Berlin/Moskau/Ankara. Im nordafrikanischen Krisenland Libyen, wo sich mindestens zwei verfeindete Lager seit Monaten einen blutigen Kampf um die Macht liefern, zeichnet sich eine Friedenslösung nach syrischem Muster ab. Auch diesmal könnten die zwei maßgeblichen Mächte Rußland und die Türkei sein. Im Licht der neuen Entwicklung findet auch die kürzlich vom türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan angeordnete Militärintervention in Libyen eine stimmige Erklärung.
Moskau und Ankara sind bemüht, eine Beendigung der anhaltenden Kampfhandlungen zwischen Regierungstrupppen und den Einheiten des regierungsfeindlichen Generals Haftar zu arrangieren. Als Vorbild gilt dabei die Entwicklung in Syrien, wo Rußland und die Türkei im Rahmen des sogenannten „Astana-Prozesses“ ebenfalls weite Teile des Landes befriedeten – und ausländische Kräfte weitgehend vom Schauplatz verdrängen konnten. Mit Ausnahme des Gebiets um Idlib und der türkisch besetzten Gebiete in Nordsyrien neigt sich der Syrien-Krieg seinem Ende zu (auch wenn die Landesteile östlich des Euphrat mit ihren ergiebigen Erdöl-Lagerstätten nach wie vor völkerrechtswidrig von den USA und mit ihnen verbündeten Milizen kontrolliert werden).
Nach ähnlichem Muster zeichnet sich nun auch in Libyen ein Befriedungsprozeß ab, wobei Rußland und die Türkei jeweils Einfluß auf eine der beiden maßgeblichen Kriegsparteien haben. Dabei ist das Kalkül nach Einschätzung von Beobachtern, daß die Türkei der zuletzt militärisch unterlegenen „Einheitsregierung“ in Tripolis den Rücken stärkt, bis ein Gleichgewicht der Truppen beider Seiten erreicht ist. Gelingt die russisch-türkische Kriegsbeendigung in Libyen, könnten Moskau und Ankara in Nordafrika – wie bereits in Syrien – ebenfalls auf einen erheblichen Nachkriegseinfluß hoffen und die Europäer, die uneins präsentieren, ebenso wie die USA in den Hintergrund drängen.
Im übrigen bemüht sich auch die Bundesregierung, ihren Einfluß in Libyen zu vergrößern. Sie propagiert eine eigene Befriedungsinitiative unter dem Motto eines „Berlin-Prozesses“, der bislang aber kaum vorangekommen ist und immer wieder verschoben werden mußte. Am Rande der jüngsten Zusammenkunft von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Kremlchef Putin in Moskau wurde nun deutlich, daß Moskau den „Berlin-Prozeß“ zu unterstützen beabsichtigt, der der Bundesregierung zu größerem Gewicht in der arabischen Welt verhelfen könnte. Allerdings verschafft sich der Kreml dadurch auch umgekehrt zusätzlichen Einfluß in Berlin.
Schon im Vorfeld der Moskau-Reise der Bundeskanzlerin äußerten sich deutsche Außenpolitiker ungewohnt anerkennend über den gewachsenen russischen Einfluß. Früher habe man „in Washington angerufen“, wenn man etwas in Syrien habe erreichen wollen, erklärte etwa der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai, und betonte: „Heute müssen Sie in Moskau anrufen.“ Der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff nennt die deutsch-russischen Beziehungen gar „einen Schatz“.
Tatsächlich könnte es – mit russischer Hilfe – bald einen außenpolitischen Erfolg für Berlin geben. Kremlchef Putin erklärte nach seinem Gespräch mit Merkel am Samstag, Rußland sei bereit, den „Berlin-Prozeß“ zu unterstützen. Moskau betrachte die von der Bundesregierung geplante internationale Libyen-Konferenz „als zeitgerecht“, ließ Putin durchblicken. Auch Merkel gab zu verstehen, sie habe „die Aussage“ registriert, „daß wir sehr bald eine solche Berliner Konferenz durchführen sollten“.
Der türkische Präsident Erdoğan wiederum erklärte am 5. Januar, sich nur dann auf den „Berlin-Prozeß“ einlassen zu wollen, wenn Rußland teilnehme. Gegen den Willen Moskaus und Ankaras wäre die deutsche Initiative in Libyen mithin zum Scheitern verurteilt. Schon diese Konstellation verschiebt die Gewichte in Europa – im Kernland der EU – signifikant zugunsten Moskaus; die Beziehungen zu Washington sind ohnehin angespannt. (mü)