„Westliche Dämmerung“: Der russische Spitzenpolitiker Pjotr Tolstoi im ZUERST!-Gespräch

29. September 2017
„Westliche Dämmerung“: Der russische Spitzenpolitiker Pjotr Tolstoi im ZUERST!-Gespräch
International
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Foto: Symbolbild

Macron, Trump, Montenegro, Syrien, Donbass: Der russische Politiker und Medien-Produzent Pjotr Tolstoi erklärt im ZUERST!-Gespräch die Haltung Rußlands in einer sich wandelnden Welt.

Herr Tolstoi, was waren die tatsächlichen Konsequenzen der Sanktionen der EU und der USA gegen Rußland? Wie schätzen Sie die Chancen ein, daß die Maßnahmen aufgehoben werden?

Tolstoi: Es wäre naiv zu glauben, daß die Sanktionen bald schon der Vergan­genheit angehören könnten, vor allem da der Konflikt zwischen Rußland und dem Westen von fundamentaler Natur ist. Das ist kein Gezanke über eine Be­langlosigkeit. Vielmehr geht es für Ruß­land hier um die Möglichkeit, auf der internationalen Bühne seine eigene Po­litik zu vertreten. Diese Freiheit, die viele Generationen unserer Väter und Urgroßväter erkämpft haben, werden wir nicht zum Nulltarif herausgeben. So haben wir uns an den Sanktionsdruck gewöhnt, und er ist Teil unseres Lebens geworden. Ich denke, daß die Sanktionen von Leuten angeordnet wurden, die keinerlei Ahnung von der Mentalität des russischen Volkes haben: Entgegen ihren Erwartungen sind unsere Bürger im Angesicht des Sanktionsdrucks enger zusammengerückt. Ich bin gespannt, ob der Westen ähnlich geduldig sein kann.

Wie schätzt Moskau die Lage in Syrien nach Trumps Raketenangriff auf eine Luftwaffenbasis der Assad-Regierung ein?

Tolstoi: Wir waren immer gegen solche eigenmächtigen Angriffe des Westens. Wir lehnen jegliches Vorgehen gegen ei­nen souveränen Staat, ohne daß eine UN-Resolution vorliegt, entschieden ab. Wir beobachten ein ähnliches Vor­gehen, wie wir es schon vor 18 Jahren in Jugoslawien gesehen haben. Ich hoffe, daß sich solche Raketenschläge nicht wiederholen werden.

Wie wird die russische Regierung weiter vorgehen?

Tolstoi: Wir werden die Regierungs-Armee mit den neuesten Luftabwehrsystemen ausrüsten. Außerdem schlagen wir vor, daß der Westen und vor allem die USA sich wieder angewöhnen, dem Völkerrecht Beachtung zu schenken. Denn die internationalen Gesetze wer­den beim westlichen Vorgehen in Syrien komplett mißachtet, genauso wie in der Ukraine und genau wie früher in Jugo­slawien. Es ist mit dem Völkerrecht un­vereinbar, daß ein Präsident einfach ei­nen Luftschlag auf ein anderes souverä­nes Land durchführen läßt.

Konkret?

Tolstoi: Wenn es um eine mögliche Sta­bilisierung der Lage in Syrien geht, so denke ich, daß der Schlüssel dazu die Aufrechterhaltung des syrischen Staates ist. Dadurch könnte ein vollständiger Zusammenbruch wie in Libyen, Afgha­nistan oder im Irak nach den jeweiligen Interventionen in diesen Ländern ver­hindert werden. Das muß oberste Prio­rität haben. Die „westliche Demokra­tie“, die unsere Kollegen aus Europa und den USA den genannten Ländern gebracht haben, sieht man ja. Der Staat ist dort praktisch nicht mehr vorhan­den: Verschiedene Parteien bekämpfen sich weiterhin untereinander, statt ge­meinsam gegen den Feind von außen vorzugehen. Das ist das Ergebnis westlicher Einmischungspolitik in die Angelegenheiten anderer Länder. Und wir werden weiterhin darauf beharren, daß internationales Recht eingehalten wird.

Angenommen, ein US-Kampfjet wird von einem russischen Flugabwehrsystem abgeschossen. Bedeutet so ein – durchaus realistisches – Szenario nicht das Ende des Dialogs zwischen dem We­sten und Moskau in Syrien?

Tolstoi: Das ist durchaus möglich. Be­reits jetzt sehen wir ein fundamentales Zerwürfnis, und das gegenseitige Miß­trauen ist bei der Überwindung dieser Gegensätze nicht gerade förderlich. Wir sind für einen Dialog offen, aber derzeit liegt es nicht an uns, einen Schritt nach vorne zu tun. Noch gehen die Sanktio­nen und Aggressionen vom Westen aus, nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine. Wir warten darauf, daß es un­seren westlichen Kollegen dämmert.

Der neue französische Präsident Emmanuel Macron wird bereits jetzt vom westlichen Establishment umworben. Wie werden sich auf der anderen Seite die russisch-französischen Beziehungen in Zukunft gestalten?

Tolstoi: Die Franzosen haben ihre Wahl getroffen. Vielleicht keine freie Wahl, weil die Medienhetze gegen Marine Le Pen das zweifelhaft erscheinen läßt. Wenn die gesamte Medienmaschinerie eines Landes gegen einen einzigen Kan­didaten anläuft, ist das schon sehr of­fenbarend. Ob Macron als Marionette des Establishments in der Lage sein wird, Frankreich zu einem unabhängigen Akteur auf der internationalen Bühne zu machen? Nun, wir werden se­hen. Aber seine zwei Vorgänger haben es nicht geschafft.

Die Medienkampagnen, die Sie anspre­chen, sehen wir auch andernorts: gegen Trump, gegen die AfD oder den Front National – ist das das Ende der hohen Standards des klassischen Journalismus im Westen, zu dem man sogar in Ruß­land aufschaut?

Tolstoi: Das ist eine schwierige Frage. Mir scheint es so, als wenn der Glaube an die universellen westlichen Werte ei­nem Teil der Journalisten die Objektivi­tät raubt. Dann werden Informationen so bearbeitet, daß sie diesen Werten entsprechen. Aber wir leben in einer Zeit, in der der Zugang zu Medien so frei ist wie selten zuvor, und so kann die Vorherrschaft der Mainstream-Medien gebrochen werden. Ich weiß nicht, ob wir hier Zeuge vom Ende des alten Journalismus werden oder vom Beginn von etwas Neuem. Aber ich weiß, daß – historisch gesehen – die Wahrheit am Ende immer siegt.

Sprechen wir über ein aktuelles Ereig­nis: den NATO-Beitritt Montenegros…

Tolstoi: Wir sehen den Entschluß Mon­tenegros als einen gegen Rußland ge­richteten Schritt. Zuerst wird der Tou­rismus einbrechen, anschließend wird der Handel zwischen den beiden Län­dern abnehmen. Und wie nicht anders zu erwarten, wird sich der gegenseitige Umgangston deutlich ändern, wozu jetzt schon haltlose Vorwürfe einer an­geblichen russischen Einmischung in die Wahlen des letzten Jahres ihren Bei­trag leisten. Ich denke, die Regierung hat mit ihrer Entscheidung dem Land einen Bärendienst erwiesen. Was die NATO-Mitgliedschaft selbst betrifft, so werden wir alle nötigen Schritte in die Wege lei­ten, um die Sicherheit des Nachbarlan­des Serbien zu gewährleisten.

Westliche Medien haben inzwischen schon wieder ein neues Thema gefun­den: die russische Gesetzgebung rund um das sogenannte „Jarowaja-Gesetz“. Es geht um Terrorismusbekämpfung im Netz. Westliche Medien und Menschen­rechtsorganisationen bezeichnen die Gesetze als Beschneidung der Mei­nungsfreiheit und Verletzung der Men­schenrechte. Was ist davon zu halten?

Tolstoi: Mir gefällt die Idee, die hinter den Gesetzen steckt. Im Prinzip geht es darum, bestimmte Daten längerfristig zu speichern, um sie im Falle von Anti-Terror-Ermittlungen schnell zur Verfügung zu haben. Menschenleben sind uns wichtiger als uneingeschränkte Freiheiten im Netz.

Im Westen existieren zudem ähnliche Gesetze…

Tolstoi: Daran erkennt man, daß es sich um eine weitere typische Anschuldi­gung des Westens handelt – ähnlich wie beim US-Wahlkampf, als „russische Hacker“ angeblich die Wahlkampfzen­trale Hillary Clintons angegriffen ha­ben. Wenn man manche westlichen Po­litiker reden hört, könnte man meinen, russische Hacker seien zu allem in der Lage. Aber es werden einfach keine Be­weise präsentiert, die solchen Anschul­digungen Substanz verleihen würden, und solange das der Fall ist, braucht sich niemand zu wundern, wenn wir der Debatte überdrüssig sind.

Wie sieht eine vernünftige Lösung im Ukraine-Konflikt aus?

Tolstoi: Für mich wirkt es so, als wenn die wesentliche Leistung des Minsker Abkommens im Rückgang der aktiven Kampfhandlungen liegt. Und das ist wichtig. Es ist gut, daß weniger Men­schen als zuvor sterben, weil großflächige Luftangriffe und Artilleriebeschuß der Vergangenheit angehören. Eine weitere Normalisierung der Lage hängt aber ganz von Kiew ab. Meiner Meinung nach muß die Ukraine den beiden Republiken im Osten weitere Autonomierechte zugestehen und ei­nen Föderalisierungsprozeß in die Wege leiten. Solange Kiew das nicht erkennt und solange die ukrainische Regierung weiterhin keinen direkten Dialog mit den unabhängigen Republiken im Donbass eingeht, so lange wird es zu keinem Ausgleich kommen. Ich kann mit absoluter Sicherheit sa­gen, daß Rußland die Menschen dort nicht im Stich lassen wird. Sowohl die Menschen in Donezk als auch in Lugansk haben sich für die Unabhän­gigkeit und die russische Sprache ent­schieden. Wir werden ihnen helfen, solange wir dazu in der Lage sind.

Herr Tolstoi, vielen Dank für das Ge­spräch!

Pjotr Olegowitsch Tolstoi, geboren 1969 in Moskau, ist ein russischer Politiker, Journalist, Medien-Produzent und TV-Moderator. Derzeit ist er seit dem 5. Oktober 2016 Stellvertretender Vorsitzender der russischen Staatsduma und seit 2017 Vorsitzender der russischen Abordnung in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Zuvor war er von 2012 bis 2014 Mitglied in der Gesellschaftlichen Kammer der Russischen Föderation. Bekannt wurde er als Moderator verschiedener Nachrichtenformate und politischer Gesprächsrunden im Fernsehen: Sunday Vremya Show (2005–2012), Politik (2013–2016) und The time will show (2014–2016). Beim Sender Pervy Kanal war er von 2009 bis 2016 Stellvertretender Vorsitzender des Ressorts für soziale und politische Formate.

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2 Kommentare

  1. Daniel Deutscherpatriot sagt:

    Liebe Russen, ich liebe Euch. Und Herrn Präsident Putin auch.
    Bloß sein neues Ringelpitz mit Anfassen mit Erdogan mag ich so gar nicht.

    Eher Ihr Euch umdreht, seid Ihr auch türkisch dominiert. Wollt Ihr das?

  2. William McLean sagt:

    Herr. Tolstoi ist ganz vernünftig und er ist recht. Gut es in Zuerst zu lesen!

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