Französischer Publizist Emmanuel Todd: Der „Fall des Westens“ und Deutschlands Rolle in der Ukraine

25. Juli 2024
Französischer Publizist Emmanuel Todd: Der „Fall des Westens“ und Deutschlands Rolle in der Ukraine
International
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Foto: Symbolbild

Paris. Der französische Historiker und Anthropologe Emmanuel Todd prognostizierte in den siebziger Jahren das Ende der UdSSR. 2003 veröffentlichte er einen vielbeachteten „Nachruf“ auf die USA. Jetzt legt er nach – im Oktober erscheint die deutsche Übersetzung seines jüngsten Buches „Der Fall des Westens“, in dem er das Ende der westlichen Welthegemonie voraussagt.

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In einem Interview der „Berliner Zeitung“ setzte Todd jetzt schon einmal Duftmarken und wartete mit überraschenden Einschätzungen zur aktuellen Weltlage auf. Besonders hart geht er dabei mit seinem eigenen Land, Frankreich, ins Gericht, das sich ökonomisch und finanzpolitisch im freien Fall befinde: „Es heißt immer, Deutschland sei der kranke Mann Europas, aber in Wirklichkeit ist es Frankreich“, sagt Todd.

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Deutschland hingegen werde im Ukrainekrieg eine wichtige Rolle zukommen, weil es trotz seiner aktuellen ökonomischen Probleme der entscheidende strategische Faktor in Europa sei. Todd referiert dabei die Vorgeschichte des Ukrainekrieges erfreulich unbefangen und verschließt seine Augen vor der Verantwortung des Westens nicht: „Als Historiker schaue ich mir die Fakten an und ziehe meine Schlüsse daraus. Vor dem Februar 2022 gab es eine Ausdehnung der NATO nach Osten. Im Zusammenhang mit dem Maidan haben die Amerikaner dann direkt in der Ukraine interveniert. (…) Am Ende war eine Situation entstanden, in der die NATO de facto damit begonnen hatte, die ukrainische Armee bis an die russische Grenze aufzurüsten. Die Russen hatten angekündigt, daß sie eine in die NATO integrierte Ukraine nicht tolerieren könnten. Sie hatten gewarnt, daß sie in einem solchen Fall eingreifen würden“, rekapituliert der französische Publizist sachlich völlig richtig.

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Für die Beendigung des Krieges werde nun vieles von der Haltung Deutschlands abhängen – und ob es Berlin gelinge, sich von der amerikanischen Bevormundung zu lösen. Todd: „Es geht also darum, ob sich Deutschland von den Amerikanern löst und sich für den Frieden in der Ukraine einsetzt. Deutschland wird entscheiden, ob ein endloser Krieg weitergeht oder ob Frieden einkehrt. In diesem Sinne muß Deutschland seiner Verantwortung als Führungsmacht in Europa gerecht werden. Wir alle in Europa warten darauf, daß Berlin den Krieg beendet.“

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Gelinge es tatsächlich, den Krieg in der Ukraine zu beenden – womöglich unter tatkräftiger Mithilfe eines künftigen US-Präsidenten Donald Trump -, dann werde dies gleichbedeutend mit einer strategischen Niederlage des Westens gegen Rußland sein. Für die Amerikaner wäre dies „katastrophal. Würden die Russen ihre Ziele in der Ukraine erreichen, wäre Amerika in den Augen der Welt von einer ebenbürtigen Macht besiegt worden. Und das würde höchstwahrscheinlich zum Zusammenbruch des gesamten amerikanischen Weltsystems führen“, prognostiziert Todd.

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Ohnehin seien die USA im Vergleich zu Rußland im drastischem Abstieg begriffen. „Die Amerikaner bilden heute oft keine Ingenieure mehr aus, sondern Juristen und Börsianer. Für mein Buch habe ich mir die Zahlen angeschaut und festgestellt, daß Rußland mit weniger als der Hälfte der Bevölkerung mehr Ingenieure ausbildet als die USA. Die Amerikaner sind auf Ingenieure aus dem Ausland angewiesen.“

Der französische Historiker glaubt in diesem Zusammenhang auch nicht, daß sich die USA nach einem verlorenen Konflikt in der Ukraine noch auf einen weiteren Konflikt – mit China in der Taiwan-Frage – einlassen würden. Es fehle ihnen schlichtweg an den Mitteln dazu. „Ein Krieg zwischen China und den USA im Südchinesischen Meer wäre in wenigen Stunden vorbei“, ist Todd überzeugt, „die Chinesen würden die amerikanischen Flugzeugträger mit Hyperschallraketen problemlos versenken.“

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Alles in allem zeichne sich eine künftige Weltordnung „mit verschiedenen Polen“ ab, die sich keine größeren Kriege mehr würden leisten können. Das Zeitalter der westlichen Welthegemonie werde dann unwiderruflich vorüber sein – eine Entwicklung, die im übrigen auch der russische Vordenker und Geopolitiker Alexander Dugin seit langem prognostiziert. (mü)

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