Zukunftsträchtige Entscheidung: Vor 300 Jahren führte Preußen die Schulpflicht ein – Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen.
Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. (1701–1740) ist wegen seiner Vorliebe für alles Militärische als „Soldatenkönig“ in die Geschichtsbücher eingegangen. Dabei führte er niemals Krieg und zeichnete sich gegenüber seinen Amtsvorgängern, den Kurfürsten der Hohenzollern, vor allem durch eine rigide Sparsamkeit aus.
Die Nachwelt verdankt ihm aber etwas ganz anderes: Am 28. September 1717, vor nunmehr 300 Jahren, verordnete er in seinem Königreich die allgemeine Schulpflicht. In seinem hierzu erlassenen Dekret zeigt er sich durchaus als Aufklärer, dem die Volksbildung am Herzen liegt: „Wir vernehmen mißfällig und wird verschiedentlich von denen Inspectoren und Predigern bey Uns geklaget, daß die Eltern, absonderlich auf dem Lande, in Schickung ihrer Kinder zur Schule sich sehr säumig erzeigen, und dadurch die arme Jugend in grosse Unwissenheit, so wohl was das lesen, schreiben und rechnen betrifft, als auch in denen zu ihrem Heyl und Seeligkeit dienenden höchstnötigen Stücken auffwachsen laßen.“
Nun also soll auch in Preußen jedes Kind von fünf bis zwölf Jahren zur Schule gehen, und zwar „im Winter täglich und im Sommer wann die Eltern die Kinder bey ihrer Wirthschafft benötiget seyn, zum wenigsten ein oder zweymahl die Woche, damit Sie das jenige, was im Winter erlernet worden, nicht gänzlich vergessen mögen“. Kostenlos ist der Schulbesuch laut dem königlichen Dekret zwar nicht, doch: „Falß aber die Eltern das Vermögen nicht hätten; So wollen Wir daß solche Zwey Dreyer aus jeden Orts Allmosen bezahlet werden sollen.“
Der Widerstand gegen die Schulreform ist zunächst groß. Preußen ist mit der Schulpflicht zwar nicht das erste der deutschen Länder, aber doch eine große Ausnahme. Das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken hatte sie schon früh, 1592, eingeführt, Straßburg folgte 1598, Sachsen-Gotha 1642, Braunschweig-Wolfenbüttel führte sie 1647 und Württemberg 1649 ein. Für die betroffene Bevölkerung, die damals noch zu einem großen Teil auf dem Land lebt, bedeutet sie einen spürbaren Einschnitt in die Lebensgewohnheiten. In Preußen versucht Friedrich Wilhelm deshalb zuerst die Eltern zu überzeugen und wendet sich dann über die Gutsherren und die Kirche an sein Generaldirektorium, das gewaltige Kosten für die Errichtung der Schulen auf sich zukommen sieht. Doch zumindest diesen Einwand kann der Monarch abbiegen, denn das Baumaterial für die Schulhäuser stellt der König kostenlos zur Verfügung.
Auch beim Thema Schulreform zeigt sich der „Soldatenkönig“ hartnäckig. Er schickt Kommission auf Kommission ins Land und verfertigt immer neue Reskripte. Den Einwänden seiner Minister, daß eine solche Reform zu kostspielig sei, entgegnet er: „Dieses alles ist nichts! […] Denn wenn ich baue und verbessere das Land und mache keine Christen, so hilft mir alles nichts.“
Natürlich muß dem König daran gelegen sein, daß der Schulbetrieb möglichst nichts kostet, was seine Untertanen gegen ihn aufbringen könnte. Die Lehrer müssen deshalb ihren Unterhalt neben dem Unterricht selbst verdienen. Daher werden vorzugsweise Handwerker, Tagelöhner, ja selbst abgedankte Soldaten zum Schuldienst verpflichtet. Ihre Ausbildung ist recht und schlecht. Häufig ist der Schulmeister auch der Küster des Dorfes, zumal der Pfarrer die inhaltliche Aufsicht über den Schulbetrieb hat. Der Küster wiederum muß nicht nur die Gottesdienste betreuen und die Orgel schlagen, er ist auch der Haushandwerker für die Kirche und Laufbursche für den Pfarrer. Es bleibt nicht aus, daß der Schulmeister ewige Zielscheibe des Spottes ist.
Die Edikte gelten natürlich nur für die königlichen Domänen. Den adligen Gutsbesitzern, denen gegenüber der König keine Weisungsbefugnisse hat, kann er nur nahelegen, auch in ihren Herrschaftsgebieten ähnlich zu verfahren und ebenfalls die Schulpflicht einzuführen.
Unterrichtet werden von dem Lehrer- Küster-Schneider vor allem Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß viele Eltern aus Not oder Desinteresse ihre Kinder zunächst eher selten zur Schule schicken, daß der Unterricht aus Raumnot im Wohnzimmer oder in der Werkstatt des Schulmeisters stattfindet und daß es vielerorts weder Schulen noch Lehrer gibt, setzt die Schulreform des Königs zumindest einen Anfang. So gibt es 1740, am Ende der Regentschaft des Soldatenkönigs, statt der 320 Dorfschulen vom Jahre 1717 schon stattliche 1.480.
Bildung, das weiß man nicht erst heute, ist ein kostbares Gut, auch wenn ihre Früchte lange reifen müssen. Auch in Preußen legte das königliche Schul- Edikt von 1717 den Grundstein für den späteren Aufstieg. Hundert Jahre später war Preußen Vormacht in Deutschland. Seine Schulmeister hatten daran nicht den geringsten Anteil.
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Noch was, auf das wir stolz sein können – wenn wir diese problematische Floskel schon bemühen wollen. Danke für den informativen Artikel.
„Hundert Jahre später war Preußen Vormacht in Deutschland. Seine Schulmeister hatten daran nicht den geringsten Anteil.“
Müßte es nicht heißen: „Seine Schulmeister hatten daran einen nicht geringen Anteil.“?