen: die Bundesbahn etwa „erwirtschaftete“ allein im Jahr 1993 einen Verlust in Höhe von 7,9 Milliarden Euro. Sie verlor von Jahr zu Jahr mehr Marktanteile an den Güterverkehr auf der Straße. Und die DDR-Reichsbahn war ohnehin marode und in einem bedauernswerten Zustand.

Es war schließlich die Europäische Gemeinschaft, die 1991, im Jahr des Balkankrieges der NATO gegen Jugoslawien, Nägel mit Köpfen machte. In der EG-Richtlinie 91/440/EWG wurde die Umstrukturierung der europäischen Eisenbahnen eingeläutet: Die Bahnen sollten sich von schwerfälligen, großen Staatsbehörden zu modernen Unternehmen wandeln, die Schienennetze sollten auch für Mitbewerber offenstehen, und ein Wettbewerb der Eisenbahn-Anbieter untereinander sollte stattfinden. Das bedeutete den Todesstoß für die Eisenbahnen in ihrer bisherigen Form.

Das Ende ist schnell erzählt, auch wenn es eine Geschichte voller Taschenspielertricks ist. Die „neue“, teilprivatisierte Bahn suggerierte einen glanzvollen Start in eine neue Ära, indem ihre gigantischen Schulden dem Bund überschrieben wurden, während das bisherige Gesamtunternehmen in unzählige Einzelfirmen aufgesplittet und diese in den marktwirtschaftlichen Wettbewerb gestoßen wurden. Heute hat die Bahn infolgedessen über 1.000 nominell selbständige Tochterunternehmen, von denen die bekanntesten die DB Regio (Personennahverkehr), die DB Fernverkehr (Personenfernverkehr) und DB Schenker Rail (Schienengüterverkehr) sind. Am Ende stand eine Holdinggesellschaft, unter deren Dach die verschiedenen Einzel-Aktiengesellschaften noch lose den vormaligen Bahn-Zusammenhalt suggerieren, während die Unternehmensführung seit 1994 bei der neugegründeten Deutsche Bahn AG liegt.

Die Gründungsurkunde des neuen Unternehmens wurde am 1. Januar 1994, vor nunmehr zwanzig Jahren, bei einem Berliner Notariat unterzeichnet. Für das Publikum gab es kurz darauf, am 10. Januar, am Berliner Ostbahnhof einen formellen Fusionsakt. Dabei ist es bis heute geblieben. Das Grundkapital der Deutsche Bahn AG beträgt derzeit 2,15 Milliarden Euro, die Bundesrepublik Deutschland ist nominell Inhaber aller Unternehmensanteile. Ob die Züge dadurch pünktlicher geworden sind, werden spätere Eisenbahnhistoriker zu klären haben.

Xaver Warncke

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