Über das aktualisierte Konzept zur zivilen Verteidigung der Bundesregierung sprach ZUERST! mit dem Überlebens-Spezialisten Lars Konarek
Herr Konarek, was hat Sie als Praktiker in Überlebensfragen mehr überrascht: daß die Bundesregierung nach über 20 Jahren das Konzept für die zivile Verteidigung überarbeitet hat oder die Reaktionen auf diese Maßnahme?
Konarek: Ehrlich gesagt beides. Daß es aber so lange dauert, bis so eine wichtige Maßnahme umgesetzt wird, ist für mich überraschend. US-Präsident Franklin D. Roosevelt soll gesagt haben, daß in der Politik nichts zufällig geschieht. Bei der jetzigen Weltlage – Stichwort NATO-Osterweiterung – kam das sicherlich nicht von ungefähr, daß das Konzept jetzt auf den Tisch gelegt wurde.
Die Opposition kritisiert das Konzept als Panikmache. Liegt sie da richtig?
Konarek: Das liegt immer im Auge des Betrachters. Hier sollte sich jeder selbst sein Bild machen.
Die öffentliche Debatte war völlig von dem Ratschlag an die Bürger zur Vorratshaltung von Lebensmitteln beherrscht. Solche Empfehlungen gibt es doch schon seit langem vom Ernährungsministerium und vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Weshalb jetzt diese Aufregung?
Konarek: Daß der Bürger vorsorgen soll, empfiehlt die Bundesregierung tatsächlich schon seit Jahren. Leider ist das Thema in der Gesellschaft über Jahrzehnte hin eingeschlafen und wurde erst durch das Erscheinen des Konzepts wieder gesellschaftsfähig. Jetzt ist die Aufregung groß, weil der Bürger auf einmal feststellt, wie abhängig er von unserem System ist und daß ihn der Staat nicht vor allem beschützen kann.
Lebensmittel für zehn Tage, Trinkwasser für fünf Tage – haben Sie eine Idee, wie die Regierung angesichts der unterschiedlichsten denkbaren Bedrohungsszenarien genau auf diese Zeiträume kommt?
Konarek: Nein, habe ich nicht. Da ich aber aus sicherer Quelle in etwa weiß, wie solche Konzepte erstellt werden, wundert es mich nicht.
Verraten Sie uns mehr…
Konarek: Das ist leider nicht möglich, da muß ich um Verständnis bitten.
Ihre Einschätzung als Experte: Sind die Vorschläge zur persönlichen Vorratshaltung angemessen und ausreichend?
Konarek: Es ist schwer nachvollziehbar für mich, warum eine Bevorratung für so einen kurzen Zeitraum empfohlen wird. Das ergibt wenig Sinn. Die drastischen Sparmaßnahmen der letzten Jahre bei wichtigen Institutionen wie zum Beispiel dem Technischen Hilfswerk (THW) haben dazu geführt, daß dieses teilweise desolat ausgerüstet ist und in einer Großschadenslage seinen Auftrag nicht erfüllen könnte. Somit ist es meiner Meinung nach sehr wahrscheinlich, daß sich der Bürger eventuell viel länger als zehn Tage selbst versorgen müßte. Das ist mit der spärlichen Empfehlung der Regierung so nicht möglich.
An die Menschen, die weder den Platz noch das Geld haben, sich Vorräte anzulegen, ist in dem Konzept offenbar nicht gedacht worden. Was würden Sie solchen Menschen raten, um ihre Chancen auf das Überstehen von Krisensituationen zu erhöhen?
Konarek: Hier würde ich empfehlen, Netzwerke zu bilden und sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen. Somit ist der Wissenspool größer, und Ressourcen könnten im Ernstfall geteilt werden. Es wäre gut, wenn man Wissen aufbaut, das in einer Krise von Nutzen wäre: Kenntnisse über eßbare Pflanzen halte ich zum Beispiel für sehr wichtig, um Nahrungsengpässe zu überbrücken. Schon mit der in den meisten Gärten wachsenden Brennessel kann man eine Zeitlang überleben, wenn man diese verzehrt.
In dem Papier steht der Satz: „Als Konfliktformen vorherrschend zu erwarten sind nach aktueller Einschätzung sogenannte hybride Konflikte mit sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Konfliktparteien und Gegnern.“ Was kann man sich denn unter einem „hybriden Konflikt“ konkret vorstellen?
Konarek: Als hybride Konflikte bezeichnet man verschönernd eine moderne Kriegsform. Der Begriff lautet eigentlich richtig „hybrider Krieg“. Dieser kann auch in Bürgerkriegsform stattfinden. Hierbei gibt es keine Regeln und kein Pardon! Partisanenkämpfe und irreguläre Mittel, die ansonsten verpönt sind, werden dabei eingesetzt. Das ist der Super-GAU für ein System, da sie schwer kontrollierbar sind und schnell ausufernde Dimensionen annehmen können.
Sehen Sie in den staatlichen Zivilschutz-Überlegungen Punkte, an die überhaupt nicht oder nur unzureichend gedacht wurde und wird? Etwa die Frage der öffentlichen Schutzräume?
Konarek: In der Tat! Es gibt zu wenige öffentliche Schutzräume, und ich hätte mir in dem Konzept gewünscht, daß auch für die Haushalte ein mobiler Wasserfilter empfohlen wird. Mit so einem Gerät ist man in der Lage, Wasser aus Pfützen, Seen, Bächen, Flüssen usw. trinkbar zu machen. Sollte die Wasserversorgung zusammenbrechen, könnte sich der Bürger somit selbst helfen.
Herr Konarek, Sie haben Bücher zu Überlebensstrategien und -techniken geschrieben und bieten auch passende Trainings und Kurse an. Haben Sie den Eindruck gewonnen, daß die Sensibilität für dieses Thema gewachsen ist?
Konarek: Diese Frage kann ich nur mit einem deutlichen „Ja“ beantworten. Immer mehr Menschen fällt die Tatsache auf, wie abhängig sie von Elektrizität und Supermärkten sind. Durch die Entscheidungen der Bundesregierung haben viele meiner Kursteilnehmer das Vertrauen in die Politik verloren. Und das Interessante für mich ist, daß es sich dabei um gebildete Menschen handelt.
Neben der Vorsorge spielt der Selbstschutz in den Überlegungen eine große Rolle. Doch staatliche Akteure raten in der Regel von privater Bewaffnung der Bürger ab und verfolgen etwa die steigende Antragszahl beim Kleinen Waffenschein sehr kritisch. Wie sehen Sie das?
Konarek: Erst mal vorab: Ich bin kein Freund von Waffen, und wenn es nach mir ginge, müßte es auf dem Planeten keine geben. Die Skepsis könnte ich als Staat gut nachvollziehen, denn bewaffnete Bürger lassen sich schwerer steuern. Allerdings fehlt bei immer mehr Bürgern das Vertrauen in die innere Sicherheit, und das hat der Staat sich selbst zuzuschreiben. Es ist ja bekannt, daß zum Beispiel die Polizei und das Militär auch kaputtgespart wurden. Daß manche Bürger „aufrüsten“, ist nachvollziehbar und, wenn es so weitergeht in unserem Land, auch sinnvoll.
Wenn jemand in Fragen der Krisenvorsorge und des Selbstschutzes komplett ahnungslos ist, aber gewillt, diesen Zustand zu ändern: Wie sollte dessen Prioritätenliste aussehen?
Konarek: Die wichtigste Priorität ist die häusliche Krisenvorsorge. Wenn diese steht, hat man eine solide Grundlage für das Überleben geschaffen. Danach sollte man sich diverse Fertigkeiten aneignen, wie zum Beispiel gesteigertes Erste-Hilfe-Wissen oder Fähigkeiten, mit denen man für ein paar Tage in der Natur überleben kann. Das „Wissen“ im Kopf kann einem übrigens keiner nehmen…
Noch ein Wort zum Thema „Angst“. Neigen wir heutigen Deutschen zu übertriebenem Alarmismus, oder sind wir eher zu arglos?
Konarek: Es kommt mir so vor, als wären wichtige Instinkte bei uns in den letzten Jahren gezielt abtrainiert worden. Ich bin selbst kein Mensch, der in Panik
mit gravierenden Zukunftssorgen lebt. Dennoch nehme ich immer wieder wahr, daß die innere Alarmglocke bei vielen offenbar eingerostet ist.
Gibt es auch für einen Überlebens-Spezialisten mal eine Situation, in der ihm bange wird? Und wenn ja, wie geht er dagegen an?
Konarek: Diese Situationen gibt es bestimmt. Es gibt, glaube ich, keinen einzigen Kollegen, der in einer Überlebenssituation keine Angst hätte. Ich denke aber, daß wir mit diesen Situationen besser umgehen könnten, weil wir auch über psychologische Konzepte verfügen, mit denen wir uns mental besser auf die Lage einstellen könnten.
Herr Konarek, vielen Dank für das Gespräch.
Lars Konarek, Jahrgang 1977. Wohnhaft in Freiburg. Ehemaliger Fallschirmjäger und Nahkampfausbilder, seit 2009 freier Überlebenstrainer. Spezialisiert auf das Überleben in Krisen- und Katastrophenfällen. Autor mehrerer Fachbücher zum Thema Überleben, zuletzt Überleben in Krisen- und Katastrophenfällen (2014). Kontakt über: www.saveyourlife.de oder www.larskonarek.de
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Sicher ist die innere Alarmglocke nicht bei allen eingerostet.
Meine sogar ganz sicher nicht. Die schrillt ohrenbetäubend laut
seit Wochen. Sie wird auch nicht abgestellt.
Man darf sich einfach an diese Katastrophe nicht gewöhnen.
Das Stockholm-Syndrom wäre tödlich für jede Freiheit.