Kiew. Der deutsche Botschafter in Kiew, Ernst Reichel, hat sich einen diplomatischen Fauxpas erlaubt, auf den die ukrainische Regierung prompt mit Empörung reagiert hat. Reichel erklärte in einem Interview aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums beiderseitiger diplomatischer Beziehungen, Wahlen in den seit 2014 umkämpften Gebieten in der Ostukraine könnten auch in Anwesenheit russischer Truppen stattfinden.
Der Abzug von Streitkräften aus dem Donbass ist einer der zentralen Punkte des Minsker Abkommens. Bislang können sich Rußland und die Ukraine nicht auf die Reihenfolge bei der Umsetzung der dort vorgesehenen Bestimmungen einigen. Kiew beharrt auf dem Abzug aller bewaffneten Einheiten, auch derjenigen Rußlands. Moskau wiederum bestreitet, mit eigenen bewaffneten Kräften im Donbass präsent zu sein.
Wörtlich sagte Reichel in dem Interview mit „RB Ukraina“: „Es ist nicht zwingend, daß die Wahlen im Donbass erst dann stattfinden können, wenn dort keine russischen Truppen mehr sein werden oder wenn auf jeder Stadtverwaltung die ukrainische Fahne gehißt sein wird.“ Als historisches Beispiel nannte der Botschafter die letzten Wahlen in der DDR. Diese hätten schließlich auch in Anwesenheit sowjetischer Truppen stattgefunden.
Ukrainische Politiker reagierten mit Empörung. Es habe bereits zweimal eine „Wahlfarce“ vor russischen Gewehrläufen gegeben, auf der Krim und im Donbass, das reiche, schrieb der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin auf Twitter. Die stellvertretende Parlamentspräsidentin Irina Gerastschenko sagte, mit solchen Erklärungen spiele der Botschafter dem „Besatzer“ Rußland in die Hände. Reichel wurde zum Gespräch ins ukrainische Außenministerium gebeten. Ihm sei deutlich gemacht worden, daß es unzulässig sei, „Wahlen in den besetzten Gebieten des Donbass in Anwesenheit der russischen Besatzungstruppen“ abzuhalten, erklärte das Ministerium.
Die Äußerung des Botschafters ist auch deshalb bemerkenswert, weil erstmals ein deutscher Diplomat öffentlich die Präsenz russischer Truppen in der Ostukraine als gegeben annimmt.
Reichels Äußerung zog auch auf nicht-diplomatischer Ebene Protest nach sich: Alexej Gontscharenko, der dem Wahlblock von Präsident Poroschenko angehört, hielt auf dem Gelände der deutschen Botschaft in Kiew eine kurze Ansprache und besprühte dann ein dort aufgstelltes Fragment der Berliner Mauer. Diese sei ein „Symbol der Besatzung Europas durch den Kreml“, sagte der Abgeordnete und schrieb in roten Buchstaben „Nein!“ auf das Mauerstück. „Nein, Herr Botschafter. Es wird keine Wahlen im Donbass geben, während dort russische Besatzungstruppen sind“, sagte Gontscharenko. (mü)