ZUERST!-Reportage: Erdogans fünfte Kolonne – Die türkische Lobby in Deutschland

14. März 2017
ZUERST!-Reportage: Erdogans fünfte Kolonne – Die türkische Lobby in Deutschland
National
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Foto: Symbolbild

Mit welchen Methoden Ankara versucht, die deutsche Politik zu beeinflussen. Das Beispiel der türkischen Kampagne gegen die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages zeigt die Macht der türkischen Lobby in Deutschland auf.

Am Sonntag, den 26. Juni war es soweit. IT-Unternehmer Remzi Aru und Rechtsanwalt Ramazan Akbas hatten zur Pressekonferenz ins Titanic Chaussee Hotel in Berlin-Mitte geladen. Kein zufällig gewählter Ort, denn das Vier-Sterne-Haus gehört zu einer Kette, die sich fest in den türkischen Händen der Gebrüder Aygün befindet. Von den Inhabern eines Döner-Imbisses in Kreuzberg zu Hotel-Millionären: Auch so kann sich eine „Gastarbeiter“-Karriere entwickeln. Vielleicht haben Aru und Akbas ja einen Sinn für Symbolik und wollen in der Politik das schaffen, was den Aygüns als Unternehmer gelungen ist. Den geladenen Medienvertretern stellten sie abwechselnd moderierend ihr Projekt vor: die „Allianz Deutscher Demokraten“ (ADD), eine „deutsche Partei, die für alle da ist“, wie Initiator Remzi Aru betonte.

Daß er die „deutsche Partei“ so hervorhob, kam nicht von ungefähr, denn mittels Vorab-Berichten durch Bild, Focus Online und andere hatte die neue Kraft ihren Stempel als „Türkenpartei“ oder „Migrantenpartei“ schon weg. Doch auch wenn die ADD so heißt, wie sie heißt, und auch wenn „Bio-Deutsche“ oder Angehörige anderer Nationalitäten ihr beitreten, handelt es sich letztlich nur um Feigenblätter. Es dominiert die türkische Perspektive, mehr noch: die Perspektive der türkischen Regierung und des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Insofern hat News.de den Nagel auf den Kopf getroffen, als es die Neugründung „Erdogan-Partei“ nannte. Das mag Remzi Aru nicht gefallen, doch letztlich hat er sich die Außenwahrnehmung selbst zuzuschreiben, als Konsequenz zahlreicher eigener Auftritte und Äußerungen.

Tatsache ist nämlich: Hinter der freundlichen, glattrasierten Fassade des 49jährigen Geschäftsmanns verbirgt sich ein knallharter Vertreter des türkischen Staatsoberhaupts Erdogan und seiner „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung [bzw. Innovation]“ (AKP). In verschiedenen Fernseh-Plauderrunden „brach er eine Lanze für Erdogan, rühmte die türkische Presse als viel freier als die in Deutschland und erklärte die Türkei zum Vorbild für die arabische Welt“, porträtiert ihn die linke taz. Beruflich leitete er die GIATA GmbH, den Marktführer bei Informationstechnologien für die Tourismus-Branche, heute bezeichnet er sich auf dem beruflichen Netzwerk LinkedIn als „Privatier“. Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß sein politisches Projekt einen Großteil seiner Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen wird, für das Finanzielle wird dann wohl gesorgt sein.

Die Nähe der ADD zur Regierungspolitik Ankaras geht noch aus einer Vielzahl anderer Indizien hervor. Remzi Aru hat im Februar dieses Jahres das Buch Türkei – Feindbild Europas veröffentlicht, das schon im Titel die typische offiziell-türkische dauerbeleidigt-gekränkte Grundhaltung widerspiegelt. Auch was der Initiator zum unmittelbaren Anlaß der Gründung verriet, paßt ins Bild. Den letzten Anstoß gab nämlich die von Ankara massiv kritisierte Armenien-Resolution, die der Deutsche Bundestag Anfang Juni mit nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung beschlossen hatte. In dem Entwurf wird die Vertreibung und Vernichtung der Armenier und anderer christlicher Minderheiten durch die Türkei im Jahr 1915 als „Völkermord“ eingestuft, was von Ankara nachdrücklich zurückgewiesen wird. Schon im Vorfeld gab es mehrere Versuche der Einflußnahme von türkischer Seite.

Remzi Aru hyperventilierte ein paar Tage darauf via Facebook über die „unnötige, einseitige, völlige Ahnungslosigkeit offenbarende“ Resolution, die natürlich „einzig aus provokatorischen Gründen“ durchgedrückt worden sei. Dieser Schritt sei „die Spitze des Eisberges an Herabsetzungen, denen vor allem Türken und türkische Einwanderer in Deutschland seit Jahr und Tag ausgesetzt sind“. Ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, daß es in der Resolution auch um die Mitverantwortung des deutschen Kaiserreichs als Bündnispartner der Osmanen ging, behauptet Erdogan-Anhänger Remzi Aru: „Türken werden systematisch als Sündenböcke aufgebaut – einhergehend mit einer perfiden Entmenschlichung.“ Die Litanei gipfelt in dem Aufruf zur Gründung einer neuen Partei, denn „für einen Menschen mit türkischen Wurzeln“ sei keine deutsche Partei mehr wählbar.

Noch deutlicher wurde Aru auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Dort heißt es schon mal ganz unverblümt: „Von der #AKP lernen heißt siegen lernen.“ Und seine Behauptung, in der EU könnten „serbische Völkermörder“ visafrei umherreisen, quittiert der Parteigründer mit „Deutschland, du bist ein dreckiger #Heuchler.“ Dieses heuchlerische Deutschland wollen Aru und seine Mitstreiter nun mit der ADD aufmischen, mit einer Partei, die seinen Angaben zufolge nicht nur frischen Wind in die politische Landschaft bringen soll, sondern „Gegenwind“. Aus welcher Richtung der Wind weht, macht wiederum eine symbolische Handlung klar. Wie die taz schreibt, hatte Aru angekündigt, das Programm und Logo der neuen Partei am 26. Juni um exakt 14.53 Uhr auf seiner privaten Netzseite einzustellen. 1453 wurde Konstantinopel, das heutige Istanbul, von den Osmanen erobert.

In dem 13-Punkte-Programmentwurf fällt auf, daß mit „Gerechtigkeit“ und „Innovation“ unter den zentralen Grundsätzen die beiden Begriffe aus dem Parteinamen der türkischen Regierungspartei AKP gleich an erster Stelle stehen. Einzelne Punkte erscheinen wie zugeschnitten auf die Klientel der Einwanderer
in Deutschland, etwa die besondere Förderung von Familien mit vielen Kindern und von Kleinhändlern und kleinen Handwerksbetrieben. Bei der Kulturförderung soll „die Heimat-Kultur der Migranten in Deutschland als fester Bestandteil anerkannt“ werden. Wenig überraschend: „Der Islam gehört zu Deutschland“, und natürlich ist Deutschland ein „Migrationsland“. Die ADD stellt sich ein Deutschland vor, das selbst- und traditionsbewußt ist, zugleich aber auch weltoffen, multireligiös und multinational.

Einen großen Stellenwert nimmt der Türkei- und Türken-Lobbyismus ein. Die Erdogan-Partei plädiert für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU und die sofortige Aufhebung der Visapflicht für Türken. Innenpolitisch geht es um mehr Mitbestimmungsrechte, etwa das Kommunalwahlrecht für Ausländer ab drei Monaten Aufenthalt. Die Forderung nach einer Art „Familienwahlrecht“, bei dem Eltern für ihre nicht volljährigen Kinder zusätzliche Stimmen erhalten, wendet sich ebenfalls besonders an die in Deutschland lebenden Türken. Einen besonders originellen Vorschlag hat die ADD für die Lösung der „Flüchtlings“-Problematik. Jedes Land soll „Flüchtlinge“ gemäß seinem Anteil an den Waffenexporten eines Jahres aufnehmen. Wie eine Verteilung der Massen illegaler Einwanderer, die ja nicht einmal in der EU funktioniert, nun gleich im Weltmaßstab organisiert werden soll, verrät der Entwurf nicht.

Die neue Partei ist jedoch nur eine Erscheinungsform einer regelrechten Großoffensive, die Erdogans fünfte Kolonne in Deutschland im Umfeld der Armenien-Resolution gestartet hat – ob auf direkte Weisung aus Ankara oder nicht, muß dahingestellt bleiben. Dazu gehören verschiedene Versuche der Einflußnahme, aber auch Einschüchterungen und Bedrohungen gegenüber Politikern und anderen Personen, die sich nicht willfährig im Sinne der AKP-Positionen verhalten. Recep Tayyip Erdogan hat ja bei mehreren öffentlichen Auftritten in Deutschland keinen Zweifel daran gelassen, daß er die hier lebenden Türken als seine Verfügungsmasse betrachtet. Und diese scheinen das ähnlich zu sehen. Immerhin erhielt die islamisch-großtürkische AKP bei den türkischen Parlamentswahlen im November 2015 unter den in Deutschland wahlberechtigten Türken stolze 59,7 Prozent der Stimmen.

Entsprechend heftig fielen die Reaktionen vor allem gegenüber den Bundestagsabgeordneten mit türkischen Wurzeln aus, die für die Armenien-Resolution
gestimmt hatten. Den Ausschlag gab kein Geringerer als Staatspräsident Erdogan selbst, der nach der Abstimmung gefordert hatte, mit einem Bluttest zu untersuchen, ob die Betreffenden überhaupt türkischer Abstammung sind. Pauschal wird den Abgeordneten „Verrat“ vorgeworfen, auch jenen, die wie etwa Özcan Mutlu und Ekin Deligöz (beide Grüne) als Aleviten selbst zu in der Türkei drangsalierten Minderheiten gehören. Mutlu hatte nicht einmal mit abgestimmt, war jedoch so massiven Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt, daß er aus Sicherheitsgründen seinen geplanten Türkei-Urlaub absagte. Grünen-Chef Cem Özdemir und andere erhielten nach Morddrohungen Polizeischutz.

Eher halbherzig distanzierten sich türkische Verbände in Deutschland von diesen Auswüchsen, um so auch von ihrem Anteil an der Stimmungsmache gegen die „Verräter“ abzulenken. Immerhin wurden durch die Ereignisse rund um die Armenien-Resolution die Konturen eines Netzwerks sichtbar, das Erdogan und seiner AKP in Deutschland als verläßliches Werkzeug der Einflußnahme und Propaganda dient. Medien wie Bild, Tagesspiegel und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) widmeten sich der in Deutschland aktiven Erdogan-Lobby, zu deren Wirken an erster Stelle gehört, die eigene Existenz abzustreiten. So bezeichnete die deutschsprachige Ausgabe der türkischen Zeitung Sabah das Netzwerk als „vermeintlich“ und stellte die Kampagne als ganz normale „Gegenöffentlichkeit“ dar.

Die Proteste unter Teilen der Türken in Deutschland seien nicht gesteuert, sondern eine Reaktion darauf, daß der „politisch-mediale Komplex des Landes über Jahrzehnte hinweg die Türkei arrogant von oben herab und die türkischen Einwanderer in Deutschland als Menschen zweiter Klasse behandelt hat“, fabuliert Sabah. Der vom linken Milieu erdachte Diskriminierungs- und Opfermythos wird mittlerweile von Migranten-Lobbys nicht nur geglaubt, sondern auch als propagandistische Allzweckwaffe recht geschickt eingesetzt. Das gilt selbstverständlich auch für das Erdogan-Netzwerk. „Die direkten oder indirekten Verbindungen zwischen den türkischen Verbänden in Deutschland und der türkischen Regierung werfen immer wieder Fragen auf“, meint dagegen die FAZ.

In Sachen Armenien-Resolution ließen Erdogans Streiter schon frühzeitig von sich hören. Bereits im März erhielten alle Bundestagsabgeordneten ein Schreiben, das von immerhin 557 Organisationen unterzeichnet worden war. Darin wird den Empfängern nachdrücklich klargemacht: „Einen solchen Beschluß, der die türkische Nation, deren Teil wir sind, mit dem schwersten Verbrechen gegen die Humanität bezichtigen würde und ein Rechtsbruch im internationalen Sinne wäre, akzeptieren wir nicht.“ Die türkische Nation, deren Teil wir sind? Eine interessante Verortung. Gilt das für alle rund drei Millionen Türkeistämmigen in Deutschland? Also auch für die 552.000 Eingebürgerten und die 610.000, die schon als deutsche Staatsbürger geboren wurden?

Mit welchem Land identifizieren sie sich? Wem gehört ihre Loyalität? Wenn es nach den 557 Verbänden geht, die den Brief an die Parlamentarier mittragen, liegt die Antwort wohl klar auf der Hand. Erdogans Propaganda-Armee straft somit auch die Behauptungen einer überwiegend gut gelungenen „Integration“ Lügen. Zu guter Letzt wird auch noch Ärger angedroht. Die Verabschiedung der Resolution würde nämlich die „Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei tiefstens erschüttern“. Und wenn schon, meint Rechtsanwalt Heinrich Schmitz, der den Brieftext im Blog Die Kolumnisten analysiert hat. „Soll ernsthaft eine Minderheit innerhalb der Bevölkerung, angeleitet von einem übererregbaren Realitätsverweigerer aus Ankara, bestimmen dürfen, welche Meinung der Bundestag zu diesem Völkermord artikulieren darf? Och nö.“

Unterzeichnet war das Schreiben von Selçuk Demirci von der Berliner „Türkischen Gemeinde“ und Niyazi Öncel vom „Verein zur Förderung der Ideen Atatürks“ Berlin-Brandenburg. Der türkische Name des letztgenannten Vereins wird übrigens ADD abgekürzt wie die neue Partei. Daß er sich in eine Aktion mit zahlreichen Pro-Erdogan-Gruppen einreiht, ist allerdings überraschend. Stehen doch die Ideen des Gründers der modernen Türkei Mustafa Kemal Atatürk für die Trennung von Staat und Religion, während Recep Erdogan für Neo-Osmanentum und Re-Islamisierung steht. In der Türkei haben die Kemalisten 2007 noch Massenproteste gegen die Präsidentschaftskandidatur Erdogans organisiert, der Berliner Ableger des Vereins brachte im selben Jahr rund 3.000 Türken gegen Erdogan auf die Straße. Und nun die große Einheitsfront über ideologische Grenzen hinweg?

Dafür spricht schon die Zahl von 557 Organisationen, die den Brief an die Bundestagsabgeordneten unterzeichnet haben. Ganz oben auf der Liste steht die „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ (UETD), und das sicherlich nicht bloß zufällig. Bereits 2011 hat Spiegel Online die UETD als „AKP-Lobby-Verein“ tituliert. Die Zentrale in Köln hat Erdogan 2005 – damals war er noch Regierungschef – persönlich eröffnet. Seitdem hat sich der Verein mächtig ins Zeug gelegt. Die Massenkundgebungen Erdogans in Köln 2008 und 2014 sowie in Düsseldorf 2011 hat die UETD organisiert. Unvergessen bleibt, daß der starke Mann der Türkei bei seinem Kölner Auftritt 2008 Assimilation als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ charakterisiert hat. Das heißt nichts anderes als: Türken sollen Türken bleiben, egal wo sie leben. Und am besten sollen sie tun, was die AKP ihnen sagt.

Schon 2010 stand die UETD im Hintergrund der Gründung einer Migranten-Partei. Das „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“ (BIG) wird von Haluk Yildiz geführt und nahm erfolglos an mehreren Wahlen teil. Allein Yildiz, der Verbindungen zur AKP vehement bestreitet, hält ein Mandat im Bonner Stadtrat. In Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg werden die Landesverbände von früheren UETD-Funktionären geleitet. Die Aktivitäten erscheinen überschaubar. So stammt die letzte auf der Netzseite der Partei eingestellte Pressemitteilung aus dem Jahr 2014, im Veranstaltungskalender herrscht gähnende Leere. Aber jetzt gibt es ja die ADD, und deren Vorsitzender Remzi Aru war früher – welch Wunder – Funktionär der Berliner UETD. Als deren Repräsentant trat er etwa 2014 im ZDF und bei Phoenix auf.

Die UETD ist in zahlreichen europäischen Ländern vertreten, die meisten Niederlassungen bestehen jedoch in Deutschland. Nach eigenen Angaben vertritt sie „die Interessen von rund sieben Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürgern türkischen Ursprungs, von denen alleine mehr als drei Millionen in Deutschland leben“. Anmaßung in Reinkultur: Die AKP-Auslandsorganisation schwingt sich mal eben zum Fürsprecher aller Auslandstürken in ganz Europa auf. Um diesen Anspruch auch nur mit einem Hauch Glaubwürdigkeit vertreten zu können, müssen die Drähte nach Ankara natürlich immer wieder abgestritten werden. Dafür zuständig ist unter anderem der stellvertretende UETD-Vorsitzende und Rechtsanwalt Fatih Zingal, der laut FAZ „juristische Verbindungen“ zur AKP in Abrede stellte und die UETD einen unabhängigen, nach deutschem Recht gegründeten Verein nennt.

Beides mag zutreffen, nur sagt es weder etwas über eine mögliche Fernsteuerung aus Ankara aus noch über eine freiwillige, eigenständige Vertretung der Interessen Erdogans in Deutschland und Europa. Die FAZ zitiert Burak Copur von der Universität Duisburg-Essen mit der Einschätzung, Zingal vertrete konsequent die AKP-Parteilinie, aber „strategisch angepaßt an die freiheitlich-demokratische Debattenkultur Deutschlands“. Und selbst das wird nicht immer so gehandhabt. So hat die UETD 2014 zahlreichen Journalisten die Akkreditierung zur großen Erdogan-Show in Köln verweigert. Soweit es türkische Journalisten betraf, sollen die Anträge in Ankara geprüft und entschieden worden sein, berichtete damals die taz. Um die türkische Diaspora besser mobilisieren und für eigene Zwecke einspannen zu können, wurde 2010 sogar eine Behörde gegründet: das Amt für Auslandstürken.

Ohnehin direkt einer türkischen Behörde unterstellt ist die „Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB)“ – der Dachverband von rund 900 Moscheevereinen in Deutschland. Dort wirken rund 970 Imame, die direkt von der türkischen Religionsbehörde nach Deutschland entsandt worden sind und eine streng sunnitische Auslegung des Islam vertreten. Die DITIB gehört zu den Verbänden, die sich federführend in die Diskussion um die Armenien-Resolution eingeklinkt haben und scharfe Kritik an den türkischstämmigen Abgeordneten übten. Erst spät habe sich der Dachverband, „freilich gegen den Widerstand vieler Mitglieder“, so der Bayernkurier, von Drohungen und Beleidigungen in Richtung der Abgeordneten distanziert.

Viel Wirbel gab es auch darum, daß die DITIB erst Integrationsministerin Aydan Özoguz in Hamburg und Bundestagspräsident Norbert Lammert in Berlin zum traditionellen Fastenbrechen eingeladen und nach der Verabschiedung der Resolution wieder ausgeladen hatte. „Sicherheitsgründe“ wurden als offizielle Begründung angeführt. Wie die Turkish Press berichtet, habe der Vorsteher der Berliner Sehitlik-Moschee, Ender Cetin, offen den eigentlichen Grund genannt. Die Gemeinde sei nach der Resolution an einem Treffen mit Lammert einfach nicht mehr interessiert gewesen. Aydan Özoguz konterte ihre Ausladung mit der Ansage, die Organisation hätte „den Vorwurf ausräumen können, daß sie von Ankara gelenkt wird“. Diese Chance habe sie vertan. Die Integrationsministerin wurde schließlich von der DITIB in Köln zu einem Fastenbrechen eingeladen.

Eine zwielichtige Position nimmt die lange Zeit unter Extremismusverdacht stehende „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG) mit ihren rund 31.000 Mitgliedern in Deutschland ein. Aus der Armenien-Diskussion hat sie sich weitgehend herausgehalten. In der FAZ läßt sich der Hamburger Milli-Görüs-Chef Mehmet Karaoglu mit den Worten zitieren, man würde niemals von einem „Verrat“ der türkischstämmigen Abgeordneten sprechen. „Wir sind keine Außenvertretung der Türkei“, so Karaoglu. Milli Görüs wird von einigen Verfassungsschutzämtern nicht mehr beobachtet, andere haben die Organisation immer noch im Visier. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Bundes (2015) attestiert der IGMG einen „schwächer werdenden Extremismusbezug“. Man versuche, sich von Einflußnahmen aus der Türkei zu lösen.

Stutzig machen könnte allerdings, daß der ehemalige Generalsekretär der IGMG Mustafa Yeneroglu mittlerweile für die AKP im türkischen Parlament sitzt. Gegenüber dem Portal Migazin behauptete Yeneroglu noch im Mai 2015, keine Regierung zuvor habe „auch nur annähernd so viele Reformen zugunsten der Demokratisierung und der Freiheitsrechte vor allem von Minderheiten auf den Weg gebracht“ wie Erdogans AKP. Nach mehreren Auftritten des Politikers im deutschen Fernsehen meinte Welt Online, der 40jährige sei „so etwas wie ein Erdogan-Sprachrohr für die Deutschen“ geworden. Auf die Frage, ob er den türkischen Präsidenten für einen lupenreinen Demokraten halte, hatte er bei Anne Will geantwortet: „Selbstverständlich.“ Natürlich wies er auch die Völkermordthese zu den Massakern an den Armeniern zurück.

In die Kampagne gegen die Armenien-Resolution eingeklinkt hat sich laut FAZ auch die „Föderation Türkisch-Demokratischer Idealistenvereine“ (ADÜTF), deren Anhänger hierzulande besser als „Graue Wölfe“ bekannt sind. Ihre Erkennungszeichen sind die drei Halbmonde und der „Wolfsgruß“. Zwar ist ihre Mutterpartei in der Türkei nicht Erdogans AKP, sondern die MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung), diese unterscheidet sich in ihrer großtürkisch-islamistischen Ausrichtung jedoch nur in Nuancen von der politischen Heimat des türkischen Staatschefs. „Die ‚Grauen Wölfe‘ zählen zum Spektrum der Nationalisten, das nicht eindeutig dem Erdogan-Lager zuzurechnen ist, aber parallel agitiert und teilweise martialisch auftritt“, beschreibt der Tagesspiegel die Gruppierung.

Zu Kongressen in Deutschland können die selbsternannten Idealisten (Ülkücü) leicht einige tausend Anhänger mobilisieren. Ihre regionalen Schwerpunkte liegen in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Dort pflegen sie nicht nur ein reges internes Vereinsleben, sondern sind oft auch in kommunalen „Integrationsräten“ aktiv, die sie als Plattform für Einflußnahme nutzen. Hetze und martialische Botschaften werden ebenfalls über das Internet verbreitet, auch zahlreiche gewaltbereite Straßenkämpfer mit türkischem Hintergrund pflegen das Gedankengut der „Wölfe“. In jüngster Zeit haben sich etwa mit dem „Boxclub Osmanen Germania“ und dem „Turan e.V.“ militante Strukturen in Form rockerähnlicher Gruppierungen organisiert und verfestigt (ZUERST! berichtete). Erdogans Jungs fürs Grobe, könnte man salopp sagen.

Auf gewisse Zusammenhänge können selbst die zu Haupt-Feindbildern erklärten Personen nur indirekt schließen. Zu ihnen gehört der Grünen-Politiker und führende Repräsentant der Kurden in Deutschland Ali Ertan Toprak. Es gebe im Sinne der AKP wirkende „professionelle Netzwerke von Internetaktivisten, die Feindbilder predigen und Einschüchterungskampagnen durchführen“, so Toprak bereits im November 2015 im Interview mit der Welt. Diese könnten schnell und professionell aktiv werden. „Äußert sich im Fernsehen ein AKP-Kritiker“, erläutert Toprak die Vorgehensweise, „werden oft binnen einer Stunde Tausende Menschen mobilisiert, die der vermeintlichen Unperson alle möglichen Drohungen und Beschimpfungen an den Kopf werfen“.

Wie solche Kampagnen parallel in der virtuellen und der realen Welt ablaufen, konnte man im Mai in Düsseldorf beobachten. Zur jährlichen Verleihung seines Plattino-Preises hatte der türkisch-deutsche Akademiker-Verein TD-Plattform einige hundert Gäste geladen. Einer der Preisträger war der für seine nicht gerade leisen Töne bekannte Kabarettist Serdar Somuncu, der sich bei AKP-Anhängern unbeliebt gemacht hatte, weil er sich in der Böhmermann-Affäre eindeutig zugunsten von Presse- und Meinungsfreiheit positioniert hatte. Also wurde gegen die Veranstaltung mobilisiert, etwa durch Ozan Ceyhun, der als AKP-Berater nicht nur äußerst gut vernetzt, sondern auch politikerfahren ist. Von 1998 bis 2004 saß er im Europaparlament, zuerst für die Grünen, dann für die SPD. Heute ist der rührige Aktivist bei der UETD unterwegs und dient seinem Idol Recep Tayyip Erdogan.

Auf Fotos posiert Ceyhun ebensogern mit dem türkischen Präsidenten wie UETD-Jugendführer Yusuf Aydin, der etwa über Facebook seine Freunde dazu aufrief, Druck auf die türkische Generalkonsulin in Düsseldorf auszuüben. Mit Erfolg: Generalkonsulin Sule Gürel, die zur Preisverleihung eine Rede halten sollte, sagte kurz vor Veranstaltungsbeginn ihre Teilnahme ab.

Doch damit hatte es noch nicht sein Bewenden. Als der Preisträger Serdar Somuncu sich für die Ehrung bedanken wollte, begannen einige Störer in der letzten Reihe lautstark zu pöbeln, bis sie vom Sicherheitsdienst in die Schranken gewiesen wurden. Wie ein Augenzeuge ZUERST! versicherte, soll es sich um Mitglieder der UETD- und DITIB-Jugendorganisationen gehandelt haben. Somuncu selbst nannte die Störer „AKP-Aktivisten“.

Ob in Vereinen, auf der Straße, im Internet oder aktuell im Gewand einer Partei: Das AKP-Netzwerk in Deutschland wirkt arbeitsteilig und auf vielen Ebenen. Wichtig dabei sind propagandistische Netz-Aktivitäten, für die neben Facebook, Twitter und Co. auch eigene Plattformen genutzt werden. Dazu gehört ein Angebot mit dem unauffälligen Namen nachrichtenxpress.com, auf dem seit Mai kräftig die Trommel für Remzi Arus neue Partei gerührt wird. So behauptete ein Beitrag kurz vor dem Gründungstermin: „Neben albanischen, bosnischen und Interessenten aus der Community der Sinti und Roma hat nun auch die palästinensische Gemeinde in Deutschland ihr Interesse bekundet.“ Und natürlich seien auch „Autochthone“ interessiert.

Ein Autochthoner und emsiger Mitstreiter von Remzi Aru und anderen Erdogan-Getreuen sitzt in der Redaktion von nachrichtenxpress.com: der gebürtige Österreicher Christian Rogler (Jahrgang 1973), der in Bernburg (Sachsen-Anhalt) als selbständiger Kommunikationsdienstleister arbeitet. Seit Jahren wirkt Rogler mit Beiträgen und Kommentaren als Sprachrohr türkischer Interessen und der AKP-Linie, unter anderem als Autor bei der Deutsch-Türkischen Zeitung (DTZ), Integrationsblogger (i-blogger.de) und dem libertären Magazin eigentümlich frei. Bei Integrationsblogger entlarvte Rogler zum Beispiel im Februar 2013 unter dem Titel „Nepper, Schlepper, Neonazis“ den angeblich rechtsextremistischen Hintergrund der Facebook-Gruppe „Deutschland gegen Kindesmißbrauch“. Ein Beleg: Die Gruppe habe auf Beiträge der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme (DS) verwiesen.

Mit diesem Komplex kennt sich der Mann allerdings aus, schließlich war er von Anfang 1999 bis April 2000 selbst Redaktionsmitglied der NPD-Zeitung Deutsche Stimme. Dort schlug er noch ganz andere Töne an als heute, so bezeichnete er die Verhaftung des PKK-Führers Abdullah Öcalan als „fragwürdige Aktion des türkischen Geheimdienstes“, über die sich die Kurden in ganz Europa mit Recht empörten. Im Juli 1999 prangerte er in der DS die Vertreibung der christlichen Kosovo-Serben durch die muslimischen Albaner an. Unter dem Titel „Couragierte Gegenmacht“ plädierte Rogler in der Oktober-Ausgabe 1999 für das Konzept der „befreiten Zonen“. Zentrale Botschaft: „Die Schaffung und Bewährung ‚befreiter Zonen‘ ist und bleibt der erste Schritt zur Schaffung eines ‚befreiten Landes‘.“ Befreit übrigens auch von „kriminellen ‚ausländischen Mitbürgern‘“.

In der rechten Publizistik war der Österreicher damals schon länger aktiv. Als Autor von Zeitschriften wie Signal und Opposition brachte er es 1998 sogar zu einer namentlichen Erwähnung im Bundes-Verfassungsschutzbericht. Noch 2000 kam es dann zum radikalen Bruch mit der „Szene“, nach einer kurzen Karenzzeit tauchte Rogler dann als pro-türkischer Propagandist wieder aus der Versenkung auf. Auf einem israelfreundlichen Blog äußerte sich Rogler 2012 lobend zum „Ausstieg“ des rechten Multifunktionärs Andreas Molau (NPD, DVU, Pro NRW usw.), der heute ebenfalls sehr fleißig für die Integrationsblogger publiziert und sich dort zum Beispiel für eine „Willkommenskultur“ – „die brauchen wir dringend“ – ins Zeug legt und für „Integration statt Haßpropaganda“ eintritt.

Während den Deutschen Diplomatie und Entgegenkommen empfohlen wird, vertreten die Erdogan-Anhänger ihre Interessen auch in Deutschland brachial und offensiv. Gegen Deutschland werde ein „Aktionsplan“ vorbereitet, verkündete Erdogan-Sprecher Ibrahim Kalin im türkischen Fernsehen kurz nach der Armenien-Resolution. Doch dieser Plan scheint längst zu existieren, und die Kampagnen der AKP-treuen Netzwerke in Deutschland erscheinen als integraler Bestandteil davon. Adressat ist erst in zweiter Linie die bundesdeutsche Politik und Öffentlichkeit, an erster Stelle ist die „türkische Community“ selbst im Visier, auf die mit einer Mischung aus Propaganda und Einschüchterung Druck ausgeübt wird.

Hinzu kommt eine Art Trotzreaktion insbesondere bei jenen Türkeistämmigen in Deutschland, bei denen das dauernde Geschwätz angeblich fehlender Anerkennung, mangelnden Respekts und zu wenig ausgeprägter Sensibilität der Deutschen auf fruchtbaren Boden fällt. Schutzbehauptungen wie diese sind natürlich ein bequemer Weg, von fehlender eigener Integrationsbereitschaft abzulenken. Wenn nun die Frage nach den Erfolgsaussichten der Erdogan-Lobby und ihrer Aktivitäten gestellt wird, sind diese weitverbreiteten Befindlichkeiten, die ja noch eigens geschürt werden, in Rechnung zu stellen. Remzi Aru träumt schon von zehn Prozent für seine ADD bei den Bundestagswahlen 2017. Ist das realistisch? Was ist vom Lager der AKP-treuen Türken in Deutschland zu erwarten? Focus Online befragte dazu den Dresdner Parteienforscher Werner Patzelt, doch der Professor übte sich eher in Zurückhaltung. Er verwies darauf, daß die hiesigen Türken bisher überwiegend Grüne und SPD gewählt hätten. Nach der Armenien-Resolution herrsche zwar Unmut, doch wie sich der auf das Wahlverhalten auswirke, könne nur schwer vorausgesagt werden. Die neue Migranten-Partei hält der Wissenschaftler für keine gute Idee, da diese eine Spaltung der Gesellschaft forciere. Die Herkunft werde wichtiger als die Überzeugungen. Mit Blick auf das Erdogan-Netzwerk bedauerte Patzelt: „Leider haben wir in Deutschland allzu gutmütig Tür und Tor für die unmittelbare politische Propaganda mindestens eines anderen Staates geöffnet.“

Und nicht nur für die Propaganda, sondern Ankara wird das gesamte politische Instrumentarium Berlins willfährig zur Verfügung gestellt – von den etablierten Parteien. In SPD, CDU, FDP und Grünen ist seit langem eine türkische Lobby am Werk, die sich über deutsche Bündnispartner in den Parteien freuen kann.

Beispiel CDU: Hier leistete der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz, der von 2005 bis 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages war und heute noch als „Außenpolitikexperte“ durch die TV-Kanäle als Interviewpartner geistert, politische Wühlarbeit für Ankara. 2010 veröffentlichte der CDU-Mann aus Münster bei der Körber-Stiftung sein Buch Besser für beide – Die Türkei gehört in die EU, eine relativ flache Streitschrift für eine rasche EU-Mitgliedschaft der Türkei. Unermüdlich forderte der CDU-Politiker Verständnis für Ankara und für die türkische Lobby in Deutschland ein, war einer der verläßlichsten Lautsprecher Erdogans im Deutschen Bundestag. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag 2013 war Ruprecht Polenz weiter als Türkei-Lobbyist tätig. Nur wenige Wochen nach der Bundestagswahl trat er im Oktober 2013 ein knapp einjähriges, sogenanntes „Senior Fellowship“ am Istanbul Policy Center (IPC) an. Das IPC wird von der Istanbuler Sabanci-Universität sowie von der deutschen Stiftung Mercator gefördert (bis 2016 zirka 5,5 Millionen Euro). Projektbeschreibung: „Ruprecht Polenz initiierte eine Reihe von Veranstaltungen, einschließlich einer Expertenrunde im türkischen Außenministerium sowie Diskussionen in der Deutschen Botschaft in Ankara und am IPC, um Möglichkeiten für eine stärkere europäisch-türkische Kooperation zu identifizieren.“

Heute ist Polenz „offizieller Vertreter der Bundesregierung im Dialog um den Völkermord an den Herero und Nama mit Namibia“. Was haben Herero und Türken miteinander zu tun? Auf den ersten Blick zunächst nichts. Und dennoch: Sie sind direkt miteinander verknüpft. Als bereits im Frühjahr 2015 eine Resolution zum Armenier-Völkermord im Deutschen Bundestag – damals erfolglos – diskutiert wurde, ging Ankara zum Gegenangriff über: Die Deutschen sollten erst einmal ihren angeblichen Massenmord an den Herero im Jahre 1904 ordentlich aufarbeiten, bevor sie über die Türken urteilen. Und wieder wurde Polenz einer der wichtigsten Verbündeten Ankaras, indem er die türkische „Idee“ lautstark in Deutschland propagierte. Am Ende machte die Bundesregierung gar den Bock zum Gärtner – und Polenz zum „offiziellen Vertreter“ in der Herero-Sache.

Wie sehr die deutsche Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD bereits von Ankara eingelullt wurde, zeigt die sogenannte „Böhmermann-Affäre“. Der linke deutsche TV-Moderator Jan Böhmermann hatte im Frühjahr ein „Schmähgedicht“ über den türkischen Präsidenten vorgetragen, woraus sich in der Folge eine Staatsaffäre entwickelte. Die türkische Seite sprach gar von einem „schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete das Gedicht gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu in einem Telefonat als „bewußt verletzend“. Am 15. April 2016 teilte Merkel mit, die Bundesregierung werde dem türkischen Strafverlangen gemäß Paragraph 104a StGB (Straftaten gegen ausländische Staaten) stattgeben und die Staatsanwaltschaft Mainz zur Strafverfolgung ermächtigen. Auch hier machte wiederum Ruprecht Polenz auf allen Kanälen Druck. Es schicke sich nicht – trotz aller Kritikwürdigkeit –, über Erdogan so zu sprechen. Kritiker der Entscheidung der Bundesregierung sehen das Strafverfahren gegen Böhmermann als Beleg dafür, daß der lange Arm des türkischen Präsidenten bis ins deutsche Bundeskanzleramt reicht.

Einige wertvolle Hinweise gibt auch die aktuelle Studie Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland der Universität Münster. Zu ihr gehört eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid unter 1.200 Personen türkischer Herkunft in Deutschland, deren Ergebnisse Mitte Juni veröffentlicht wurden. Ein wichtiger Befund: Das subjektive Gefühl mangelnder Anerkennung ist tatsächlich verbreitet: „Gut die Hälfte der Zuwanderer aus der Türkei und ihrer Nachkommen fühlen sich als Bürger zweiter Klasse, egal wie sehr sie sich anstrengen dazuzugehören“, teilt die Uni Münster mit. Für Remzi Aru, die UETD, DITIB und alle anderen Pro-Erdogan-Streiter entfaltet sich hier ein breites Spektrum an Anknüpfungsmöglichkeiten.

Und dieser Eindruck verfestigt sich sogar noch, wenn man die erschreckend hohe Zustimmung zu fundamentalistischen Positionen mit einbezieht. „Es gibt nur eine wahre Religion“, sagen 50 Prozent der Befragten. Für 47 Prozent ist die Befolgung der religiösen Gebote wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem sie leben. Und immerhin 32 Prozent wollen zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammed zurück. Wie sehr die „Integration“ gelungen ist, dokumentieren solche Zahlen. Das Bekenntnis zu den sogenannten westlichen Werten scheint innerhalb der größten Einwanderergruppe in Deutschland nur dürftig ausgeprägt zu sein. Dagegen darf sich das Erdogan-Netzwerk über ein erhebliches Potential freuen.

Und das Erdogan-Netzwerk in Deutschland riecht seit einigen Monaten Lunte, sein Potential sogar noch zu vergrößern – dank der Welle der illegalen Einwanderer. Federführend scheint hier vor allem die „Türkische Gemeinde in Deutschland“ (TGD), die bereits im September 2015 ein Positionspapier zur „Flüchtlingsfrage“ veröffentlicht hat. Darin heißt es unter anderem: „Deutschland muß einen weiteren Schritt in Richtung Migrationsgesellschaft gehen.“ Weiter wird verlautbart: „Die aktuellen Migrationsbewegungen zeigen deutlich, daß Zuwanderung nur eingeschränkt steuerbar ist. Der Bevölkerung zu suggerieren, diese könne man per Gesetz vollständig und bedarfsgerecht planen, ist rückwärtsgewandt und führt zu mehr Rassismus und Politikverdrossenheit.“ Nicht fehlen darf auch die Forderung nach (noch) mehr Steuergeld für die Migrantenorganisationen – zur Abwehr von „Rassismus“ und „Terror“: „Dem rassistischen Terror in Deutschland muß Einhalt geboten werden. Angriffe gegen Menschen und Flüchtlingsunterkünfte dürfen nicht akzeptiert werden. Die Entstehung von Angsträumen für (oft ohnehin traumatisierte) Flüchtlinge muß verhindert werden. Es gibt bereits ein großes Engagement der Zivilgesellschaft zugunsten einer Willkommenskultur und der Bekämpfung von Rassismus. Viele Projekte und Maßnahmen in diesem Kontext werden durch das Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘ ermöglicht. Eine Aufstockung dieser Mittel für die kommenden Jahre ist mit Blick auf die aktuelle Situation dringend geboten. Insbesondere die Förderung von Migrantenorganisationen und muslimischen Gemeinden sollte Berücksichtigung finden.“

Wie clever die fünfte Kolonne des türkischen Staatsoberhauptes ihre Möglichkeiten in Deutschland ausschöpft, muß die Zukunft zeigen. Abhängen wird dies nicht zuletzt auch davon, inwieweit die rot-gelb-grün-schwarze Einheitspartei die Geduld der Einheimischen durch weiteren unkontrollierten Massenzustrom – vor allem aus dem muslimischen Raum – nach Deutschland noch strapazieren will. Überforderung führt zu Radikalisierung, und die schaukelt sich wechselseitig hoch. Nach der zitierten Umfrage befürworten sieben Prozent der Türkeistämmigen die Aussage: „Gewalt ist gerechtfertigt, wenn es um die Verbreitung und Durchsetzung des Islam geht.“ Sieben Prozent klingt wenig, doch bei drei Millionen sind das 210.000 Gewaltbereite. Kein Grund zur Sorge?

Bernhard Radtke, Robert Diehl, Carsten Fromm

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zuerst 8-9-2016

2 Kommentare

  1. Britta sagt:

    Döner und Co?
    Nein, danke!

  2. Mikki sagt:

    Danke für das Geschriebene, leider sind Europäer faul und feige. Die Türken haben in Deutschland und ganz Westeuropa schatten Ökonomie entwickelt, unsere Gastfreundlichkeit ist ausgenutzt – es geht nur um Islamisierung. Unsere Politiker gucken nur zu. Liebe Türken, wenn sie in West unzufrieden sind, bitte gehen sie lieber in ihr gelobtes Land.

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