Wien. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern sieht die Türkei inzwischen nicht einmal mehr als potentiellen EU-Aufnahmekandidaten. „Nicht jetzt und nicht in den kommenden Jahrzehnten“, sagte Kern gegenüber der Tageszeitung „Die Presse“. Man müsse vielmehr der Realität ins Gesicht blicken: „Die Beitrittsverhandlungen sind derzeit nicht mehr als eine Fiktion. Europa braucht einen neuen Weg.“
Dies liege allerdings weniger an Präsident Recep Erdogan und den aktuellen „problematischen demokratiepolitischen Entwicklungen“ als an „wirtschaftlichen Disparitäten“, sagte Kern. Ein EU-Beitritt der Türkei würde „zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen führen, die in Europa nicht mehr vertretbar sind“. Die EU solle vielmehr nach einem neuen gangbaren Weg der wirtschaftlichen Heranführung der Türkei suchen.
Auch Kern sieht die derzeit kritischen Verhandlungen wegen des „Türkei-Deals“ mit Ankara, dessen Einhaltung die Türkei von der Visum-Frage abhängig macht. Ohne die EU-Türkei-Vereinbarung, prognostiziert der Wiener Bundeskanzler, wäre die Schließung der Balkanroute Makulatur. Das Problem würde dann zuerst nach Griechenland verlagert und später in Richtung Serbien und Ungarn. (mü)