Berlin. Es sollte der große diplomatische Wurf werden: In der deutschen Hauptstadt Berlin sollten die Weltmächte zusammenkommen, um sich ein für alle Mal auf eine stabile Ordnung für das von Bürgerkriegen zerfetzte Libyen zu einigen. Ein Hauch von Bismarck lag in der Luft, als die internationalen Staatenlenker und Minister in ihren Limousinen vor das Bundeskanzleramt chauffiert wurden. Eine sichtlich bereits vorab sehr zufriedene Bundeskanzlerin Angela Merkel schüttelte eifrig Hände und posierte für Fotos für die Weltpresse.
Doch bereits die Vorbereitungen zur Libyen-Konferenz waren etwas eigentümlich. Wortgewaltig erklärte Berlin, man wolle als „ehrlicher Makler“ wirken – hier bediente man sich ganz offensichtlich aus dem Bismarck´schen Zettelkasten. Und die Bundesregierung setzte noch einen drauf: Man verfolge in Libyen „keine Eigeninteressen“. Und hier wird es merkwürdig. Denn natürlich hat Deutschland Interessen in Nordafrika – gewichtige Interessen. Seit Libyens Kollaps nach der Entmachtung und Ermordung von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi 2011 wurde Libyen zum Transitland für illegale schwarzafrikanische Migranten auf dem Weg nach Europa. Unter Gaddafi war Libyen ein solider Sperrriegel gegen illegale Migranten.
Kein Wunder, daß zahlreiche NGOs in Deutschland vor der Libyen-Konferenz mobil machten und lautstark forderten, die Konferenz dürfe nicht bewirken, daß keine Migranten mehr von der libyschen Küste aus aufs Mittelmeer dürften. Aus Sicht der NGOs ist das durchaus lebensnotwendig. Denn wenn keine Migranten-Boote mehr von Libyen aus in Richtung Europa in See stechen, erübrigt sich deren spendensubventionierte Existenz.
Deutschlands Interesse: Ein Libyen, das sein Staatsgebiet und insbesondere seine Küsten kontrollieren kann, das keine ausländischen Dschihadisten ins Land kommen läßt oder gar importiert, ein Land, das gute Lebensperspektiven für seine eigenen Bürger anbieten kann. Ein Libyen, wie es unter Gaddafi eben war.
Berlin sollte das gelingen, was vor kurzem in Moskau nicht gelungen ist: die beiden großen Kontrahenten in Libyen, der international anerkannte Staatschef Fayez al-Sarradsch, und der Anführer der oppositionellen „Libyschen Nationalarmee“, General Chalifa Haftar, von einem Waffenstillstand zu überzeugen.
Doch die Lage in dem nordafrikanischen Land ist mehr als verzwickt: Sarradsch, zwar anerkannt, aber schwach, versagt auf voller Linie. Um sich gegen Haftar zur Wehr zu setzen, importiert Sarradsch militante Dschihadisten mit türkischer Hilfe aus Syrien. Viele dieser islamistischen Kämpfer gehen gleich ohne Umweg nach Europa. Es ist deren große Chance. Haftar, gerne als Kriegsherr oder Warlord bezeichnet, bekämpft mit Hilfe Rußlands, Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate nicht nur Sarradsch´ reguläre Truppen, aber auch die ihm zur Hilfe eilenden Dschihadisten. Derzeit behält General Haftar die Oberhand in dem militärischen Konflikt.
Noch unmittelbar vor der Konferenz in Berlin flog der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan – ebenfalls Teilnehmer in Berlin – Islamisten nach Libyen zur Waffenhilfe für Sarradsch aus.
In Berlin einigte man sich indes auf die üblichen schwammigen Ziele: Waffenembargo, „überwachter Waffenstillstand“. Die Berliner Erklärung fordert darüber hinaus den Abzug von schweren Waffen, Flugzeugen und Artillerie sowie den Austausch von Gefangenen als vertrauensbildende Maßnahme. Die Milizen, die den nordafrikanischen Wüstenstaat in einen Flickenteppich kleiner Herrschaftsgebiete aufgeteilt haben, sollen entweder entwaffnet oder in staatliche Sicherheitskräfte eingegliedert werden.
Die deutsche Mainstream-Presse und Merkels Anhänger feiern das Ergebnis der Libyen-Konferenz. Die „Weltkanzlerin“, wie der Spiegel Merkel 2017 halb ironisch, aber auch halb ernst, nannte, habe das geschafft, woran der russische Präsident Wladimir Putin zuvor gescheitert sei.
Doch die Wahrheit ist eine völlig andere: Am Berliner Verhandlungstisch saßen weder Sarradsch noch Haftar. Sie wwaren zwar in Berlin und wurden – so die Bundesregierung – „informiert“ über die Gespräche, aber teilgenommen haben beide nicht. Bei der Moskauer Konferenz hingegen saßen beide zusammen am Tisch. General Haftar hat schließlich die Unterschrift verweigert und ist abgereist. In Berlin haben sich beide Kontrahenten nicht einmal persönlich getroffen, während die Europäer, Amerikaner, Russen, Araber und Chinesen über Sarradsch und Haftar verhandelten.
Rußland hatte im Übrigen vorgeschlagen, Sarradsch und Haftar an den Verhandlungen teilnehmen zu lassen. Ohne Erfolg. Merkel wußte – wie alle anderen – daß weder Sarradsch noch der militärisch erfolgreiche Haftar – zu einer langfristigen Einigung bereit sind.
Was sind die Folgen der Berliner Libyen-Konferenz? Ist Merkel jetzt nicht nur die Mutti der Migranten, aber auch des Weltfriedens? Höchstwahrscheinlich nicht. Die Ziele, auf die man sich – erneut! – einigte, sind bereits seit 2015 auf dem Tisch.
Würde Berlin seine eigenen Interessen vertreten, würde das bedeuten: Deutschland stärkt an Rußlands Seite General Haftar. Derzeit ist er der einzige Anführer in Libyen, der dafür garantieren kann, daß islamistische Dschihadisten erfolgreich bekämpft werden – währenddessen nimmt Sarradsch die türkische Waffenhilfe an und unternimmt nichts, um die illegale Migration über das Mittelmeer zu stoppen. Derzeit wäre es wohl nur General Haftar, der Libyen wieder zu einem Sperrriegel gegen illegale Boot-Migranten machen könnte.
Doch nichts davon hat Berlin forciert. Stattdessen: Enthusiastische Berichte in der regierungsnahen Presse und farbenfrohe Gruppenfotos. Aber in der Merkel-Republik geht es eben vor allem um eines: Schöne Bilder.
Manuel Ochsenreiter ist Chefredakteur des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST!