Seit Freitag können Sie die Juni-Ausgabe des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST! im Zeitschriftenhandel erwerben. Der Kommentar unseres Kolumnisten Manfred Kleine-Hartlage beschäftigt sich diesmal mit den von CDU-Granden aus der Zauberkiste geholten Wahlkampf-Manövern rund um Scheindebatten wie ein Burka-Verbot.
Lesen Sie nun exklusiv den Kommentar aus der aktuellen Ausgabe von ZUERST!
Bild am Sonntag meinte es wieder einmal gut mit dem Innenminister: „Wir sind nicht Burka!“ dröhnte es von Seite 1 mit Bezug auf einen Gastbeitrag von Thomas de Maizière – einen Gastbeitrag, der so dröge und einschläfernd war, daß neunundneunzig von hundert Lesern ihn mit Sicherheit nicht lesen würden. Wozu auch? „Wir sind nicht Burka“ sagt doch alles, oder?
Nein, sagt es nicht. Genaugenommen sagt es überhaupt nichts, wie spätestens der Blick auf das Kleingedruckte offenbart. Der Minister schreibt: „Im Alltag ist es für uns von Bedeutung, ob wir bei unseren Gesprächspartnern in ein freundliches oder ein trauriges Gesicht blicken. Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“
Erfreulicherweise könnten auch so gut wie alle Türken bis hin zu Präsident Erdogan dieses Statement unterschreiben. In der Türkei nämlich würde eine Burka fast ebenso exotisch wirken wie bei uns. „Wir sind nicht Burka“ kann durchaus heißen: „Wir sind Kopftuch.“
Es handelt sich um ein typisches CDU-Manöver. Der Wähler, dem Multikulti nicht geheuer ist, wird mit scheinbar markigen Parolen umschmeichelt, denen in Wahrheit jedes Mark fehlt und die auch als Parolen etwas völlig anderes aussagen, als sie auszusagen scheinen.
Vierzehnmal fällt in de Maizières Ausführungen (beziehungsweise denen seines beamteten Ghostwriters) das Wort „Leitkultur“, und der Autor, wer immer es auch sein mag, tut sein Bestes, diesen Begriff, wenn schon nicht mit Substanz, so doch wenigstens mit heißer Luft zu füllen.
Selbst wenn der Versuch als solcher gut und ernst gemeint wäre: Derartige Besinnungsaufsätze von Politikern kranken regelmäßig an dem technokratischen Größenwahn ihrer Verfasser. Kultur wächst nämlich naturgemäß von unten, sie kann schon den Einheimischen nicht von oben aufgezwungen werden, erst recht nicht Fremden. Die Vorstellung, eine bestimmte Kultur von Staats wegen installieren, manipulieren oder oktroyieren zu können, ist, deutlich gesagt, totalitärer Wahnsinn.
Zum Gedeihen einer Kultur kann die Politik also wenig beitragen, ihre Zerstörungsmacht aber, wir erleben es gerade, ist immens. Die Tatsache, daß der Innenminister es für nötig hält, über eine Leitkultur überhaupt nachzudenken, zeigt an, daß die von ihm und seinen Vorgängern zu verantwortende Politik zu einem Desaster geführt hat.
Eine Kultur existiert, solange das Volk fortbesteht, das sie hervorgebracht hat. Eine Leitkultur bleibt sie dabei genau so lange, wie dieses Volk im eigenen Land die überwältigende Bevölkerungsmehrheit stellt, und sie, die Leitkultur, existiert entweder als Selbstverständlichkeit – oder überhaupt nicht. Wer öffentlich eine „Leitkultur“ postuliert, ohne darauf zu bestehen, daß das demographische Kräfteverhältnis nicht weiter zu Lasten der Einheimischen verschoben werden darf, heuchelt.
Die „Leitkulturdebatte“ ist ein Evergreen der bundesdeutschen Scheindebatten- Unkultur, der alle paar Jahre gecovert wird, und zwar typischerweise von Politikern, die bereits aus ideologischen Gründen eine Nation, und vor allem die eigene, für etwas Peinliches und Zweitrangiges halten. Es hat seinen Grund, daß diese Leute zum Thema „Nation“ nur Gequältes und Doppelbödiges beizutragen wissen (etwa wenn de Maizière das Unwort „Verfassungspatriotismus“ gebraucht): Sie haben schlicht kein Verhältnis dazu.
Man kann auch keines haben, wenn man, wie der Innenminister, allen Ernstes einen wesentlichen Teil der deutschen Identität so definiert: „Wir sind Teil des Westens. […] Die NATO schützt unsere Freiheit. Sie verbindet uns mit den USA […]. Als Deutsche sind wir immer auch Europäer. Deutsche Interessen sind oft am besten durch Europa zu vertreten und zu verwirklichen.“ Bereits an dieser ihrer Sprache sind die Politiker des Establishments als ideologisch geschulte Statthalter fremder Mächte und Interessen erkennbar, die die Interessen des eigenen Volkes, wenn überhaupt jemals, dann nur ausnahmsweise und nur dann vertreten, wenn keiner jener tausend anzubetenden Götzen dagegen spricht, die prinzipiellen Vorrang genießen: von den westlichen Werten über die europäische Integration bis hin zur Globalisierung, ganz zu schweigen von den Hauptfetischen Vielfalt, Offenheit und Toleranz.
Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Chuzpe Politiker der Unionsparteien stets aufs neue die alten Bauernfängertricks in Gestalt phraseologischer Scheinzugeständnisse an ihre Wählerbasis aus der Kiste holen. Dabei sollten sie spätestens seit dem Aufkommen der AfD wissen, daß die Zahl der Dummen, die sich von derlei Sirenenklängen noch betören lassen, rapide im Schwinden begriffen ist. Am Wahlabend werden sie es amtlich haben. Lernen werden sie daraus nichts.
Manfred Kleine-Hartlage ist freier Publizist.