„Grenzen des Sagbaren“: Kleiderwechsel im Denunziantenstadl – Was aus „Netz gegen Nazis“ wurde

26. Juli 2017
„Grenzen des Sagbaren“: Kleiderwechsel im Denunziantenstadl – Was aus „Netz gegen Nazis“ wurde
Kultur & Gesellschaft
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Foto: Symbolbild

Eines der bekanntesten digitalen An­gebote im „Kampf gegen rechts“ hat sich einen neuen Anstrich verpaßt. Seit April firmiert das Portal NetzgegenNazis.de nun als Belltower.news. Künftig ertönt also aus dem „Bell tower“ (= Glockenturm) der Weckruf gegen al­lerlei rechte Umtriebe, zugleich verortet man sich als „Netz für digitale Zivilgesellschaft“, wie der Untertitel verrät. Der Vorgänger war schon 2008 von der Wochenzeitung Die Zeit ins Leben gerufen worden und ein Jahr später in die Hände der ebenso umtriebigen wie umstrittenen Amadeu-Antonio-Stiftung übergeben worden. Die Verbindung zwischen der Zeit und der Stiftung sei bei dem Projekt seither „nur noch tech­nischer Natur“ gewesen, behauptet die Stiftung in einer Pressemitteilung. Mit der Neukonzeption endet sie komplett.

Neu ist an der Plattform vor allem eine Ausweitung der Feindbestimmung. „Rechtsextremismus“ sei zwar immer noch ein Thema, doch die Seite werde „inhaltlich breiter aufgestellt“. Neben „Facetten gruppenbezogener Menschen­feindlichkeit“ möchte man sich „intensiver mit digitaler Gewalt und Kommu­nikationskultur“ befassen. Der pseudowissenschaftliche Begriff der „gruppen­bezogenen Menschenfeindlichkeit“ wur­de an der Universität Bielefeld entwickelt und umfaßt allerlei bösartige Vorurteile und Abwertungen in Form von Rassismus, Homophobie, Antiziganismus, Vorbehalten gegen Obdachlose und so weiter. Letztlich dient er dazu, das Spek­trum zu bekämpfender Haltungen von den Rändern bis weit in die Mitte der Gesellschaft auszudehnen.

Zufälligerweise ist Prof. Andreas Zick, der mittlerweile diese „Forschun­gen“ in Bielefeld verantwortet, zugleich auch Vorsitzender des Stiftungsrats der Amadeu-Antonio-Stiftung. Somit liegt nahe, daß die Seite Belltower.news auch der weiteren Popularisierung dieses Konzepts dienen soll und damit eben der Verdächtigung und Stigmatisierung der bürgerlichen, konservativen Mitte. Verräterisch ist in diesem Zusammen­hang eine Aussage der Chefredakteurin Simone Rafael, die in der Mitteilung der Stiftung zitiert wird. Man wolle berich­ten, so Rafael, „wie versucht wird, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben“. Die Macher der Seite begreifen sich au­genscheinlich als eine Instanz, die dar­über zu befinden hat, was gesagt werden darf und was nicht.

Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, wurde eigens eine neue Ru­brik „Debatte“ installiert. Dort geht es um Debattenkultur, Argumente, Me­dienkompetenz und Fake-News, erfährt man einleitend. Was sich in Wahrheit dahinter verbirgt, zeigt ein Beitrag, der sich mit einem Projekt der Tagesschau befaßt. Unter dem Motto „#Sagsmirins­Gesicht“ diskutierten an drei Tagen in jeweils einstündigen Videokonferenzen prominente ARD-Journalisten wie Anja Reschke live mit Kritikern. Aus Sicht des Debattenbeitrags ein sinnloses Unter­fangen, „weil die Haß-Gemeinde nicht dialogbereit ist, gegen alle Regeln ver­stößt, nur von Niedertracht und Ab­wertung gelenkt wird“. Andersdenken­de sind von Haß geleitet, damit ist die Diskussion überflüssig: So einfach ist das. Damit ist auch klar, daß die Debat­te lediglich intern stattfindet, innerhalb der streng bewachten „Grenzen des Sag­baren“.

Ausgrenzung und Denunziation ge­hen bei der Amadeu-Antonio-Stiftung Hand in Hand, und vielleicht mußte das „Netz gegen Nazis“ ja auch ver­schwinden, weil es sich den einen oder anderen Fehltritt zuviel geleistet hatte. Erst im vergangenen Dezember hatte man auf der Seite sang- und klanglos die Zusammenstellung „digitaler Haß- Quellen“ abgeschaltet. Dort waren zahlreiche Personen, Blogs und Medien aufgeführt, die den Nazijägern nicht in den Kram paßten – von Vera Lengsfeld und Akif Pirinçci über die Blaue Narzisse, Tichys Einblick, die KoppNachrich­ten bis hin zu Eigentümlich frei und vie­len anderen. Weshalb dieser Internet- Pranger entfernt worden war, wollte die Stiftung weder Cicero Online noch dem Tagesspiegel verraten, das sei „redaktionsintern“ entschieden worden.

Bereits im Sommer 2016 war ein Netzprojekt ins Gerede geraten, das sich mit der „Neuen Rechten“ beschäftigte. Es wurde eigenen Angaben zufolge von einer „Gruppe junger Menschen zwi­schen 16 und 25 erarbeitet, die sich im Rahmen der Amadeu-Antonio-Stiftung zivilgesellschaftlich gegen Rechtsextre­mismus Rassismus und Antisemitis­mus in den Sozialen Medien engagie­ren“. Ein weiterer digitaler Schandpfahl von anonymen Nachwuchs-Nazijägern, und die scheuten sich nicht, sogar drei ehemalige und ein aktuelles Mitglied der CDU in den Kontext der „Neuen Rechten“ zu rücken. Das kam nicht sonderlich gut an, auch diese Seite ver­schwand wieder. Nach solchen Erfah­rungen wird man bei Belltower.news die alte Agenda voraussichtlich etwas subtiler verfolgen.

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3 Kommentare

  1. jack sagt:

    „Belltower“

    Allein die Benutzung des Wortes muss denen verboten werden.
    „muezzin call“ wäre zutreffender.

  2. Realist sagt:

    Mut zu Wahrheit und Klarheit darf nicht an der Angst vor Stigmatisierung und Denunziation scheitern. Nur wer wagt sich heraus mit der eigenen Meinung, wenn ein Arsenal an Denk- und Formulierverboten die unbequemen Äußerungen gleich zu Hetze oder Fake/Trolle erkärt. Das zerstört die freie Meinung die zunächst einmal den anderen akzeptiert. ARD/ZDF-Redakteurinnen und Journalistinnen reagieren ziemlich empört, wenn sich Menschen mit den derzeitigen ARD/ZDF-Kindergarten-Sendungen nicht zufrieden geben und eben – oh Schreck – selbständig denken und sich anderweitig informieren.

  3. Fritze sagt:

    Man/frau muß die jungen Menschen dort abholen, wo sie stehen. Ein Stück weit traurig macht es mich, daß all die schönen Artikel und Bemühungen der jungen Menschen von Netz-gegen-Nahtzies nun verschwunden sind. So etwas schafft Frustration und ist die eigentliche, von der faschistoiden Gesellschaft verdrängte Ursache für Gewaltausbrüche wie beim G-20-Gipfel.

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