ZUERST! sprach mit dem in dieser Woche zum neuen AfD-Fraktionsvorsitzenden im Sächsischen Landtag gewählten Jörg Urban über den „Fall Petry“. Warum hat sich Frauke Petry von der AfD losgesagt? Was bedeutet dies für die Zukunft?
Herr Urban, wie sehr hat der plötzliche Austritt der Parteivorsitzenden Frauke Petry unmittelbar nach dem Erfolg der Bundestagswahlen der AfD geschadet?
Urban: Der Schaden scheint bislang überschaubar. Unsere Umfragewerte haben sich dadurch jedenfalls nicht verändert. Innerparteilich könnten die Austritte von Frauke Petry und ihrem Ehemann Marcus Pretzell sogar zu mehr Ruhe und Geschlossenheit führen. Danach sieht es zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls aus.
Angeblich war der große Knall von langer Hand geplant…
Urban: Zumindest gab es schon lange Anzeichen für einen bevorstehenden Bruch mit der Partei. Vor allem die Wähler von Frau Petry dürften sich jetzt getäuscht von ihr fühlen. Denn sie wählten sie ja vor allem auch, weil sie AfD-Vorsitzende und -Mitglied war. Zudem hat sie selbst eingeräumt, sich schon lange überlegt zu haben, die Partei zu verlassen. Im Wahlkampf hat sie davon ihren Wählern nichts gesagt. Das ist unehrlich. Die Bürger fühlen sich von Frauke Petry ebenso vor den Kopf gestoßen wie viele Parteifreunde, die bis zum Schluß zu ihr gehalten haben.
Für wie glaubwürdig halten Sie Petrys Begründung, vor allem die Äußerungen von Alexander Gauland, Alice Weidel und Björn Höcke hätten sie in ihrer Entscheidung bestärkt, der Partei den Rücken zu kehren?
Urban: Was soll man dazu sagen? Natürlich polarisieren Wahlkämpfer im Wahlkampf, man möchte die Menschen ja „wachrütteln“. Und natürlich gibt es immer wieder Parteifreunde, denen bestimmte Formulierungen zu weit gehen. Ich glaube aber nicht, daß uns das in der Summe geschadet hat. Im Gegenteil: Wir haben ein gutes Ergebnis eingefahren, vor allem in den östlichen Bundesländern. Hier in Sachsen sind wir sogar die stärkste Partei geworden. Und das hat gewiß nicht nur mit der Tatsache zu tun, daß Frauke Petry sächsische Partei- und Fraktionschefin war. Die AfD macht in Sachsen im Landtag und in den Kommunen eine anspruchsvolle Sacharbeit, und wir hatten in Sachsen Mitglieder und Unterstützer, die Zehntausende Freizeitstunden für unseren Wahlkampf geopfert haben.
Frauke Petry behauptet, das Ergebnis wäre noch besser gewesen, wenn die AfD moderater, bürgerlicher aufgetreten wäre…
Urban: Dieses Argument ist völlig aus der Luft gegriffen und soll wohl nur die eigene Position bestätigen. Für eine solche Behauptung gibt es keinerlei sachliche Analyse oder gar Belege. Im übrigen: Es waren nicht Gauland oder Weidel, die beispielsweise den Begriff „völkisch“ verteidigten und „positiv besetzen“ wollten, das war Frauke Petry. Alexander Gauland hat sich damals für Petry stark gemacht und sie auch gegen innerparteiliche Kritik verteidigt. Sie scheint das vergessen zu haben. Sie springt zudem auf den „Abgrenzungs-Zug“ der etablierten Medien und Parteien auf, die ständig sagen, die AfD sei zu rechts. Als ob es den Journalisten des Establishments darum ginge, die AfD „wohlwollend“ zu beraten. Natürlich hat die politische Elite Angst vor dem Erfolg unserer Partei – nicht, weil wir etwa „zu rechts“ sind, sondern weil unsere politische Arbeit einen Störfaktor im bislang gemütlichen Politbetrieb bedeutet. Daher sollten wir uns auf keinen Fall die Argumente und die Abgrenzeritis der etablierten Medien zu Herzen nehmen oder zu eigen machen. Die lachen uns doch dafür aus.
Was hat denn Frauke Petry jetzt vor?
Urban: Das dürfen Sie mich nicht fragen. Aber das ist jetzt auch nicht mehr unser Problem in der AfD. Wahrscheinlich wird sie versuchen, noch einige AfD-Parlamentarier aus den Landtagen und dem Bundestag mitzunehmen. Vielleicht gelingt es ihr bei einigen wenigen. Aber wie ich bereits sagte: Selbst viele ihrer ehemaligen Anhänger und Unterstützer sind entsetzt und bestürzt über ihr Verhalten. Sie hat viele Freunde verloren. Frauke Petry und Marcus Pretzell vermitteln gerade den Eindruck, als ginge es ihnen ausschließlich um sich selbst und um ihre Gewinnmaximierung.
Frauke Petry will angeblich gemeinsam mit ihrem Ehemann Marcus Pretzell eine neue Partei oder „Bewegung“ nach Vorbild des französischen Präsidenten Emmanuel Macron oder des österreichischen ÖVP–Politikers Sebastian Kurz bilden, stand in den Medien.
Urban: Sollte sie das wirklich so angekündigt haben, zeugt das von großer Naivität und Selbstüberschätzung. Angeblich war ihr ja die AfD „zu rechts“ geworden, aber die Beispiele Macron und Kurz stehen ja geradezu sinnbildlich für autokratisch geführte Formationen. Vielleicht ist es ja ihr Wunschdenken, daß alle auf ihr Kommando hören. Aber schon allein das deutsche Parteiengesetz läßt solche „Bewegungen“ und Ein-Frau-Parteien, wie es ihr vielleicht vorschwebt, gar nicht zu. Zudem muß eine neue Partei 35.000 Unterstützungsunterschriften sammeln, um bei den Bundestagswahlen antreten zu können. Dazu braucht man eine Organisation mit vielen Helfern. Man kann sich nur darüber wundern, daß weder Petry noch Pretzell das zu wissen scheinen. Außerdem: Macron hat seine Bewegung kurz vor den Präsidentschaftswahlen ausgerufen mit massiver Unterstützung der gesamten etablierten Medien Frankreichs – Petry macht es wenige Tage nach der Bundestagswahl, sozusagen vier Jahre vor der nächsten Zielmarke. Das ist ziemlich kontraproduktiv. Und Sebastian Kurz hat mit der ÖVP eine voll durchorganisierte, etablierte Partei hinter sich. Schon vor diesem Hintergrund wirken solche Ideen haarsträubend.
Auch von einer „bundesweiten CSU“ wird in diesem Zusammenhang gesprochen…
Urban: Aber nicht von der CSU oder der CDU. Ich bin mir sicher, daß bei der bayerischen CSU niemand ernsthaft auf Frauke Petry wartet. Und auch nicht auf Marcus Pretzell. Das sind Luftschlösser, die hier gebaut werden, Phantasieprodukte. Eigentlich sollte man darüber nicht einmal ernsthaft reden. Es wirkt etwas peinlich. Von einer nicht mehr ganz unerfahrenen Politikerin erwartet man solche Schnapsideen eigentlich nicht.
Viele Journalisten verorten den eigentlichen Bruch zwischen Frauke Petry und der AfD beim Kölner Parteitag im April dieses Jahres. Dort scheiterte sie mit ihrem sogenannten „Zukunftsantrag“ und wurde auch nicht zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl gekürt.
Urban: Wir müssen hier bei den Tatsachen bleiben: Frauke Petry hat bereits Tage vor dem Parteitag angekündigt, gar nicht als Spitzenkandidatin kandidieren zu wollen, was sie dann auch nicht gemacht hat. Ihr „Zukunftsantrag“ war bereits im Ansatz falsch, das haben auch die meisten AfD-Delegierten so gesehen.
Warum falsch?
Urban: Frauke Petry hat in diesem Antrag einen Widerspruch von Realpolitik und Fundamentalopposition konstruiert. Sie wollte damit die AfD auf einen angeblich realpolitischen Kurs trimmen.
Ist das so schlecht?
Urban: Nein, aber sie versteht offensichtlich darunter, so schnell wie möglich als Koalitionspartner in eine Regierung einzutreten. Die AfD will aber die Politik in Deutschland grundlegend verändern und sich eben nicht daran beteiligen. Oder in anderen Worten: So scharf auf Minister-und Staatssekretärsposten, daß wir die Kröten der CDU/CSU schlucken würden, sind wir nicht. Es gibt einen Konsens bei uns, daß die AfD nur dann in eine Regierung gehen sollte, wenn sie ganz entscheidende Ziele ihres Programms umsetzen kann – und nicht etwa als „bürgerliche Mehrheitsbeschafferin“ für wen auch immer. Das würde uns politisch vernichten, weil wir damit unsere Wähler enttäuschen würden. Und noch etwas: Wenn wir mit unserer stramm oppositionellen Politik, auch auf der Straße, eine wachsende Wählerschaft an uns binden können, dann ist das eben effektive Realpolitik. Frauke Petry scheint das nie verstanden zu haben.
Wurde sie schlecht beraten?
Urban: Vielleicht. Marcus Pretzell scheint jedenfalls kein guter Berater zu sein, das können wir heute sagen. Das größte Defizit Frauke Petrys ist aber ihre mangelnde Teamfähigkeit und Einsicht in eigene Fehler. Niemand ist ohne Fehler, und wer viel macht, der macht auch mal etwas falsch. Dieses Prinzip scheint aber für Frauke Petry nicht zu gelten. Sie war am Ende nicht einmal bereit, Parteitagsbeschlüsse umzusetzen, die nicht ihrer Meinung entsprachen. In einer demokratischen Partei wird aber auch Demokratie erwartet. Eine „Führerinnenpartei“ gibt es in Deutschland schon, mit der CDU und Angela Merkel. Die AfD-Mitglieder wollen genau das nicht.
Wie äußerte sich die mangelnde Teamfähigkeit?
Urban: Die politische Laufbahn Frauke Petrys in der AfD ist geprägt von harten Konflikten mit früheren Weggefährten. Viele ihrer heutigen Gegner waren einmal Unterstützer, Förderer und sogar Freunde von ihr. Doch beim kleinsten Dissens setzte Petry diese vor die Tür und erklärte sie zu Feinden. Das kann eine Weile lang gutgehen, aber irgendwann ist niemand mehr da. Am Ende eigentlich nur noch Marcus Pretzell. Das ist eine tragische Geschichte, unter der unsere Partei gelitten hat. Und man muß fast sagen: Gott sei Dank kam das Ende mit Schrecken – und nicht der Schrecken ohne Ende.
Herr Urban, vielen Dank für das Gespräch.
Jörg Urban, geboren 1964 in Meißen (Sachsen), ist Dresdner Stadtrat und sächsischer Landtagsabgeordneter der AfD, seit dieser Woche steht er der Fraktion als Vorsitzender vor. Urban studierte von 1986 bis 1991 Wasserbau an der TU Dresden und war danach unter anderem als Baugutachter und freiberuflicher Bauingenieur tätig. Urban ist Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Dresden und gehört dem Landesvorstand der AfD Sachsen an. Er zog 2014 über die Landesliste der AfD in den Sächsischen Landtag ein. Urban gehört zu den bekanntesten Kritikern der Rußland-Sanktionen in Sachsen. Jörg Urban ist verheiratet und hat drei Kinder.
Dieses exklusive Interview ist in der heute druckfrisch erschienenen November-Ausgabe des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST! enthalten. Werden Sie jetzt Leser der Druckausgabe von ZUERST!
Gutes Inteview. Wenn es Streit in der AfD gab, dann war in vielen Fällen Frau Petry in irgendeiner Form involviert. Die Partei wird wohl nun sich von einigen Personen trennen, die vor allem ihre Karriere im Blick hatten und das ist gut so.