Der Kongreß tanzt – ZUERST! vor Ort beim IV. Internationalen Wirtschaftsforum in Jalta auf der Krim

1. Juni 2018
Der Kongreß tanzt – ZUERST! vor Ort beim IV. Internationalen Wirtschaftsforum in Jalta auf der Krim
International
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Foto: Symbolbild

Trotz anti-russischer Hetze, Syrien und Skripal-Affäre: Am mittlerweile IV. Internationalen Wirtschaftsforum in Jalta auf der Krim nahmen zahlreiche Politiker aus Europa teil. ZUERST! war vor Ort.

Andrei Nasarow hat keine leichte Auf­gabe. Der russische Geschäftsmann und ehemalige Abgeordnete der russischen Staatsduma (Parlament) ist der stellvertretende Vorsitzende der „Stiftung Internationales Wirtschaftsforum Jalta“, die jedes Jahr im April auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim ihren Wirt­schaftskongreß veranstaltet. Bereits An­fang April bei einer Pressekonferenz in Moskau, an der unter anderem auch der ehemalige Kärntner Landeshauptmann (Ministerpräsident) Gerhard Dörfler, der serbische Parlamentsabgeordnete Boško Obradoviććund der deutsche AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohn­maier teilnahmen, berichtete Nasarow vom immensen politischen Druck vor allem auf die Gäste aus Nordamerika und den EU-Staaten, nicht an der Veranstaltung in Jalta teilzunehmen.

Der belgische Parlamentsabgeordne­te Jan Penris vom Vlaams Belang hatte bereits in mehreren Interviews zuvor dargelegt, wie EU-Institutionen alle Hebel in Bewegung setzen würden, um Politiker und Geschäftsleute daran zu hindern, auf die Krim zu reisen. Auch gegenüber ZUERST! sagte Penris, daß europäische Politiker, die auf die Krim reisten, nach ihrer Rückkehr „jede Men­ge Feindseligkeit“ durch die Behörden und etablierten Parteien und Medien erwarte.

In diesem Jahr gab es gleich mehrfachen Druck auf die Organisatoren: Die EU erkennt nach wie vor das Krim-Referendum vom März 2014 nicht an, bei dem sich die große Mehrheit der Bürger der Halbinsel für eine Loslösung von der Ukraine und eine Vereinigung mit der Russischen Föderation ausgesprochen hat. In den Augen Kiews und Brüssels ist die Krim damit angeb­lich „russisch besetzt“. Eine Reise auf die Krim ohne ausdrückliche Genehmigung aus Kiew ist daher nach ukrai­nischem Recht nach wie vor „illegal“. Auch die EU rät dringend von Reisen auf die Krim ab – allerdings sind sie nicht verboten. Eine Reise auf die Krim über die Ukraine ist allerdings wieder­um für die meisten EU-Bürger nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Nur sehr selten gibt es solche Genehmigungen. Überdies ist der Grenzübertritt lang­wierig und kompliziert.

Daher führt der bequeme und ver­gleichsweise unkomplizierte Weg auf die Krim nur über Rußland. Zudem wird die Schwarzmeer-Halbinsel seit 2014 von der EU mit verschärften Sanktionen überzogen. Mit der Krim sind praktisch keinerlei Geschäfte erlaubt, europäische Tourismusunternehmen dürfen keine Reisen dorthin anbieten, nicht einmal mehr die beliebten Schwarzmeer-Kreuz­fahrten laufen Häfen auf der Krim an. Darüber hinaus verschärften auch noch andere Nachrichten die Lage: Nach der Skripal-Krise wiesen viele europäische Staaten aus Solidarität zu Großbritannien russische Diplomaten aus, und wegen des angeblichen Giftgasangriffs der syrischen Armee in Ost-Ghuta geriet auch Rußland weiter unter Druck.

Angesichts einer solchen ungünsti­gen Lage ein internationales Forum auf der Krim zu organisieren, ist alles andere als ein Selbstläufer. Und dennoch: Ein Großteil der eingeladenen Abgeordneten und Geschäftsleute aus Europa ließ sich trotzdem nicht abschrec­ken und kam Ende April nach Jalta.

Die Beziehungen zur Bundesrepu­blik Deutschland und zu Österreich, aber auch der Wiederaufbau Syriens standen in diesem Jahr im Mittel­punkt. Der Linzer Vizebürgermeister Detlef Wimmer von der FPÖ reiste mit einer ganzen Gruppe von Politikern und Geschäftsleuten aus Österreich an, aus der Bundesrepublik Deutschland kam der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier mit einer kleinen Delegation von Fraktionskollegen nach Jalta, auch einige Landtagsabgeordnete der AfD waren vor Ort. Mehrere Bundestagsabgeordnete der Linkspartei waren zwar angekündigt, nahmen am Ende aber doch nicht teil. Aus Frankreich kam der Europaabgeordnete und Front-National-Politiker Nicolas Bay, aus Großbritan­nien der UKIP-Europaabgeordnete Bill Etheridge. Aus Italien, Bulgarien, Tschechien, Belgien und Polen reisten ebenfalls Abgeordnete an.

Insgesamt nahmen über 3.000 Politiker, Experten und Geschäftsleute aus mehr als 70 Ländern am Wirtschaftsforum teil – ein Rekord und für die Ver­anstalter ein Zeichen dafür, daß die westliche Isolationsstrategie immer weiter an ihrer Durchsetzungsfähigkeit verliert. Denn Kiew droht nach wie vor allen Besuchern der Krim, die über Rußland einreisen, mit „strafrechtlichen Konsequenzen“.

Die großen Debatten standen ganz unter dem Zeichen der Konfrontations-und Sanktionspolitik zwischen Brüssel und Moskau. „Zukunft der Welt“ war der Titel der prominent besetzten Hauptveranstaltung in der großen „Rußland“-Halle des Myria-Hotels, wo das Wirtschaftsforum stattfand. Moderiert wurde die Debatte, an der unter anderem Detlef Wimmer, Markus Frohnmaier, Bill Etheridge, Nicolas Bay und der malische Politiker Omar Mariko teilnahmen, vom britischen Journalisten und Buchautor Neil Clark. Der zeigte sich gegenüber ZUERST! begeistert von der „politischen Mischung“ der Teilneh­mer. Clark bezeichnet sich selbst als „anti-imperialistischen Linken“, Mariko ist strammer Sozialist, während die an­deren Teilnehmer rechte Euroskeptiker sind. „In Europa wäre eine solche öffent­liche Diskussion unmöglich“, so Clark im Gespräch mit ZUERST!. „Dafür muß man wohl erst auf die Krim reisen!“

Detlef Wimmer, der vor seiner Krim-Reise unter erheblichem politischen Druck stand, unterstrich in seinem Redebeitrag, daß es für ihn wichtig sei, am Wirtschaftsforum teilzunehmen und damit Flagge zu zeigen. Markus Frohn­maier sprach über seine Eindrücke vom Fortschritt bei der Modernisierung der Infrastruktur auf der Halbinsel. Der neue Flughafen in Simferopol ist bereits eröffnet – nach nur zwei Jahren Bauzeit. Frohnmaiers Vergleich mit dem neuen Berliner Flughafen BER, der bereits 2012 hätte eröffnet werden sollen, aber bis heute nicht in Betrieb ist, sorgte vor al­lem bei den deutschen und russischen Zuhörern für große Heiterkeit.

Der britische Europapolitiker Ethe­ridge plädierte vehement für eine Ver­besserung der Beziehungen zwischen London und Moskau, und der Front- National-Europaabgeordnete Bay skiz­zierte deutlich, weshalb auch für Frank­reich kein Weg an einer französisch-russischen Verständigung vorbeiführen könne. Alle Redner aus EU-Ländern waren sich darüber einig, daß die Sank­tionen nicht nur Rußland, sondern auch Europa schadeten.

Für die russische Seite wiederum war die Diskussion ein ermutigendes Signal für die politischen Entwicklun­gen in Europa. Denn die seit einigen Jahren in der EU immer einflußreicher werdenden Euroskeptiker sind sich dar­über einig, daß die gegenwärtige anti-russische Politik der EU sowohl den Wirtschafts- als auch Sicherheitsinter­essen Europas und Rußlands schade.

Auch die syrische Delegation mit knapp 100 Teilnehmern stand im Mit­telpunkt des Wirtschaftsforums. So­wohl die Krim als auch Syrien leiden unter den westlichen Sanktionen. Der syrische Abgeordnete und Vorsitzende der syrischen Industrie- und Handels­kammer Fares Schehabi sah in den sy­risch-russischen Gesprächen ein „posi­tives Signal für beide Regionen“. Neben verschiedenen Vereinbarungen über gemeinsame Wirtschaftsprojekte, dar­unter beispielsweise ein Kooperations­abkommen zwischen dem syrischen Wirtschaftsministerium und der russi­schen Dachorganisation „Business Rus­sia“, wurde auch eine Städtepartner­schaft zwischen Jalta und Latakia be­schlossen. Die Syrer konnten aber auch – viele erstmals seit Ausbruch des Krie­ges 2011 – im Rahmen des Wirtschafts­forums mit europäischen Politikern und Geschäftsleuten sprechen. „Das ist besonders wertvoll“, so Schehabi gegen­über ZUERST!.

Vor allem von etablierten Politikern in Europa hagelte es Kritik am Internationalen Wirtschaftsforum in Jalta. Der CDU-Außenpolitiker und leiden­schaftliche Rußland-Feind Roderich Kiesewetter warf der AfD-Delegation wegen der Teilnahme am Forum „blanken Zynismus“ vor. AfD-Politiker Frohnmaier sieht den Zynismus dagegen bei der Bundesregierung, die seiner Mei­nung nach „immer den Musterschüler der EU spielen“ wolle. „40 Prozent der westlichen Handelsverluste trägt Deutschland alleine“, so der baden-württembergische Abgeordnete gegen­über ZUERST!. Frohnmaier fordert von Berlin wesentlich mehr Eigenständigkeit und Mut, wenn es um die eigenen Inter­essen geht. „Alle anderen Mitgliedsstaaten versuchen die Sanktionspolitik zu umgehen. Die Polen haben entgangene Handelsgewinne zurückgefordert. Frank­reich hat trotz Sanktionen über Rü­stungsdeals verhandelt.“

Besonders für die russische Seite ist die Teilnahme von Politikern und Ge­schäftsleuten aus der EU ein wichtiges Signal. Denn derzeit locken noch keine großen Geschäftsabschlüsse und Kooperationsabkommen – die Sanktionen unterbinden dies. Daher geht es in Jalta mehr um Zukunftsvisionen. Der AfD‑Bundestagsabgeordnete Waldemar Herdt, der zur deutschen Delegation gehörte, spricht bereits von vielen profitablen Investitionsprojekten auf der Krim, die in Angriff genommen werden könnten, sobald das Sanktions­regime falle. „Landwirtschaft, erneuer­bare Energien, Straßenbau, autonome Ökosiedlungen und Tourismus – das ganze Feld“, so Herdt im Gespräch mit dem Magazin Business Crimea.

Andrei Nasarow glaubt fest an die Vision, daß die Krim sogar bald ein „russisches Monaco“ werden könne. Das Jalta-Wirtschaftsforum könne für solch ambitionierte Zukunftspläne der perfekte Rahmen sein, ist er sich sicher.

Die Frage ist: Werden die Sanktionen bald fallen? Derzeit sieht es nicht danach aus. Nach dem Fall „Skripal“ und der Situation in Syrien hat sich die diploma­tische Krise zwischen Rußland und dem Westen sogar noch verschärft. Dennoch wird in Europa der Widerspruch gegen das Sanktionsregime immer lauter. In Deutschland plädieren mittlerweile auch viele Politiker der etablierten Par­teien für einen Abbau der Sanktionen – darunter Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Ende April sagte sie: „Wir müs­sen im Dialog bleiben, um zu einem schrittweisen, wechselseitigen Abbau der Sanktionen zu kommen.“

Markus Frohnmaier lächelt verbit­tert angesichts solcher Äußerungen. „Wenn die SPD das wirklich möchte, dann soll sie es doch einfach machen. Sie, die Sozialdemokraten, regieren, wir sind in der Opposition. Das ist doch wieder nur Geschwätz, um die Leute zu beruhigen.“ Und er scheint nicht unrecht zu haben. Denn während Schwe­sig über den Abbau von Sanktionen re­det, verspricht ihr Parteifreund und Außenminister Heiko Maas glatt das Gegenteil: Mit Rußland müsse eine noch härtere Sprache gesprochen wer­den, sagt Maas. Doch Frohnmaier hat schon eine Idee, wie Schwesig ihre Glaubwürdigkeit unterstreichen könne. „Ich lade die Ministerpräsidentin ein, im nächsten Jahr mit zum Wirtschafts­forum nach Jalta zu kommen. Kein Ort in der Welt macht ihre Aussage, sie wolle die Sanktionen abbauen, glaub­würdiger.“

Markus Schwerdtfeger

Bild: Offizielle Eröffnung des Wirtschaftsforums: Dabei sind der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier (links), der Linzer FPÖ-Vizebürgermeister Detlef Wimmer (3. v. rechts), Andrei Nasarow (2. v. rechts) und Krim-Ministerpräsident Sergei Aksjonow (rechts). Bildquelle: TASS

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